Der designierte Vizepräsident für Klimaschutz in der Europäischen Kommission will rasch einen weitreichenden Gesetzesentwurf vorlegen. Frans Timmermans kündigte bei seiner Anhörung im Europaparlament in Brüssel an: "Ich werde innerhalb der ersten 100 Tage meiner Amtszeit ein Klimaschutzgesetz vorschlagen, das das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 in der EU-Gesetzgebung verankert." Zudem wolle er umgehend damit beginnen, ehrgeizigere Ziele für die Zeit bis 2030 zu erarbeiten.

Timmermans wird in der neugewählten Europäischen Kommission den Bereich Klimaschutz verantworten. Der Sozialdemokrat will den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid deutlich reduzieren. "Ich werde einen Legislativvorschlag vorlegen, der uns helfen wird, die Emissionen um mindestens 50 Prozent zu senken – oder noch besser sogar um 55 Prozent", sagte Timmermans. Offiziell hat sich die EU bisher vorgenommen, eine Reduzierung von 40 Prozent zu schaffen.

Über 55-Prozent-Ziel soll noch entschieden werden

Einige Abgeordnete sehen das Ziel von 55 Prozent bis 2030 jedoch kritisch. Timmermans verwies darauf, dass zunächst weitere Analysen zur Machbarkeit und den Auswirkungen abgeschlossen werden sollten. Erst danach würde entschieden.

Frankreich, Spanien, die Niederlande, Portugal, Schweden, Dänemark, Lettland und Luxemburg hatten sich jüngst bereits in einem Brief an Timmermans hinter das 55-Prozent-Ziel gestellt. Deutschland unterzeichnete den Brief nicht, obwohl Kanzlerin Angela Merkel (CDU) das Ziel zuletzt bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte unterstützt hatte.

Es ist auch noch unklar, was das Klimaschutzgesetz neben dem Neutralitätsziel noch beinhalten soll. Der designierte EU-Vizepräsident sagte, er brauche noch etwas Zeit, um zu prüfen, wie weit man gehen könne. Klar sei aber zum Beispiel, dass es auch zusätzliche Maßnahmen für den Luftverkehr und die Schifffahrt brauchen werde.

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"Mehr als 90 Prozent der Europäer wollen, dass wir handeln"

Mit Blick auf Sorgen der Wirtschaft verwies Timmermans darauf, dass die EU den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zum Jahr 1990 bereits heute um 22 Prozent reduziert habe – bei einem Wirtschaftswachstum um 58 Prozent. "Wir haben gezeigt, dass der Kampf gegen den Klimawandel der europäischen Wirtschaft nicht schadet", sagte der Sozialdemokrat. Er wolle kein autofreies Europa, aber mehr emissionsfreie Autos in Europa.  

Timmermans bat die Europaabgeordneten zum Schluss der Anhörung um Rückendeckung für eine ambitionierte Klimapolitik. "Mehr als 90 Prozent der Europäer wollen, dass wir handeln", sagte er. Dies sei eine einmalige Gelegenheit, um zu demonstrieren, wozu Politikerinnen und Politiker gut seien.

Dass Timmermans für seine neue Position die notwendige Zustimmung des Europaparlaments bekommt, gilt als sicher. Die zukünftige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bereits im Juli angekündigt, in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit einen "Green Deal für Europa" vorzuschlagen, zu dem auch das erste europäische Klimagesetz zählen soll.

Der Grüneneuropaabgeordnete Bas Eickhout äußerte sich nach der Anhörung skeptisch. Aus seiner Sicht bestehe das Risiko, dass der Green Deal eine Sammlung unverbindlicher Strategien bleibe, kritisierte er. Die richtigen Absichten zu haben und vielversprechende Worte zu finden, sei nicht genug. Es brauche mehr konkrete Schritte. 

Laut den Erkenntnissen von Klimawissenschaftlerinnen- und wissenschaftlern müssen die Nettoemissionen von Kohlenstoffdioxid in den nächsten 20 bis 30 Jahren rasch auf null gesenkt werden, wenn die Erderwärmung 1,5 Grad nicht übersteigen soll. Klimaneutralität bedeutet, dass die allermeisten Treibhausgase eingespart werden und der Rest ausgeglichen werden muss, etwa durch Aufforstung oder Speicherung. Die Forscherinnen und Forscher mahnen, dass nur noch maximal zehn Jahre Zeit bleiben, um die Emission so drastisch zu senken, dass bis 2050 die Neutralität erreicht wird.