Die 1991 geborene Künstlerin Mai Thu Bùi arbeitet an einem Virtual-Reality-Archiv zu ihrer Familiengeschichte. Bùis Eltern waren als Vertragsarbeitende in die DDR gekommen. © privat

Wenn es um die zweite Generation von vietnamesischen Deutschen geht – oder, wie wir sie nennen, um Vietdeutsche – dann geht es oft um Menschen, die zu einem großen Teil erst ab den Neunzigern in Deutschland geboren wurden. Unserer Beobachtung nach sind viele sogar genau im Jahr 1991 geboren und haben in den letzten Monaten ihren 30. Geburtstag gefeiert oder feiern ihn noch. Aber warum ausgerechnet 1991?

Vorweg: Die aktuell aufbereitete Geburtenstatistik liefert keine Auskunft darüber, ob 1991 signifikant mehr Kinder von vietnamesischen Eltern geboren wurden. Das Statistische Bundesamt erfasst lediglich die Geburt von Kindern vietnamesischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ab dem Jahr 2000. Für die Jahre davor gibt es nur lückenhafte Daten, etwa von Kindern aus Ehen zwischen einem vietnamesischen und einem deutschen Elternteil.

In dieser Datenreihe zeichnet sich zwar ein Anstieg von Geburten ab, dieser sehr selektive Ausschnitt ist aber nicht übertragbar auf eine ganze Community. Denn in dieser Statistik fehlen erstens viele Kinder, etwa die unehelichen Kinder, die Kinder mit zwei vietnamesischen Elternteilen sowie die Kinder mit einem vietnamesischen und einem nicht deutschen Elternteil. Zweitens könnte der Anstieg ebenso auf einen Anstieg deutsch-vietnamesischer Ehen nach dem Mauerfall zurückgehen.

Was die Zahlen nicht erzählen können, haben wir bei Eltern erfragt, die bereits in den Siebzigern oder Achtzigern in die DDR gekommen waren, um dort eine Ausbildung zu machen oder zu arbeiten, und die 1991 ihr erstes Kind bekamen: Warum entschieden sie sich erst nach dem Mauerfall für Kinder? Was hatte sie in der DDR von einer Familiengründung abgehalten?

Die Eltern berichteten uns von anderen Prioritäten als sogenannte Vertragsarbeiter – aber auch von einer Familienpolitik, die zwar großzügig mit ihren eigenen Bürgerinnen umging, bei den Vertragsarbeitern jedoch keine Familiengründungen vorsah. Zum Beispiel erhielten die Arbeiterinnen in der DDR kostenfrei die sogenannte Kinderwunschpille (im Westen Antibabypille) und im Fall einer Schwangerschaft wurden sie vor die Wahl gestellt, entweder ihre Schwangerschaft abzubrechen oder zurück nach Vietnam zu gehen.

Wir haben auch einen Gast in der Folge: Die 1991 geborene Künstlerin Mai Thu Bùi. Ihre Eltern sind ehemalige Vertragsarbeitende in der DDR und Mai Thu Bùi ihr erstes Kind. Bùi versteht sich als "antidisziplinär neugierig": Nach einem Studium der Philosophie mit Fokus auf Sprachphilosophie und Dynamische Logik begann sie, an einem Augmented- und Virtual-Reality-Archiv zu ihrer Familiengeschichte zu arbeiten. In diesem Zusammenhang hat sie viele Dokumente und Anekdoten ihrer Eltern aufgearbeitet und gibt uns im Podcast Einblicke in deren damalige Überlegungen zur Familiengründung sowie offizielle Anordnungen der DDR.

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