Kim de l'Horizon wurde für das „Blutbuch“, das Sprache und Geschlecht seziert, mit Preisen geehrt. Und widmet sich an dieser Stelle den Männern.
31.12.2022, 16:24 Uhr
Bevor ich eine kleine Anekdote aus dieser herrlichen Zeit wiedergebe, möchte ich sagen, dass ich das Schreiben über Männlichkeit als wichtiges queer-feministisches Unterfangen betrachte. Denn wir alle leiden im Patriarchat an den Rollen und Zwängen des binären Geschlechterregimes, alle Geschlechter auf unterschiedliche Art und Weise, aber trotzdem: alle.
Ich würde so weit gehen, zu sagen, dass es unter uns tatsächlich einen Liebeshass gab, dass wir die Liebe hassten, denn wir liebten es über den Hass zu sprechen, wir liebten es unseren Hass auf die Lehrer*innen, Eltern und Jungs aus Parallelklassen zu bekunden. Natürlich sehnten wir uns nach der Liebe, und darum hassten wir sie, denn sie war uns verboten. Wir wussten das nicht, wir spürten es.
Geschlecht und Politik lässt sich auf keinstige Art und Weise trennen. Dass der Faschismus unter dem Neoliberalismus geschlummert hat, kann spätestens seit dem ungeschminkten Auftritt und Gewinn der postfaschistischen „fratelli d’italia“ niemand mehr leugnen. Dass die Gebrüder Italiens von einer starken – wenigstens blonden! – Frau angeführt werden, ist nur der heuchlerische Versuch ihren Sexismus und ihre Queerphobie zu verstecken.
Eine Beobachtung, die zu einer weiteren groben These führt: Viele weiße Cis-Männer in meinem Umfeld hatten in den ersten 10 Jahren ihres Erwachsenseins einen run. Es lief alles wie geschmiert. Die Welt war für sie gemacht. Studium, Beziehung, Sport, Berufseinstieg: top. Doch beobachtete ich, dass viele Ende 20 stolperten. Dass die Beziehung abbrach und sie verloren auf Weltreisen und Drogenräuschen nach Sinn suchten.
Ich fürchte mich vor den unterschiedlichsten Männern dieser Welt. Ich fürchte mich vor den Wladimir Putins, Elon Musks, Recep Erdoğans. Ich fürchte mich auch vor den Jungs an der Tankstelle, den Fußballfans nach einem Derby, dem Obdachlosen, der manchmal mit einem Messer durch die Trams meiner Stadt streicht.