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„Strahlen-Tsunami“ – Jetzt formiert sich der Widerstand gegen 5G

Schadet 5G der Gesundheit?

Die 5G-Technologie stellt den neuesten Mobilfunkstandard dar. Sie macht neben flächendeckendem, schnellem Internet ganz neue Anwendungen möglich. Gegner der 5G-Technologie möchten den Ausbau aus gesundheitlichen Gründen verhindern.

Quelle: WELT/Thomas Laeber

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Mit jedem 5G-Mast, der errichtet wird, wächst der Protest gegen das superschnelle, mobile Netz: In Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Gegner haben eine attraktive Erzählung. Und die spielt ausgerechnet in der EU-Hauptstadt.

Selten gelingt es einer regionalen Umweltministerin mit einem einzigen Satz, in der ganzen Welt Schlagzeilen zu schreiben. Die Belgierin Céline Fremault, bis vor Kurzem in der Regionalregierung der Stadt Brüssel zuständig für Lebensqualität und Ökologie, schaffte das Ende März. Eine Anmerkung der 45-jährigen Juristin sauste wie ein Blitz durch ganz Europa, ja sogar bis Übersee: „Die Brüsseler sind keine Versuchskaninchen, deren Gesundheit ich für den Profit verkaufen kann“, hatte Fremault gesagt.

Zwar war das wohl nicht ganz so drastisch gemeint, wie es aus dem Zusammenhang gerissen klang. Dennoch wird Fremault bis heute oft und hartnäckig zitiert, selbst wenn sie nicht mehr im Amt ist, nachdem in Belgien Wahlen waren. Aber ihre Aussage kommt all jenen bestens zupass, die vor dem neuen Mobilfunkstandard 5G als Teufelszeug warnen.

Der Protest gegen das superschnelle, mobile Netz wächst, auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Sorge geht um, dass zusätzliche Masten die Städte und die Landschaft verschandeln. Vor allem aber werden Gesundheitsgefahren heraufbeschworen. Vom „Strahlen-Tsunami“ ist die Rede, und davon, dass alle demnächst „gegrillt“ würden.

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Quelle: WELT

Die bundesweite deutsche Bürgerbewegung „Stoppt 5G“ behauptet, in den Hauptstrahlungsrichtungen von Mobilfunkanlagen gebe es schon jetzt regelrechte „Krebsstraßen“. Von Berlin über Darmstadt, Stuttgart oder Freiburg bis mitten hinein in die sozialen Netzwerke, überall formiert sich daher Widerstand gegen die neue Technologie – oft mit dem Verweis auf Céline Fremault und Brüssel.

Es ist natürlich eine höchst attraktive Erzählung: Ausgerechnet die Hauptstadt Europas, die doch bei der Digitalisierung weltweit ganz vorn mitspielen will, stoppt den 5G-Netzausbau, weil dort rechtzeitig erkannt wurde, wie gesundheitsschädlich die Strahlung des modernen Netzes ist.

Allerdings ist so nicht ganz richtig wiedergegeben, was Céline Fremault eigentlich meinte. Zum einen hatte es bei einem in Brüssel geplanten 5G-Pilotprojekt Streit gegeben zwischen der Regional- und der Bundesregierung, was die Verteilung der Gewinne anging. Zum anderen rührten die Bedenken der Ministerin unter anderem aus der Unsicherheit, ob die Strahlung der neuen Masten so zuverlässig gemessen werden kann wie bisher.

Brüssel hat weltweit mit die strengsten Strahlungsnormen

Außerdem hätte Brüssel seine Strahlungsnormen anheben müssen, was Fremault, nachdem sie in den Wahlkampf eingetreten war, nicht mehr mittragen wollte. Aber ein peinliches Schauspiel für die EU ist das Brüsseler Hickhack in jedem Fall. Schließlich betont die EU-Kommission bei jeder Gelegenheit, Europa wolle eine führende Rolle im aufstrebenden 5G-Markt einnehmen, nur mit dem Wechsel in die nächste Mobilfunkgeneration sei der digitale Wandel zu stemmen.

Schon im Herbst 2016 hat die Kommission daher den 5G-Aktionsplan präsentiert, der ehrgeizige Ziele für die Einführung von 5G ab 2020 enthält. Zumindest in den europäischen Hauptstädten sollte dann alles startklar sein, so der damalige Plan. Das flache Land sollte entlang wichtiger Verkehrsstrecken dann nach und nach folgen.

Die EU-Kommission nennt 5G einen „Schlüsselfaktor der Wettbewerbsfähigkeit“ der EU, der neue Mobilfunkstandard soll das Internet der Dinge möglich machen, das Autos selbst fahren und Zahnbürsten mit der Zahnpastatube kommunizieren lässt. Die EU-Kommission verheißt ein Marktvolumen von 225 Milliarden Euro bereits 2025. Doch dafür müsste 5G bis Ende nächsten Jahres lanciert sein, damit vier bis fünf Jahre später in Städten und entlang wichtiger Transportrouten Dienstleistungen zur Verfügung stehen können.

