Wer hat eigentlich plötzlich diesen angeblichen Widerspruch von Ökologie und Demokratie herbeikonstruiert? Bestimmt nicht die paar Tausend ultrahöflichen "Rebellen" von Extinction Rebellion (XR), die ein paar Kreuzungen blockiert haben. Auch nicht der etwas zwielichtige britische Aktivist von XR, den hier kein Mensch kennt, der einen in der Tat dummen und grundfalschen Satz gesagt hat. ("Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, dann wird Demokratie irrelevant." Nein, das wird sie nie.) Vielmehr war es die amtierende Bundesregierung höchstselbst, die dieses Fass aufgemacht hat, um ihr dürftiges Klimapaket zu legitimieren. Das hat sie nämlich nicht mit dem Nachweis verteidigt, dass sich auf diesem Wege die Klimaziele mit großer Sicherheit doch noch erreichen lassen. Ebenso wenig haben Kanzlerin Merkel und ihr Vize Scholz zur politischen Stärkung des schwachen Pakets ihre Namen und Ämter verpfändet, wie das noch bei der Finanzkrise der Fall war. Stattdessen wurde die Groko prinzipiell.

Angela Merkel sagte, Politik sei halt die Kunst des Möglichen, und hat seither bei mehreren Gelegenheiten den Wert des Kompromisses in der Demokratie unterstrichen. Auch die Umweltministerin Svenja Schulze verteidigte das Paket im Gespräch mit der ZEIT so: "Man muss das demokratisch lösen." Dabei hatte niemand von Belang vorgeschlagen, zum Zwecke der Klimarettung die Demokratie infrage zu stellen. Dass die Regierung ihr Klimapaket dennoch weniger klimapolitisch, sondern demokratietheoretisch rechtfertigte, zielte auf etwas anderes: Merkel, Schulze und andere wollten sagen, dass sie das demokratisch maximal Mögliche beschlossen haben. Sie suggerierten damit, dass Forderungen, die deutlich darüber hinausgingen, nur noch mit undemokratischen Mitteln zu realisieren wären.

Im Grunde ein ungeheuerlicher Vorgang: Diese müde, ausgepowerte, ängstliche Regierung erklärt sich klimapolitisch zum Maß des Möglichen. Um die ganze Anmaßung, die darin steckt, zu ermessen, muss man sich die Vorgeschichte des Klimapakets noch einmal vor Augen führen: Die Groko unterschreibt in Paris ein Klimaabkommen, das hierzulande tiefgreifende Veränderungen nach sich ziehen müsste. Und schweigt dann dazu, macht es auch nicht zum Thema des Wahlkampfs von 2017. Im Gegenteil: Es war die Union, die noch im vergangenen Winter gegen alle ihr unterkommenden ökologischen Vorschläge anschrie. Und es war die SPD, die noch bis in den Frühsommer hinein glaubte, den Kontakt zum Arbeiter durch möglichst drastische verbale Ausfälle gegen grüne Forderungen wiederherstellen zu können, Andrea Nahles tat das auf der Vorderbühne, Sigmar Gabriel auf vielen Hinterbühnen.

Nicht weil die Groko die Mehrheit hat, hat sie so entschieden – sondern weil sie sie nicht mehr hat

Statt also durch administrative und argumentative Vorarbeiten den Boden für eine pariskonforme Klimapolitik zu bereiten, machte die Groko genau das Gegenteil: Sie tat so, als müsse nach 14 Jahren gefühlter grüner Alleinregierung endlich Schluss sein mit all den klimapolitischen Übertreibungen.

So erzählt ein Verhandler der SPD, es sei nicht möglich gewesen, mit einer höheren CO2-Bepreisung einzusteigen, weil die Sozialdemokraten den dafür nötigen sozialen Ausgleich öffentlich nicht hinreichend vorbereitet hätten. Schlechter vorbereitet konnte eine Regierung also gar nicht an ein Klimapaket gehen, das sie von sich aus ohnehin nicht geplant hatte, sondern nur auf maximalen äußeren Druck in Angriff nahm – spät, hektisch und unwillig. Und das, was nach dieser kontraproduktiven, ja katastrophalen Vorbereitung dann nächtens herauskam, sollte plötzlich das Maß des demokratisch Möglichen sein? Was für eine Frechheit! 

Die Wahrheit ist: Nicht weil die Groko die Mehrheit hat, hat sie so entschieden – sondern weil sie sie nicht mehr hat, weil sie bei vierzig Prozent liegt, Tendenz sinkend. Und das schon ganz ohne das Thema Klimaschutz. Die Koalition hat offenkundig nicht getan, was die Vertragslage von Paris einfordert, aber eben auch nicht, was die Demokratie halt nun mal so hergibt – sondern nur, was die eigene Angst ihr diktierte. Die politische Schwäche von Union und SPD wird zum letzten Schrei der Demokratie erklärt. Ein demokratischer Frevel.