Schon die äußeren Umstände offenbaren Distanz und Nervosität zwischen den USA und Russland. Über ein Jahr hat es gedauert, bis der amerikanische Außenminister Mike Pompeo zu seinem ersten Besuch in Russland eintraf. Genau 38 Länder hatte Pompeo zuvor bereist, darunter Nordkorea, die Slowakei und Island.
Eigentlich wollte Pompeo am Montag nach Moskau fliegen, dort amerikanische Geschäftsleute treffen und einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten niederlegen. Aber auch aus dem Reiseziel Moskau wurde nichts, hatte er doch kurzerhand einen Besuch in Brüssel absolviert. Am Dienstagmorgen endlich traf Pompeo in Russland ein, und zwar in Sotschi an der Schwarzmeerküste.
Iran, Syrien, Venezuela, Rüstungskontrolle, Einmischung in Wahlen – zwischen den USA und Russland nimmt die Zahl an Streitthemen, vor allem aber die Intensität der Auseinandersetzungen zu. Das gilt besonders für den Umgang mit dem Iran, der ein Schlüsselthema der privaten Gespräche zwischen Pompeo und seinem Amtskollegen Sergej Lawrow wie mit Präsident Wladimir Putin gewesen sein dürfte.
Zunächst bemühten sich aber sowohl Putin als auch Pompeo offiziell um Mäßigung: Beide hoffen auf eine Entspannung der angeschlagenen Beziehungen. Der Kremlchef bezeichnete den Dialog als glaubwürdig. „Erst unlängst hatte ich das Vergnügen mit dem US-Präsidenten zu telefonieren“, sagte Putin. „Ich hatte dabei den Eindruck, dass es im gegenseitigen Interesse ist, die russisch-amerikanischen Beziehungen wieder vollständig herzustellen.“ Er hoffe, dass die notwendigen Bedingungen dafür gegeben seien.
Mit ihrem unilateralen Rückzug aus dem Atomabkommen mit dem Iran vor gut einem Jahr haben die USA nicht zuletzt die verbliebenen Vertragspartner Russland, China, Deutschland, Frankreich und Großbritannien brüskiert. Jüngst haben Teheran wie Washington die Lage weiter eskaliert.
Die Iraner drohten, sie wollten ihre Verpflichtungen aus dem Atomabkommen „schrittweise reduzieren“, die USA kündigten die Entsendung des Flugzeugträgers „Abraham Lincoln“ in den Persischen Golf an.
Wenn der Iran „etwas“ gegen die USA unternehme, dann werde das Land „stark leiden“, drohte Präsident Donald Trump am Montag und warnte Teheran vor einem „schweren Fehler“. Dennoch erklärte Pompeo in Russland, die USA wollten „grundsätzlich“ keinen Krieg mit dem Iran.
Spanien zieht Kriegsschiff aus US-Flottenverband zurück
Es gab in Sotschi also schon beim Thema Iran einiges zu besprechen. Erst am Montag musste sich Pompeo bei der EU in Brüssel abermals anhören, wie sehr die Europäer an dem Iran-Abkommen festhalten wollen – sofern Teheran seine Verpflichtungen einhält. Just während Pompeo am Dienstag in Sotschi weilte, wurde ein weiterer politischer Graben zwischen den USA und ihren westlichen Verbündeten deutlich.
Spanien nämlich zieht ein Kriegsschiff aus dem Flottenverband um den erwähnten US-Flugzeugträger „Lincoln“ zurück. Die Regierung in Madrid fürchtet offenbar, in einen Konflikt zwischen den USA und dem Iran hineingezogen zu werden.
Die Fregatte „Méndez Núñez“ mit 215 Seeleuten an Bord werde nicht in den Persischen Golf einlaufen, teilte das Verteidigungsministerium mit. Spanien sei der EU und internationalen Organisationen verpflichtet, sagte Verteidigungsministerin Margarita Robles. Das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung der zunehmend unilateral agierenden Regierung in Washington.
Dabei sind die Differenzen zwischen den USA und Russland noch weit größer als mit den europäischen Partnern. Etwa beim Thema Venezuela, wo Moskau (mit China und Kuba) den Staatspräsidenten Nicolás Maduro unterstützt, während Washington (wie die meisten Staaten der EU) den Übergangspräsidenten Juan Guaidó als legitimen Präsidenten anerkennt.
