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Medien Thomas Middelhoff

„Alles ist weg, und es macht mir nichts aus“

Medienredakteur
20.08.2019, Berlin: Der ehemalige Topmanager Thomas Middelhoff sitzt anlässlich der Vorstellung seines neuen Buchs mit dem Titel "Schuldig. Vom Scheitern und Wiederauferstehen" im Haus der Bundespressekonferenz. Der frühere Vorstandsvorsitzende wurde 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zu drei Jahren haft verurteilt. Inzwischen berät er Start-ups. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ 20.08.2019, Berlin: Der ehemalige Topmanager Thomas Middelhoff sitzt anlässlich der Vorstellung seines neuen Buchs mit dem Titel "Schuldig. Vom Scheitern und Wiederauferstehen" im Haus der Bundespressekonferenz. Der frühere Vorstandsvorsitzende wurde 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zu drei Jahren haft verurteilt. Inzwischen berät er Start-ups. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
„Alles ist weg, und es macht mir nichts aus": Thomas Middelhoff in Berlin
Quelle: dpa
In Berlin stellt der verurteilte Ex-Manager sein neues Buch vor. Es handelt von seiner moralischen Schuld. Kann eine Auferstehung als Mensch über den Weg öffentlicher Selbstbezichtigung führen?

„Ich muss nicht mehr die wichtigste Person im Raum sein“, sagt Thomas Middelhoff heute über sich. In dem Satz steckt viel aus der Vergangenheit des Mannes, denn er war es gewohnt, diese Person zu sein oder sein zu wollen. Middelhoff, der einmal zu den wichtigsten deutschen Managern gehörte und darum „Big T“ genannt wurde, und der danach tief fiel.

Weil er im November 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue und Steuerhinterziehung als Chef von Arcandor zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt worden war, zwei Jahre darauf vorzeitig entlassen wurde, beruflich und privat ruiniert, gesundheitlich beeinträchtigt durch eine seltene Autoimmunkrankheit, die er in der Haft entwickelte.

An diesem Dienstagvormittag im Berliner Gebäude der Bundespressekonferenz steht Middelhoff nun doch einmal wieder im Mittelpunkt. Riesig ist er nicht, der Raum, in dem er sein neues Buch vorstellt, das den Titel „Schuldig“ trägt. Eher überschaubar, ein hinteres Zimmer in dem Komplex in der Nähe des Reichstages. Hier werden die Bundespressekonferenzen abgehalten, finden aber auch regelmäßig Präsentationen aller Art statt, für die man Räume buchen kann.

So wie die Pressekonferenz von Middelhoff und seinem Verlag Adeo, der Bücher zu Lebenshilfe, Familie und Glauben herausgibt und in dem auch das Buch „Steh auf Mensch“ von Samuel Koch erschienen ist, dem bei „Wetten, dass..?“ verunglückten Turner.

Großes Medieninteresse

Vor Beginn des Termins werden noch einige Fotos gemacht, Middelhoff sitzt auf der großen Treppe im Atrium. Schlank ist er wie eh und je, trägt dunkelblaue Hose und weißes Hemd, der obere Hemdknopf offen, der 66-Jährige sieht, anders als nach seiner Entlassung, gut aus. Einige Kamerateams sind da, Fotografen und Journalisten, zwei Dutzend Menschen vielleicht. Middelhoff, der ehemalige Titan, macht immer noch neugierig, eine Massenattraktion ist er aber nicht mehr.

Die Journalisten sind ein bunter Mix, das „Handelsblatt“ ist da wie das „Teltower Stadtblatt“, der „Economist“ und Vertreter christlicher Medien, die „Frau im Spiegel“ und „Brisant“, ein Boulevardmagazin der ARD. Diese beachtlich breite Streuung hat damit zu tun, dass Middelhoff vom großen Thema für die Wirtschaftspresse auch zu einem menschlichen Schicksal geworden ist, über das sich gut berichten lässt.

