Pkw-Maut:"Ein skandalöser Vorgang"

Bundestag - Aktuelle Stunde im Bundestag

In der Maut-Affäre verteidigte sich Minister Andreas Scheuer nicht nur vehement und gestenreich im Bundestag, sondern attackierte auch den Rechnungshof mit einem umstrittenen Schreiben.

(Foto: Lisa Ducret/dpa)
  • Bei der Aufarbeitung des Mautdebakels ist klar: Entscheidende Gespräche und Treffen von Verkehrsminister Scheuer mit Mautbetreibern tauchen in den Akten nicht auf.
  • Am Dienstag musste Scheuer gleich fünf weitere Geheimtreffen seines Hauses mit den Mautbetreibern einräumen, die im Ministerium nicht dokumentiert wurden.
  • Insidern zufolge sollen Vertreter der Betreiber Scheuer vorgeschlagen haben, die Mautverträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen.

Von Markus Balser, Martin Kaul und Wolfgang Wittl

Die Offenheit seines Ministeriums sollte per Bild ins ganze Land gehen. Als Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) das Mautdebakel Ende Juli im Verkehrsausschuss des Bundestags erklären musste, da schob er selbst für die laufenden Kameras einen ganzen Rollwagen voller Akten vor sich her, um sie den Abgeordneten zu übergeben. Scheuer ging nach dem Scheitern des CSU-Prestigeprojekts vor dem Europäischen Gerichtshof und angesichts drohender Schadenersatzforderungen der Betreiber in die Offensive: Mauscheleien habe es nie gegeben, erklärte der Minister und kündigte an: "Wir stehen für maximal mögliche Transparenz."

Doch genau daran gibt es erhebliche Zweifel. Denn inzwischen ist klar: Entscheidende Gespräche und Treffen tauchen in den Akten nicht auf. Am Dienstag musste Scheuer gleich fünf weitere Geheimtreffen seines Hauses mit den Mautbetreibern einräumen, die im Ministerium nicht dokumentiert wurden. Eine brisante Erkenntnis, denn im Raum steht ein schwerer Verdacht. Laut Insidern sollen Vertreter der Betreiber Scheuer vorgeschlagen haben, die Mautverträge erst nach dem EuGH-Urteil zu unterzeichnen. Schadenersatzforderungen von bis zu 700 Millionen Euro, die nun im Raum stehen, hätte das wohl verhindert.

Die Treffen hätten nur "dem allgemeinen Austausch" gedient, so das Ministerium

Wie gefährlich die Affäre Scheuer werden kann, machen Reaktionen von Fachleuten klar. "Das ist ein skandalöser Vorgang", sagt der Konstanzer Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften, Wolfgang Seibel, der Süddeutschen Zeitung. Nicht protokollierte Geheimtreffen, die Auswirkungen auf Entscheidungen von Regierung und Verwaltung hätten, noch dazu mit finanziellen Folgen, seien "vollkommen undenkbar". Sollte ein Mitglied der Bundesregierung an solchen Treffen mit Folgen für den Bundeshaushalt selbst beteiligt gewesen sein und den Verzicht auf einen aussagekräftigen Besprechungsvermerk geduldet haben, "wäre ein Rücktritt unausweichlich", sagt Seibel. Die Regierungsvorgaben sind klar: Nur durch ordnungsgemäße Aktenführung werde ein rechtsstaatlicher Verwaltungsvollzug, eine Rechtskontrolle durch Gerichte sowie Aufsichtsbehörden und eine Überprüfung durch die Parlamente gewährleistet, heißt es in einer Stellungnahme zur Transparenz vom Mai. Alle Beschäftigten einer Behörde seien dem Prinzip verpflichtet. Zu den aktenrelevanten Unterlagen zählten die "entscheidungserheblichen Informationen" - egal wie sie die Behörde erreichen. Also auch Gespräche.