Die Regierung Trump hatte, mal wieder sehr lautstark, Maduros Rücktritt verlangt. Der aber hält weiter die Zügel in der Hand, was die venezolanische Exilgemeinde in den USA enttäuscht. Hat Trump hier den Mund zu voll genommen?
Diese Frage wird in den USA auch beim Thema Nordkorea gestellt – ebenfalls auf der Tagesordnung von Pompeos Kurzbesuch in Sotschi. Der Gipfel zwischen Trump und Machthaber Kim Jong-un im Februar verlief ergebnislos, Nordkorea feuert seither immer wieder Raketen ab. Erst am Dienstag forderte Pjöngjang die USA auf, ein beschlagnahmtes nordkoreanisches Frachtschiff herauszugeben. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich auszumalen, welche Position hier der Kreml ergreift. Russland könnte die USA auffordern, Nordkorea mehr Sicherheitsgarantien zu geben.
Die USA und Russland verfolgen nach Einschätzung von US-Außenminister Mike Pompeo bei den Atomverhandlungen mit Nordkorea dieselben Ziele. Das sagte Pompeo nach dem Treffen. Gleichzeitig betonte er die Führungsrolle Washingtons bei den Verhandlungen. „Ich denke, wir haben dieselben Ziele und ich hoffe, dass wir Wege zur Zusammenarbeit finden können“, sagte der Minister. Putin verstehe, dass Washington die Führung übernehme, fügte Pompeo hinzu. Es gebe aber Bereiche, bei denen eine Zusammenarbeit möglich sei.
Auch scheint es eine Annäherung beim Streitpunkt Syrien zu geben. Die USA haben sich nach eigenen Angaben mit Russland auf einen Weg geeinigt, um die festgefahrene Suche nach einer politischen Lösung in Syrien wieder voranzubringen. Im Mittelpunkt steht dabei offenbar das Komitee zur Entwicklung einer Nachkriegsverfassung.
Pompeo sprach von einem „produktiven Gespräch“ über „Dinge, die wir gemeinsam tun können“, um den politischen Prozess in Syrien voranzubringen. Beide Seiten unterstützen demnach die Einrichtung eines Komitees, das einen Entwurf für eine syrische Nachkriegsverfassung vorlegen soll. Hier hatte es bisher stets Konflikte um die Zusammensetzung des Gremiums gegeben. Nun sagte der Außenminister, er hoffe zumindest den ersten Schritt der Bildung eines Komitees zu erreichen.
Die von Pompeo geführten Gespräche waren die hochrangigsten zwischen den USA und Russland seit der teilweisen Veröffentlichung des sogenannten Mueller-Reports.
Während eines Gespräches mit Lawrow in der vergangenen Woche am Rande des Arktischen Rates im finnischen Rovaniemi bezeichnete Pompeo derlei Einmischungen als „nicht angemessen“. Die USA täten alles, um sie zu verhindern. Russland hatte nicht zuletzt dem Mueller-Report zufolge, sich in die US-Präsidentschaftswahl 2016 eingemischt – zugunsten der heutigen Administration in Washington.
Pompeo sprach auch dieses Thema nochmals deutlich an: „Wenn die Russen sich in dieser Hinsicht engagieren würden 2020, dann würde das unser Verhältnis in eine noch schlimmere Lage bringen als ohnehin schon“, sagte Pompeo. Putin wies - erneut - jede Einmischung als falsch zurück. Und wurde damit in der Vergangenheit ausgerechnet vom US-Präsidenten bestätigt.
So undiplomatisch Präsident Trump agiert, so versteht auch Putin sein Spiel mit machtpolitischer Symbolik. Vor seinem Treffen mit Pompeo hatte der russische Präsident eine Fabrik für Rüstungsgüter besuchen, in der die modernsten russischen Kampfjets produziert werden. Ob dies absichtlich vor den Termin mit Pompeo gelegt worden sei, wurde Putins Sprecher gefragt. Der verwies darauf, es handele sich um einen Routinebesuch, nicht um eine „Botschaft“ für irgendjemanden.