Jeder ledert gegen jeden: In Italien regiert nur noch der Hass

Regierungschef und bisheriger Koalitionspartner rechnen mit Salvini ab

Innenminister Matteo Salvini (r.) hat nach eigenem Bekunden genug vom Regieren mit Premier Giuseppe Conte (l.) und Vize Luigi Di Maio. Doch diese schlagen jetzt zurück

Innenminister Matteo Salvini (r.) hat nach eigenem Bekunden genug vom Regieren mit Premier Giuseppe Conte (l.) und Vize Luigi Di Maio. Doch diese schlagen jetzt zurück

Foto: FILIPPO MONTEFORTE / AFP
Von: Albert Link

Hauen und Stechen in der italienischen Regierung!

14 Monate nach Amtsantritt reden die drei mächtigsten Männer in Rom nicht mehr mit-, sondern nur noch übereinander. Per offenen Briefen und sozialer Netzwerke überziehen sich Regierungschef Giuseppe Conte (55, parteilos) und seine Vizepremiers Luigi Di Maio (33, linkspopulistische Fünf-Sterne-Bewegung) und Matteo Salvini (46, ausländerfeindliche Lega) gegenseitig mit Vorwürfen.

Vorläufiger Tiefpunkt: Bei einer Gedenkmesse zur Brücken-Katastrophe von Genua vor einem Jahr (43 Tote) verweigerten die Populisten-Führer Salvini und Di Maio sich gegenseitig den Friedensgruß (Handschlag). Sie vermieden sogar jeden Blickkontakt in der Kirchenbank. Die Fotos der eisigen Abneigung sprechen in den Augen der Italiener Bände.

Hintergrund: Salvini hatte mit Blick auf seine derzeit überragenden Umfragewerte (annähernd 40 Prozent) die Koalition nach einem Streit über eine Schnellzug-Trasse platzen lassen, in der Hoffnung, der Staatspräsident würde noch im Herbst Neuwahlen ansetzen.

Kalte Schulter: Beim Gedenken der Opfer des Brückeneinsturzes von Genua würdigten sichItaliens Vizepremiers Di Maio (links) und Salvini keines Blickes

Kalte Schulter: Beim Gedenken der Opfer des Brückeneinsturzes von Genua würdigten sich Italiens Vizepremiers Di Maio (l.) und Salvini keines Blickes

Foto: LUCA ZENNARO/EPA-EFE/REX

Regierungschef greift Salvini frontal an

Überraschend riss zunächst Regierungschef Conte der Geduldsfaden. Seit Amtsantritt galt er als Befehlsempfänger der beiden ehrgeizigen Parteiführer, die ihn nur deshalb als neutralen Regierungschef installierten, weil sie sich gegenseitig die Führungsrolle nicht gönnten.

Doch der Vielbelächelte entwickelte mehr und mehr eigenes Profil, sammelte still und leise Sympathiepunkte beim Volk. Nun macht der Juraprofessor den Eindruck, dass er sich von Salvini nicht kampflos von der Macht vertreiben lässt.

„Unfaire Zusammenarbeit“, „institutionelle Verstöße“, „politischer Eifer“, „absolute Unnachgiebigkeit“ sind nur einige der Vorhaltungen, die Conte in einem langen, auf Facebook veröffentlichten Brief auf den Rechtspopulisten abfeuert.

Als „Besessenheit“ bezeichnete er gar Salvinis Fixierung auf das Thema Flüchtlinge. Er reduziere alles auf die Formel „geschlossene Häfen“ – weil es ihm persönlich nutzt. „Wenn wir wirklich unsere „nationalen Interessen“ schützen wollen, können wir uns nicht darauf beschränken, Positionen der absoluten Unnachgiebigkeit zu vertreten“, erklärte Conte.

Es sei an der Zeit, eine „zunehmend europäischen Lösung“ anzustreben, sonst werde sich Italien in der EU „völlig isolieren“.

