Mit seinem Urteil zu Beschimpfungen gegen die Grünenbundestagsabgeordnete Renate Künast hat das Berliner Landgericht parteiübergreifend Empörung und Unverständnis ausgelöst. Die Politikerin war vor Gericht mit dem Versuch gescheitert, gegen die teils extremen Hassposts auf Facebook vorzugehen.

"Dieses fatale Urteil, welches eines Rechtsstaats unwürdig ist, berührt uns alle", sagte die FDP-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Sprache sei nicht nur Kommunikation, sondern Ausdruck von respektvollem, kultiviertem Miteinander. "Wenn diese Kultur nicht mehr juristisch geschützt wird, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis den Worten Gewalt folgt." Ähnlich äußerte sich auch Künasts Parteivorsitzender Robert Habeck: "Wir wissen inzwischen, dass aus gewaltbereiter Sprache wirkliche Gewalt wird, also dass aus dem Appell, zu jagen, wirkliche Jagd auf Menschen wird."

Die Grünenfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sagte: "Bei allem Respekt vor unseren Gerichten: Was Renate Künast hier an widerlichen Beleidigungen erhalten hat, sollte niemand ertragen müssen." Meinungsfreiheit habe Grenzen, wenn zu Gewalt gegen Personen aufgerufen oder widerliche Hetze betrieben werde. Linke-Vorsitzende Katja Kipping sagte: "Diese Form von Hass wird noch immer zu sehr verharmlost."

"Wenn uns an der Demokratie gelegen ist"

Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich vor die ehemalige Landwirtschaftsministerin gestellt: "Wenn uns an der Demokratie gelegen ist, muss der politische Wettstreit vor Gewalt geschützt werden", sagte er dem Tagesspiegel in einem Interview, das am Samstag erscheint. Als es im vergangenen Sommer zu ähnlich starken Beschimpfungen gegen seine Stellvertreterin Claudia Roth (Grüne) kam, hatte er sich für strengere Strafen für Hassrede im Netz ausgesprochen.

Die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbunds Maria Wersig sagte, Gewaltschutz sei ein Thema, das alle Ebenen des Staats angehe. "Und wir reden bei den genannten Beispielen verbaler Übergriffe über nichts anderes als Gewalt." Künast war unter anderem als "Stück Scheisse" und "Geisteskranke" bezeichnet worden, es kam auch zu Aufrufen zu Gewalt. Das Gericht wertete sie als "zulässige Meinungsäußerungen" und lehnte Künasts Antrag ab, Facebook zu einer Herausgabe der personenbezogenen Daten der Urheber zu verpflichten, um zivilrechtliche Schritte einleiten zu können.

"Das Urteil auf keinen Fall hinnehmen"

Dem Deutschlandfunk sagte Künast, sie wolle das Gerichtsurteil "auf keinen Fall hinnehmen und in die nächste Instanz gehen". Besonders in juristischen Kreisen gebe es viel "Entgeisterung darüber, was die da eigentlich zusammengeschrieben haben". Das Urteil sei ein Signal, dass die "sprachliche Verschiebung nach rechts außen" toleriert werde. Es müsse jedoch klargestellt werden, "wo die rote Linie ist". Die Politikerin will, wenn es nötig sein sollte, bis vor den Bundesgerichtshof ziehen, wie sie dem Tagesspiegel sagte. Die "systematische Sprachverschiebung", die Ziel aller sei, die in sozialen Netzwerken auf diese Weise hetzen, müsse verhindert werden.

Die Organisation HateAid, die sich für die Rechte von durch Hassrede im Netz Betroffener einsetzt, kündigte an, das Beschwerdeverfahren der Politikerin zu finanzieren. "Dass im politischen Meinungskampf auch mal mit härteren Bandagen gekämpft werden darf, ist gut und richtig", sagte die Geschäftsführerin von HateAid Anna-Lena von Hodenberg. Allerdings stehe es für ihre Organisation außer Frage, dass die Grenze der Meinungsfreiheit in diesem Fall "weit überschritten" und die Begründung des Landgerichts "nicht nachvollziehbar" sei. Die Entscheidung setze "ein fatales Zeichen für alle, die sich in unserem Land für Demokratie und einen zivilisierten Umgang im Netz einsetzen".