Mitglieder der Jury, die den Literaturnobelpreis an den österreichischen Autor Peter Handke und die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk vergeben hat, haben ihre Wahl vor allem in Hinblick auf Handke öffentlich verteidigt. Dem waren Beiträge vieler Kritiker vorangegangen, die Handkes freundliche Haltung gegenüber dem ehemaligen serbischen Präsidenten und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Slobodan Milošević verurteilten und in Konflikt zur Würdigung seines Werkes durch den Nobelpreis brachten. Jetzt hat der Spiegel die Stellungnahme des schwedischen Übersetzers und externen Mitglieds des Nobelpreiskomitees Henrik Petersen veröffentlicht.

"Meines Erachtens ist es sinnvoll, eine klare Grenze zwischen einem politischen, ideologiekritischen, ethisch suchenden Diskurs und der Beschreibung und Gestaltung einer persönlichen Erfahrung zu ziehen", schreibt Petersen in seiner Stellungnahme. Da Handke slowenische Wurzeln habe, sei seine Parteinahme für Serbien für viele unverständlich gewesen. Entscheidend sei, dass Handke den Jugoslawienkrieg bedauert und eine friedliche Lösung bevorzugt habe. Die schnelle Anerkennung Sloweniens und Kroatiens als selbstständige Staaten durch die EU habe Handke kritisch gesehen – eine Haltung, die heute im Hinblick auf eine mögliche Unabhängigkeit Kataloniens viele vertreten könnten.

"Eine harte Welt braucht Schriftsteller, die es mit ihr aufnehmen können."

Weiterhin schreibt Petersen, Handkes Werk sei von einer antifaschistischen Haltung durchzogen. So habe er sich sehr intensiv mit dem Befreiungskrieg Jugoslawiens gegen die nationalsozialistischen Besatzungsmächte auseinandergesetzt. Das sei der Hintergrund für Handkes Einstellung gewesen, die verschiedenen Teile Jugoslawiens hätten "wie Geschwistervölker zusammenhalten müssen". Gleichzeitig sei sein Werk von einer ideologiekritischen, fragenden Haltung geprägt, die kein politisches Programm propagiere: das erzählende Ich, das sich in vielen Texten "aktiv vom Ideologischen, von der Welt der Werte, tradierten symbolischen Ordnungen" zu distanzieren versucht, sei nicht etwa "subjektive Träumerei", die Handke oftmals als politische Naivität ausgelegt wird, sondern "radikale, ideologiekritische Poetik".

Dabei entlastet Petersen Handke nicht komplett: In der Balkanfrage würde Handke "eine Art politisches Kamikazemanöver" vollführen und habe sich im Versuch, die vermeintlich einseitige deutsch-österreichische Berichterstattung über den Jugoslawienkrieg zu kritisieren, "prekär" und "plump" ausgedrückt. Ein Kriegshetzer sei Handke deswegen jedoch nicht, sondern habe versucht, "schwere Themen wie Geschichte und Gewalt" zu thematisieren. "Eine harte Welt braucht Schriftsteller, die es mit ihr aufnehmen können. Große Literatur muss belohnt werden."

Handke hatte sich nicht zur Kritik äußern wollen

Nach Angaben des Spiegels haben auch zwei ständige Mitglieder der Schwedischen Akademie der Wissenschaften – ihr Ständiger Sekretär Mats Malm und der Jurist Eric M. Runesson – die Vergabe des Preises an Handke verteidigt. Dieser habe "provokante, unangemessene und unklare Aussagen in politischen Dingen geäußert", was aber kein menschenfeindlicher Angriff auf die Zivilgesellschaft sei. 

Ob Handke sich noch zu den Vorwürfen gegen seine Person äußern wird, ist fraglich. Erst kürzlich hatte er ein Interview abgebrochen, nachdem er um eine Reaktion auf die Kritik an seiner Haltung bezüglich des Jugoslawienkriegs gebeten worden war. "Ich stehe vor meinem Gartentor und da sind 50 Journalisten und alle fragen nur wie Sie. Von keinem Menschen, der zu mir kommt, höre ich, dass er sagt, dass er irgendwas von mir gelesen hat", sagte Handke. "Es sind nur die Fragen: Wie reagiert die Welt? Reaktion auf Reaktion auf Reaktion. Ich bin ein Schriftsteller, ich komme von Tolstoi, ich komme von Homer, ich komme von Cervantes. Lasst mich in Frieden und stellt mir nicht solche Fragen." Er kündigte an, keine Interviews mehr geben zu wollen.

Peter Handke gewann den Literaturnobelpreis 2019. Gleichzeitig verkündete das Vergabekomitee die Verleihung des Preises für das Jahr 2018 an die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk. Beide Preise wurden in diesem Jahr verliehen, weil die Akademie 2018 aufgrund eines Vergewaltigungsskandals nicht beschlussfähig war.