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Doch Brüssel selbst hat auf dieser Liste der Vorreiter wohl endgültig keinen Platz. Denn auch Fremaults Nachfolger im Amt des Umweltministers, der Grünen-Politiker Alain Maron, hat es alles andere als eilig, um die nötigen Voraussetzungen zu schaffen. Eine Absenkung der Strahlungsstandards? Erst einmal in Ruhe prüfen, gibt er sich entspannt.

Nun muss man wissen, dass die bisher in der belgischen Metropole geltenden Strahlungsnormen zu den strengsten weltweit gehören. Zulässig ist bei 900 Megahertz im GSM-Netz lediglich eine elektrische Feldstärke von 6 Volt pro Meter. Deutschland erlaubt im selben Frequenzbereich 41 Volt pro Meter, für LTE-Netze im Frequenzbereich von 2,8 Gigahertz sind sogar 61 Volt pro Meter zulässig.

Für das Brüsseler Pilotprojekt wäre hingegen lediglich eine Anhebung auf 14,5 Volt pro Meter nötig gewesen, hatten Experten errechnet. Doch auch das will Maron erst erlauben, wenn er dazu belastbare wissenschaftliche Ergebnisse vorliegen hat. Und das kann dauern. Vielleicht passiert es auch nie.

Belgien hat noch keine 5G-Lizenzen versteigert

Auch die Versteigerung der Lizenzen hat in Belgien noch nicht stattgefunden, weil die Wahlen dazwischenkamen. Eine neue Regierung, die das Projekt in Angriff nehmen könnte, ist noch nicht in Sicht. Daher droht der EU-Hauptsitz bei 5G abgehängt zu werden. Immerhin hatte Belgien 2011 einen Weltrekord aufgestellt, als es sage und schreibe 541 Tage benötigt hatte, bis es wieder eine handlungsfähige politische Führung hatte.

Doch auch andernorts stockt es. Bis Juni hatten gerade mal elf der 28 EU-Länder eine nationale Roadmap, also einen Plan für den Umgang mit 5G, nach Brüssel entsandt. Nur 14 Prozent der Frequenzen sind bereits freigeräumt und ab 2020 nutzbar. Bis Juni 2020 sollten aber alle EU-Mitgliedstaaten zumindest das 700 MHz-Frequenzband freigegeben haben, damit es für die mobile Kommunikation genutzt werden kann.

Dienste müssen auf eine andere Frequenz wechseln. Eine ganze Reihe von EU-Staaten dürften Schwierigkeiten haben, die Ziellinie rechtzeitig zu erreichen. Zudem wollen Spanien, Malta, die Slowakei, Polen und Großbritannien erst 2020 Auktionen für die Mobilfunklizenzen durchführen.

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Hinzu kommen Bedenken, was die Datensicherheit von 5G angeht. Dabei geht es unter anderem um die Rolle des chinesischen Netzanbieters Huawei, den die USA der Spionage verdächtigt. Die EU-Mitgliedsstaaten mussten der Europäischen Cybersicherheitsagentur (Enisa) eine Risikobewertung darüber vorlegen, für wie angreifbar sie die neue Infrastruktur in ihrem Land halten.

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Brüssel will nun bis Anfang Oktober eine EU-weite Einschätzung erarbeiten. Eine spezielle Arbeitsgruppe soll dann bis Ende 2019 überlegen, ob neue Zertifizierungsvorschriften, Tests, Kontrollen mehr Sicherheit bescheren könnten. Auch werden womöglich potenziell unsichere Produkte oder Lieferanten identifiziert. Obligatorisch wird all das aber nicht sein: Der Aufbau des 5G-Netzes liegt in der nationalen Kompetenz.

Nun droht ausgerechnet dort, wo Europas Politik und Zukunft entschieden werden soll, nämlich im EU-Viertel und auch bei der Nato, demnächst der große Datenstau. Denn das 4G-Netz, so warnt die belgische Industrievereinigung Agoria, gelangt an diesen Orten schon ab 2020 zusehends an seine Grenzen. Spätestens 2022 sei dann ganz Brüssel überlastet, so die Prognose. Eine Ausweichmöglichkeit immerhin haben EU-Beamte und Nato-Beschäftigte selbst 2022 noch: den Stadtwald. Dort soll das 4G-Netz auch in ferner Zukunft gut funktionieren.

„840 Mbit im Download! Und im Upload...?“

5G ist die fünfte Generation der Mobilfunktechnik. Mit ihr soll es möglich sein, bis zu tausendmal mehr Datenvolumen zu übertragen als bisher. WELT-Redakteur Thomas Heuzeroth hat den Realitätstest gemacht.

Quelle: WELT

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