20.08.2019, Berlin: Der ehemalige Topmanager Thomas Middelhoff präsentiert bei einer Pressekonferenz sein Buch mit dem Titel "Schuldig. Vom Scheitern und Wiederauferstehen". Der frühere Vorstandsvorsitzende wurde 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zu drei Jahren haft verurteilt. Inzwischen berät er Start-ups. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
"Schuldig" lautet der Titel des neuen Middelhoff-Buches
Quelle: dpa

Thomas Middelhoff befindet sich damit in einer neuen Phase seines Lebens, auf die er recht zielstrebig hingearbeitet hat. Er war der Mann, der bei dem Gütersloher Medienweltkonzern Bertelsmann strahlte, der nach einer überraschenden Trennung im Juli 2002 Partner einer Investmentfirma wurde und der dann im Mai 2005 antrat, den damals bereits angeschlagenen Konzern Karstadt-Quelle zu sanieren, und scheiterte.

In dieser Phase des Niedergangs wurde Middelhoff für große Teile der Öffentlichkeit zum Inbegriff des gierigen, fehlgeleiteten Managers, der Boni kassierte und das Wochenende in seinem Haus in Saint-Tropez verbrachte, während seine Mitarbeiter auf die Straße gesetzt wurden. Seine Verurteilung hält er bis heute für fragwürdig, unverhältnismäßig sowieso, noch im Gerichtssaal wurde er damals in Haft genommen. Er wiederholt seit Jahren, dass Karstadt-Quelle beziehungsweise Arcandor mit ihm nicht in die Pleite gegangen wäre.

Die Todsünden als Ursache des Scheiterns

„Schuldig“ sieht er sich darum nicht im juristischen Sinn, schuldig sieht er sich aber als Mensch. „Ich habe maßlos gelebt“, sagt er. Schreibt in seinem Buch die Todsünden auf, denen er erlegen sei: Hochmut, Narzissmus, Gier, Neid, Wollust, Maßlosigkeit und Zorn. Maximaler kann man sich wohl selbst nicht abstrafen, und das in aller Öffentlichkeit.

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Und nun die nächste Phase – der Versuch, eine Art Ratgeber für andere Menschen zu werden. Selbsthilfeguru würde man überspitzt sagen, aber das klänge wohl wieder so größenwahnsinnig, wie Middelhoff sich zwischenzeitlich gefühlt haben muss. Nein, Selbsthilfecoach ist er zumindest noch nicht, Middelhoff nennt sich bei der Vorstellung „Ex-Manager, Ex-Häftling und versuchsweise Buchautor“.

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In Raum 4 der Bundespressekonferenz schaut ein überlebensgroßer Kopf von Middelhoff von einigen Aufstellern. Einmal hat er die Augen geschlossen, einmal offen. Demut sei eine der wichtigsten Tugenden, die er früher nie empfunden habe. Die Fotos vor schwarzem Hintergrund sollen nun diese Demut ausdrücken. Wie sehr sich die Schuldfrage, die früher ausschließlich eine äußerst komplizierte rechtliche Angelegenheit war (ein Ermittlungsverfahren läuft derzeit noch), zu einer moralischen Größe entwickelt hat, zeigt das Interesse der Journalisten.

Die werden nämlich zum Einstieg von der Moderatorin des Verlages aufgefordert, sich vorzustellen und ihre wichtigsten Fragen zu stellen. Welche Rolle spielt Gott in Ihrem Leben, fragt also jemand. Würden Sie nicht doch lieber wieder das Leben führen, das Sie früher hatten? Woher kommt ihr ansteckendes Lächeln? Und: Wollen Sie jetzt auch bei der öffentlichen Buße der Größte sein? Middelhoff nickt bei vielen Fragen leicht mit dem Kopf, er hat sie sich selbst vermutlich schon gestellt.