Auch Koalitionspartner rechnet ab

Nicht weniger gepfeffert fällt die Facebook-Abrechnung vom Koalitionspartner Fünf Sterne aus: „Ohne Vorwarnung“ und „ohne Erklärung an die Italiener“ habe Salvini die Regierung platzen lassen und eine Krise ausgelöst, wettert der Fünf-Sterne-Führer. „Es gab einen Vertrag, er zerriss ihn.“

Der Vizepremier unterstellt, dass etlichen Ministern der angekündigte Rücktritt offenbar wegen der zahlreichen Privilegien schwerfalle – und verhöhnt Salvinis Flucht „in die Arme Berlusconis“ (früherer Koalitionspartner der rechten Lega).

Paradox seien seine Beschwerden, dass ihn die Kritik nicht persönlich erreicht habe: „Das sagt ausgerechnet er, der uns nie etwas ins Gesicht gesagt hat. Derjenige, der ohne Grund alles zunichte gemacht hat, der die Regierungskrise aus einem Badeort ausrief, nachdem er sich zwei Wochen Urlaub genommen hat.“

Der Fünf-Sterne-Abgeordnete Alessandro Di Battista (31) ging noch einen Schritt weiter, nannte Salvini einen „Minister für Verrat“: Im „Delirium der Umfragen“ habe er sein eigenes Land geschwächt und damit verraten.

Weiterer Hinweis, wie tief der Riss durch die seltsame Regierungsallianz der Anti-EU- und Anti-Establishment-Parteien geht: Verteidigungsministerin Elisabetta Trenta (Fünf Sterne) widersetzte sich den Anweisungen Salvinis, das NGO-Seenottungsschiff „Open Arms“ in italienisches Gewässer einfahren zu lassen. Sie habe ihre Entscheidung auf Basis „solider rechtlicher Gründe“ getroffen. Und: „Die Politik darf nie die Menschlichkeit aus dem Blick verlieren.“

Der angezählte Minister schießt zurück

Salvini reagierte eingeschnappt, aber für seine Verhältnisse eher defensiv. Er wies vor allem Contes Vorwurf der Illoyalität zurück: „Ich war loyal und werde dies immer bleiben.“

Dann zählte er die Delikte auf, die in der Kriminalitätsstatistik einen Rückgang zum Vorjahr zeigten, was er als sein Verdienst als Innenminister betrachtet. Er bekenne sich „schuldig“ in Bezug auf seine „Besessenheit“, Verbrechen zu bekämpfen, einschließlich der illegalen Einwanderung, schrieb Salvini ebenfalls auf Facebook. Es ist aktuell der einzige Kanal, auf dem Italiens Regierung kommuniziert.

Salvini fügte einen Satz an, der von manchem als Versöhnungsangebot aufgefasst wurde: „Mein Telefon ist immer angeschaltet.“

Erinnerungen an den Absturz von Matteo Renzi

Kommt auch in Salvinis Fall Hochmut vor dem Fall? Beobachter ziehen Parallelen zu Matteo Renzi (44, Sozialdemokrat), dem ehemaligen Überflieger der italienischen Politik.

Nach einem kometenhaften Aufstieg (40,8 Prozent bei den Europawahlen 2014) stürzte der Radikal-Reformer brutal in der Gunst seiner Landsleute ab, als er einen Volksentscheid zu seiner Parlamentsreform ohne Not mit seinem politischen Schicksal verknüpfte.

Ein einziger Patzer kann in Italien das Ansehen eines Politikers auf Lebzeiten ruinieren. Zumindest aber auf Jahre: Renzi ist zurück im Spiel, bastelt mit einem Teil der Sozialdemokraten an einem neuen Bündnis mit den Fünf Sternen.

Auch Renzi rechnete am Wochenende mit der zerstrittenen Populisten-Koalition ab: Weil die Regierung „inkompetent und unfähig“ sei, stecke Italien jetzt in der „verrücktesten politischen Krise der Welt“.

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