Ich habe meinen Vater in ein Tuch gehüllt

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Ohne die Totenwache hätte ich zwar mit Mitte vierzig den ersten toten Menschen in meinem Leben gesehen, der Tod als Prozess aber wäre mir ferngeblieben. Es würde mir etwas fehlen im Leben, schreibt Maren Wurster

Ohne die Totenwache hätte ich zwar mit Mitte vierzig den ersten toten Menschen in meinem Leben gesehen, der Tod als Prozess aber wäre mir ferngeblieben. Es würde mir etwas fehlen im Leben. Ich möchte diese Erfahrung nicht missen, sie hat einen anderen Menschen aus mir gemacht.

Der Wecker piept, ich wache auf. Ich liege auf dem schmalen, aufgeklappten Reisebett. Mein Blick geht zu meinem Vater, an dessen Bettende ich geschlafen habe. Papa. Mein Papa. Geliebter Papa. Ich schlage die Decke zur Seite, setze mich auf und betrachte ihn. Die Kristalllampen beleuchten sein Gesicht, ein warmes Licht auf seiner weißen Haut, die wie Porzellan wirkt.

„Er wird gehen“, hat sie gesagt, nun erkenne ich, was sie meinte. Mein Vater ist in ein Leinentuch gehüllt. Um seinen Kopf herum haben Angela, die Bestatterin meines Vaters, und ich es aufgebauscht. Geborgen ruht sein Kopf darin. Blumen liegen auf seinem Bett, Rosen, Nelken, Gänseblümchen, auch auf dem Tuch, darunter zeichnet sich sein großer, ausgemergelter Körper ab.

Mein Sohn hat auch Bilder für seinen Opa gemalt, die er ebenfalls zu den Füßen angeordnet hat, ein Meer mit dicken, brausenden Wellen. Das könnten jetzt die Wellen des Totenflusses sein, über den in der antiken Mythologie der Fährmann Charon die Verstorbenen bringt. Als Bezahlung dafür hätten wir meinem Vater noch eine Münze unter die Zunge legen müssen.

Angela hatte mir gesagt, ich solle zwischen Mitternacht und ein Uhr wach sein. Wegen der Geister. Deshalb habe ich mir den Wecker gestellt. Es sei ein besonderer Moment, insbesondere in der zweiten Nacht, denn dann mache sich der Verstorbene auf den Weg. Dass ich präsent bin, helfe ihm dabei und schütze ihn. Und ja. Ich fühle ihn, noch ist mein Vater da. Noch ist er mit dem Körper, also dem toten Körper, verbunden, er füllt darüber hinaus auch den Raum aus.

 

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