Bauverbände und Handwerksinnungen warnen vor Baustoff-Knappheit. Ziegel sind Mangelware. Auswahl gibt es nicht, mancherorts stocken bereits Bauprojekte. Ein Grund für den Mangel sind die gestiegenen Energiekosten und der Krieg in der Ukraine. Was die Lage für die Branche bedeutet und wie sich ein Lieferstopp beim russischen Gas auf die Ziegelproduktion in Deutschland und Österreich auswirkt, erklärt Jürgen Habenbacher. Er ist Geschäftsführer der Wienerberger GmbH. Die deutsche Tochter gehört zum Wienerberger Konzern mit Sitz in Österreich, einem der größten Hersteller von Tonbaustoffen.

ZEIT ONLINE: Herr Hadenbacher, mehrere Verbände warnen, dass Ziegel und andere Baustoffe bald nicht mehr verfügbar sind. Viele Bauherren sind schon in Sorge. Haben wir wirklich einen Ziegelmangel und droht ein flächendeckender Baustopp in Deutschland? 

Jürgen Habenbacher: Nein, da kann ich Entwarnung geben – zumindest, was mein Unternehmen angeht. Alle unsere Produktionsstandorte laufen aktuell voll wie geplant und wir können unsere Produkte den Kunden nicht nur heute und morgen, sondern über das gesamte Jahr 2022 zur Verfügung stellen. Trotzdem treibt uns natürlich die Sorge um die Energieversorgung um.

ZEIT ONLINE: Einige Mitbewerber verkaufen derzeit ihre Lager leer und Kunden weichen bereits auf andere Baustoffe aus. Wie gehen Sie mit der gestiegenen Nachfrage um?

Habenbacher: Die Ursache für den Mangel am Markt ist die sprunghaft stark gestiegene Nachfrage, offenbar haben einige begonnen, Ziegel zu horten, ähnlich wie bei Speiseöl, Nudeln oder Klopapier. Zwar gab es schon eine höhere Nachfrage während der Corona-Pandemie, immerhin haben viele Deutsche ihr Geld in die Renovierung oder den Bau von Immobilien gesteckt, der große Run ging aber erst vor zwei, drei Monaten mit dem Kriegsausbruch los. Wenn andere jetzt ihre Lager abverkaufen, halte ich das für eine falsche Strategie. Es geht um eine langfristige Bedienung des Markts.

ZEIT ONLINE: Wer hortet denn Dach- und Mauerziegel – und warum?

Habenbacher: Wir verstehen aus der aktuellen Situation die Sorge, dass diese Produkte im Fall eines Energieembargos nicht mehr hergestellt werden können. Durch die sprunghaft gestiegenen Bestellungen gab es natürlich Bewegung im Markt. So viel ist einfach nicht zu bewerkstelligen. Klar ist aber auch, dass die Bestellungen nicht der Realität an tatsächlicher Nachfrage entsprochen haben. Wir sprechen darüber mit unseren Kunden, denn das führt zu nichts. Besser ist eine laufende Bedienung des Markts, vor allem der laufenden Baustellen. Bei Produkten wie Ziegeln kommt außerdem hinzu, dass wir regionale Kunden und deren Partner bedienen, sprich den einzelnen Hausbauer. Deshalb ist es für uns auch wichtig, dass wir darauf Rücksicht nehmen. 

ZEIT ONLINE: Welche Folgen hätte es für Ihr Unternehmen, wenn Russland kein Gas mehr liefert? 

Habenbacher: Für unsere Branche bedeutet es: Das Bauen würde zum Erliegen kommen. Die Industrieunternehmen könnten nicht mehr produzieren und wir gefährden damit circa 800.000 Beschäftigte im Baugewerbe. Dieses Szenario betrifft nicht nur unsere Branche, sondern letztlich die meisten Branchen. Ein Szenario, welches mittelfristige Nachwirkungen auf die gesamte Wirtschaftsleistung Deutschlands hätte.  

ZEIT ONLINE: Wären denn Ziegelwerke bedroht? Von der Glasindustrie hören wir, dass man Glasöfen nicht einfach abschalten kann, weil sie dann kaputtgehen. Wie ist das mit ihren Anlagen?

Habenbacher: Sehr ähnlich. Wir können unsere Öfen nicht von heute auf morgen abstellen, wir brauchen eine Vorlaufzeit von bis zu zehn Tagen. So machen wir es etwa auch bei Instandhaltungsmaßnahmen, aber diese werden sehr gründlich geplant. Man darf nicht vergessen, dass wir Öfen mit mehr als 1.200 Grad Brenntemperatur haben. Diese müssen auf eine besondere Weise abkühlen, damit die Anlage nicht schwer beschädigt wird. Wir hätten sehr hohe Investitionskosten, um diese Öfen wieder instand zu setzen oder neu zu bauen. Da geht es um zweistellige Millionenbeträge bei einem Ziegelwerk. Das ist auch unsere Position, die wir den politischen Entscheidungsträgern immer wieder übermitteln.

ZEIT ONLINE: Wie bereiten Sie sich auf so ein Szenario vor?

Habenbacher: Bei einem Gasembargo oder Lieferstopp sind wir nur noch reaktiv unterwegs und darauf angewiesen, wie die Bundesnetzagentur vorgeht. Bestenfalls bekommen wir Vorlaufzeit und können im Sinne eines Notfallplans arbeiten. Derzeit fokussieren wir uns aber auf eine langfristige Planung, vor allem beim Energieeinkauf und bei der langfristigen Weiterentwicklung unserer Werksstandorte hinsichtlich der Energieträger. 

ZEIT ONLINE: Was heißt das?

Habenbacher: Die großen Kostensteigerungen begleiten uns, wenn man es genau betrachtet, schon seit dem zweiten Quartal 2021. Bereits zu dem Zeitpunkt haben wir für uns eine langfristige Einkaufspolitik entschieden und sehen nun, dass dies richtig war, um Planbarkeit und Verfügbarkeit unserer Produkte sicherzustellen.