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Deutschland „#6MonateNixPassiert“

Die verzerrte Selbstwahrnehmung von „Fridays for Future“

Redakteur Investigation und Reportage
„Wir sind da, wir sind eine Gruppe, die nicht mehr in der Minderheit ist“

Luisa Neubauer gilt als die deutsche Stimme von „Fridays for Future“. Im Interview mit WELT spricht die Aktivistin über die Rolle der Bewegung in Deutschland und über ihre zukünftigen Pläne.

Quelle: WELT

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Seit einem halben Jahr streiken deutsche Schülerinnen und Schüler nun für das Klima. Ihre Bilanz: seither sei nichts passiert. Die Einschätzung ist eine gelungene Provokation, realistisch ist sie nicht.

Seit auf den Tag genau sechs Monaten gehen die Schüler und Unterstützer von „Fridays for Future“ für eine konsequentere Klimapolitik auf die Straße, „#6MonateNixPassiert“, resümieren führende Köpfe des Schülerstreiks an diesem Freitag bei Twitter. Der Hashtag landet deutschlandweit in den Trends. Sechs Monate Kampf für das Klima – ganz umsonst?

Die Annahme ist entweder eine bewusste Selbstverzwergung oder latenter Größenwahn. Denn wer eine Jugendbewegung finden will, die – in nur einem halben Jahr noch dazu – Vergleichbares erreicht hat wie „Fridays for Future“, muss wohl mindestens zu den 68ern zurückgehen.


Es mutet ironisch an, dass die Aktivisten auf ihre eigene Wirkungslosigkeit just an einem Tag hinweisen, an dem Papst Franziskus im Vatikan mit der CO2-Steuer eine Forderung der jungen Aktivisten übernimmt. Denn es dürfte schwer zu widerlegen sein, dass auch „Fridays for Future“ seinen Anteil daran hatte, das Klimathema bis in den Petersdom zu tragen.

Zweifellos: Viel mehr als Symbolik ist dieser göttliche Beistand nicht. Doch das Endorsement des Papstes ist nur ein Symptom eines thematischen Paradigmenwechsels in der Debatte.

Ein Blick auf das „Politbarometer“ der Forschungsgruppe Wahlen zeigt, wie rasant das Thema Klima an Relevanz gewann, als „Fridays for Future“ begann, seine Forderungen medienwirksam auszubreiten. Seit der Flüchtlingskrise 2015 hatte es für die Deutschen ein bestimmendes Thema gegeben: Migration. 2019 löste die Umwelt- die Migrationspolitik als bestimmendes Sujet ab – vor sechs Monaten wäre das undenkbar gewesen.

Merkel und Macron gehen auf Klimaaktivisten ein

Bei Twitter argumentieren viele Klimaaktivisten nun, Aufmerksamkeit allein sorge nicht für Veränderung. In der Hitze des Gefechtes mag das so wirken. Die Rückschau aber lässt andere Schlüsse zu.

Im Falle der Migrationspolitik hat der gesellschaftliche Druck in rund vier Jahren zu deutlichen Verschärfungen geführt. Aus „Wir schaffen das“ wurde bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Herbst 2016 die „nationale Kraftanstrengung“ bei Abschiebungen. Noch einmal drei Jahre später steht ein Gesetzespaket, das Nichtregierungsorganisationen als „Hau-ab-Gesetz“ beschreiben.

Auch in der Klimadebatte folgt die Politik längst den gesellschaftlichen Regungen. Merkel war es, die am Dienstag vergangener Woche in einer Fraktionssitzung wütend intonierte, das „Pillepalle“ in der Klimapolitik müsse ein Ende haben. Die Bundeskanzlerin will „disruptive Veränderungen“. Zeit dafür hätte sie seit Jahren gehabt, die Notwendigkeit sah sie nach den Europawahlen.

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Denn spätestens seit diesen sind die Grünen in Städten und unter jungen Menschen die Nummer eins. Sie fliegen auf dem Ticket von „Fridays for Future“ von Umfragehoch zu Umfragehoch. Kaum eine Woche vergeht, in der kein deutsches Magazin Robert Habeck zum Kanzler schreibt.

Ein stärkerer Beweis für die politische Wirkung von „Fridays for Future“ hat wohl nur der französische Präsident Emmanuel Macron erbracht, als er die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer am Rande des EU-Gipfels in Rumänien zu einem spontanen Treffen einlud. Mehr mittendrin geht kaum.

Es ist eine neue Rolle, an die sich die Protestler wohl gewöhnen müssen. Wer auf Augenhöhe mit der Politik diskutieren und ernst genommen werden will, wie es die jungen Aktivisten zu Recht fordern, muss lernen, dicke Bretter zu bohren. Ein schleppendes Dekadenprojekt wie der Atomausstieg mag im Angesicht der Lage des Klimas realitätsfern wirken.

Ein Understatement wie „#6MonateNixPassiert“ ist es auch.

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