Das Ministerium versucht die Lücken in den Akten zu rechtfertigen. Bei einigen Gesprächen sei es nur zum kurze Gespräche "zum Sachstand" gegangen - im Rahmen eines üblichen politischen Gedankenaustauschs, hieß es am Abend. So unwichtig, dass keine Informationen da gewesen wären, die in den Akten hätten landen müssen. Bei anderen sei es rein um politisches Handeln und nicht um Verwaltungsvorgänge gegangen. Das habe keine Aktenrelevanz. Doch vor allem die Umstände vor allem eines Treffens lassen nach Informationen von SZ, WDR und NDR erhebliche Zweifel daran aufkommen. Es fand am 3. Oktober 2018 zwischen Scheuer, seinem damaligen Staatssekretär Gerhard Schulz sowie den Spitzen der Mautbetreiberfirma Kapsch statt - vierzehn Tage bevor die Firma schließlich am 17. Oktober 2018 ihr milliardenschweres Angebot für die Maut-Umsetzung einreichte - und nur wenige Tage bevor Kapsch einen Zuschlag für einen weiteren Vertrag seitens des Bundes erhielt. Unbeantwortet ist bislang, worum es in dem Treffen inhaltlich ging. Das Bundesverkehrsministerium wollte sich dazu auf Anfrage am Mittwoch nicht äußern. Auch wo das Treffen stattgefunden hat und warum es an einem Feiertag stattfand, wollte das Ministerium nicht mitteilen.

Was dagegen bekannt ist: Kurz nach dem Treffen, am 10. Oktober, erhielt Kapsch die Nachricht, dass die Österreicher vom Bund für einen kleineren Mautvertrag ausgewählt werden sollten - dem zur Kontrolle des Projektes. Dass es bei dem Treffen in der entscheidenden Phase auf höchster Ebene allein um einen belanglosen Gedankenaustausch ohne Folgen für Ministeriumsentscheidungen ging, halten Insider für unglaubwürdig. Kapsch teilte mit, das Unternehmen habe sich gegenüber dem Bund zur Verschwiegenheit verpflichtet und könne Fragen zu dem Treffen nicht detailliert beantworten. Die Grünen fordern bereits die Ablösung Scheuers. Auch die Liberalen sind angesichts der Lücken in den Akten alarmiert. "Wenn es dazu keine Unterlagen gibt, dann stimmt etwas nicht", sagt der FDP-Verkehrspolitiker Christian Jung. Scheuer sei als Minister alles andere als ein Profi. "Mit dieser Erkenntnis muss vor allem die CSU leben", sagt Jung.

Die Neuaufstellung der SPD-Spitze bewahrt Scheuer vor Ungemach

Scheuers Schicksal dürfte wohl vor allem davon abhängen, wie lange die CSU das selbst noch will. Denn wieder und wieder hagelt es unerfreuliche Botschaften aus Scheuers Ressort. Parteichef Markus Söder ist dafür bekannt, Ämter kühl und konsequent neu zu besetzen, wenn er darin einen Vorteil erkennt. So hat er es bei den Kabinettsbildungen in Bayern gehalten, für die Posten in Berlin braucht er nicht einmal die Zustimmung der Fraktion. Die Bundesminister sind dem Parteichef ausgeliefert. Muss Scheuer also schon jetzt um seinen Job fürchten?

Offen will sich in der CSU niemand äußern. Die Lage sei längst nicht so ernst, dass die Partei ihre Solidarität bekunden müsse, sagen die einen. Andere wollen schlicht nicht mit einem Plädoyer pro Scheuer in Verbindung gebracht werden. So sehr Parteifreunde mit dem Krisenmanagement des Verkehrsministers hadern, so sehr schätzen sie allerdings auch dessen Robustheit in zentralen Fragen. Bei der Mobilitätswende oder bei der Ablehnung des Tempolimits ist Scheuer ein rustikaler Verfechter von CSU-Interessen.

Vor allem eines aber bewahrt Scheuer vor Ungemach: Die Neuaufstellung der SPD-Spitze und die damit verbundenen Unsicherheiten für die Zukunft der Koalition lassen einen Ministertausch für die CSU wenig sinnvoll erscheinen, wenn das Personal womöglich ohnehin neu sortiert werden muss. Und warum einen Nachfolger mit unangenehmen Altlasten beladen, die auch Scheuer noch wegschaffen kann? Schließlich droht ihm sogar ein Untersuchungsausschuss. Wie Söder die Causa Scheuer langfristig beurteilt, wagt in der Partei derzeit niemand vorherzusagen. Das hinge wohl davon ab, wie unerfreulich die Botschaften aus Berlin noch werden.

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