Steffen Bukold ist unabhängiger Energieexperte aus Hamburg. Er beobachtet und vergleicht die Strategien der großen Energieunternehmen und berät zu allen relevanten Energieträgern.

ZEIT ONLINE: Herr Bukold, der Angriff auf zwei Ölanlagen in Saudi-Arabien hat zu einem sprunghaften Anstieg des Ölpreises geführt. Kann ein einzelner Vorfall wie dieser tatsächlich eine Ölknappheit im Markt auslösen?

Steffen Bukold: Ein großer Anschlag auf die saudische Infrastruktur kann mittelfristig zu einer Verknappung führen, aber im Moment haben wir kaum Informationen darüber, wie stark die Schäden an den betroffenen Anlagen sind und wie lange die Reparaturen dauern werden. Nach Angaben des saudischen Staatskonzerns Aramco soll eine Reparatur recht rasch möglich sein, aber es fehlen Details. In der Zwischenzeit soll die Versorgung über Tanklager oder andere Notmaßnahmen sichergestellt werden.

ZEIT ONLINE: Hat Saudi-Arabien ausreichend Kapazitäten und Reserven, um das zu gewährleisten?

Bukold: Es kommt darauf an, wie lange diese Reparaturen dauern werden. Wenn es nur eine kurzfristige Störung ist, dann auf jeden Fall. Die Saudis verfügen über Tanklager im eigenen Land und in verschiedenen Teilen der Welt und können von dort aus direkt ihre Kunden beliefern. Probleme entstehen eher im Detail, ob zum Beispiel tatsächlich die Rohölsorte verfügbar ist, die eine Raffinerie braucht, oder ob bestimmte petrochemische Rohstoffe vorrätig sind.

ZEIT ONLINE: Trotzdem gab es zum Handelsbeginn an diesem Montag einen Preisanstieg von bis zu 20 Prozent. Wie groß ist die Verunsicherung am Markt?

Bukold: Der Ölmarkt ist immer auch ein Finanzmarkt und nicht nur ein Rohstoffmarkt. Auch geht es an den Ölbörsen nicht um Lieferungen am nächsten Tag, sondern in den kommenden Monaten. Insofern werden heute also vor allem Erwartungen und Einschätzungen von Spekulanten gehandelt, die auf eine Verschärfung der Lage setzen. Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, denn solange man die näheren Umstände der Anschläge nicht kennt, können sie sich jederzeit wiederholen. Die Lage am Persischen Golf ist also tatsächlich unübersehbar geworden.

ZEIT ONLINE:Die USA beschuldigen den Iran, den Angriff verübt zu haben. Welches Kalkül könnte der Iran verfolgen, wenn er tatsächlich verantwortlich wäre?

Bukold: US-Präsident Donald Trump geht es wohl eher um die anstehenden Vorwahlen in den USA und sein Image in den Medien und weniger um eine Klärung der Lage. Bisher kann niemand belegen oder auch nur plausibel machen, wer hinter den Anschlägen steckt. Natürlich denkt man zuerst an den Iran, aber jetzt sollte man erst einmal kühlen Kopf bewahren.

ZEIT ONLINE: Das Niveau auf dem Ölmarkt ist seit Jahren sehr niedrig. Warum kann jetzt ein einzelnes Ereignis eine derartige Verunsicherung und einen solchen Ausschlag im Preis auslösen?

Bukold: Der Markt wirkt schon seit ein paar Jahren tiefenentspannt. Alle verlassen sich auf das amerikanische Schieferöl. Selbst Angriffe auf Tanker wie im Frühsommer oder Hurrikans nehmen die Ölbörsen achselzuckend zur Kenntnis. Das liegt zum Teil an der in der Tat sehr guten Ölversorgung. Eine Verknappung scheint in weiter Ferne und bei allem Säbelrasseln ist ja auch wenig passiert seit den Neunzigerjahren. Aber auch psychologische Gründe spielen eine Rolle. Die Spekulantenszene wird stark von den USA geprägt, die mittlerweile im Öl schwimmen und sogar Rohöl in großen Mengen exportieren. Da scheint eine Versorgungskrise schwer vorstellbar.

ZEIT ONLINE: Weshalb hat sich der Markt überhaupt in den letzten Jahren so verändert?

Bukold: Die größte Veränderung im vergangenen Jahrzehnt ist der steile Anstieg der Schieferölmengen in den USA, die lange Zeit als nicht förderbar galten, aber mittlerweile durch neue Frackingverfahren mit nur geringen Kosten produziert werden können. Schieferöl kam also praktisch aus dem Nichts und versorgt jetzt bereits 8 Prozent des globalen Ölbedarfs. In wenigen Jahren wohl schon über 12 Prozent. Die lange befürchtete globale Ölverknappung, Stichwort Peak Oil, fand also nicht statt.

ZEIT ONLINE: Warum?

Bukold: Russland ist nach wie vor auf dem Höhepunkt seiner Förderleistung. Saudi-Arabien kann genauso viel fördern wie vor zehn Jahren. Die USA haben ihre Produktion verdreifacht. Andere Länder wie Irak oder Brasilien steigern ihre Produktion Jahr für Jahr. Selbst in der Nordsee wird noch relativ viel gefördert.

ZEIT ONLINE: Profitieren die USA auch von dem Konflikt innerhalb des Ölkartells Opec?

Bukold: Es ist eher von Vorteil für die amerikanischen Ölproduzenten, wenn das Ölkartell Opec gut funktioniert und durch Förderkürzungen das Angebot verknappt und damit den Ölpreis immer wieder stabilisiert. Davon profitieren letztlich alle anderen Produzenten.
Als die Saudis Ende 2014 eine Zeit lang den Markt nicht mehr stabilisieren wollten, sondern ihre Marktanteile verteidigten, sackte der Ölpreis in wenigen Monaten auf 30 Dollar je Barrel. Die amerikanische Schieferölbranche stand damals kurz vor dem Kollaps.