20.08.2019, Berlin: Der ehemalige Topmanager Thomas Middelhoff präsentiert bei einer Pressekonferenz sein Buch mit dem Titel "Schuldig. Vom Scheitern und Wiederauferstehen". Der frühere Vorstandsvorsitzende wurde 2014 vom Landgericht Essen wegen Untreue zu drei Jahren haft verurteilt. Inzwischen berät er Start-ups. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
„Ich habe maßlos gelebt“: Thomas Middelhoff hat sein Leben geändert
Quelle: dpa

Und beantwortet nun alle zuvorkommend. Er habe alles verloren, sagt er, seine Privatinsolvenz läuft bis 2020. „Ich war gebrochen“, sagt er. Seine Villen und seine Luxusyacht verkauft. Seine Ehe geschieden. Kein Unternehmen würde ihn heute noch einstellen. „Alles ist weg, und es macht mir nichts aus.“ Gerade weil Middelhoff ganz oben war, glaubt er, dass ihn das für Lebenshilfe eher prädestiniert als Menschen mit weniger Höhen und Tiefen im Leben.

Aber was will er den Leuten mitgeben? Ratschläge in seinem Buch, für den Anfang. So wie den, dass einen Leistung nach oben bringt, es aber der Charakter ist, der einen dort oben auch hält. Oder den, sich nicht abhängig zu machen von materiellen Dingen. Ihm selbst habe der Glaube geholfen, sagt der Katholik.

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Seinem Buch hat er ein Zitat von Samuel Beckett über das Scheitern vorangestellt, das sich die Start-up-Szene zu eigen gemacht hat: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Besser scheitern, das klingt gut, aber was heißt es wirklich?

„Jeder hat eine zweite Chance verdient“, merkt jetzt ein Herr in der ersten Reihe an, mehr ein Kommentar als eine Frage. Hm, wiegt Middelhoff da den Kopf, schön wäre das ja, doch die deutschen Medien täten sich schwer mit so einer Einstellung. Verantwortlich für seinen Fall sei nur er selbst, bekräftigt er. Und übt dennoch Medienkritik – kein Artikel mit einem „geraden Satz“ könne über ihn erscheinen, sagt er. Und meint vermutlich: einer, der sich nicht des Stilmittels der Verdammung bedient.

Middelhoff kann wieder in den Spiegel schauen

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Das mit dem „geraden Satz“ ist übertrieben, doch den Grund für diese Wahrnehmung hat Middelhoff erkannt: „Ich habe um die Aufmerksamkeit der Medien gebuhlt, und das kam dann als Bumerang zurück.“ In der Tat: Keiner war eloquenter und origineller als Middelhoff in seiner Phase bei Bertelsmann. Für Medien war er ein Magnet.

Und heute, hier in der Bundespressekonferenz, macht er nicht dasselbe wieder? Bedient das Interesse der Medien, die Geschichten von Aufstieg, Fall und Neuerfindung gern hören? Middelhoff mag die Aufmerksamkeit nach wie vor. Er brauche heute allerdings keine Rolle mehr zu spielen, beteuert er. Das habe ihn befreit. Im Gefängnis habe er seinen Anblick nicht mehr ertragen, wenn er sich heute im Spiegel betrachte, sei das ein „unglaublich schönes Gefühl“.

Die Hauptperson der Geschichte, die eigentlich keine Hauptperson mehr sein will, ist geläutert, vielleicht sogar glücklich – aber auch glaubwürdig? Das lässt sich an diesem Vormittag beim besten Willen nicht diagnostizieren. Klar ist nur: Hier ist einer, der davon überzeugt ist, dass seine Auferstehung als Mensch auch über den Weg der öffentlichen Selbstbezichtigung führen kann. Am Mittwoch wird Thomas Middelhoff zu Gast bei Markus Lanz sein.

„Mir hat der Charakter zum Schluss gefehlt“

Er war Vorstandsvorsitzender bei Bertelsmann, Chef von KarstadtQuelle und galt als Wunderkind der Wirtschaft. Dann wurde Middelhoff zu drei Jahren Haft wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt. Im Interview mit WELT spricht er über sein neues Buch.

Quelle: WELT/Katja Losch

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