Im Regierungssitz 10 Downing Street herrschte am Donnerstagfrüh zunächst Funkstille. Noch am Abend zuvor hatte ein enger Johnson-Vertrauter verkündet, der Premier werde nicht aufgeben. „Der Premierminister ist in einer optimistischen Stimmung und wird weiterkämpfen“, sagte Johnsons parlamentarische Assistent James Duddridge dem Sender Sky News.
Doch seine Lage wurde zunehmend aussichtslos. Der Tory-Abgeordnete und Johnson-Kritiker Steve Baker sagte der BBC am Donnerstag, die Regierung sei „im freien Fall“. Selbst Johnsons früherer Arbeitgeber, die konservative Zeitung „The Daily Telegraph“, bezeichnete Johnson auf ihrer Titelseite als „tödlich verwundet“. Der linksliberale „Guardian“ titelte: „Verzweifelter, verblendeter Premierminister klammert sich an der Macht fest“.
Johnson hatte erst vor einem Monat eine Misstrauensabstimmung in seiner Fraktion knapp überstanden. Den bisherigen Regeln der Tory-Partei zufolge darf für die Dauer von zwölf Monaten nach der Abstimmung kein neuer Versuch unternommen werden, den Vorsitzenden zu stürzen. Durch eine Regeländerung könnte aber bereits in der kommenden Woche ein neues Misstrauensvotum möglich sein. Es gilt als wahrscheinlich, dass Johnson dieses Mal verlieren dürfte.
Ausgelöst wurde die jüngste Regierungskrise in Westminster durch eine Affäre um Johnsons Parteikollegen Chris Pincher, dem sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Zuvor war herausgekommen, dass Johnson von den Anschuldigungen gegen Pincher wusste, bevor er ihn in ein wichtiges Fraktionsamt hievte. Das hatte sein Sprecher zuvor jedoch mehrmals abgestritten.
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