Neid ist ein mächtiges Gefühl. Eine unangenehme Mischung aus Ärger, Wut und Traurigkeit. Neid sticht ins Herz, Neid drückt im Bauch. Verfolgt man die Corona-Debatte der vergangenen Tage, dann dürften viele Menschen dieses Gefühl spüren. Denn nach dem Impfneid kommt nun der Neid auf Lockerungen für die bisher rund drei Millionen vollständig Geimpften und rund 6,6 Millionen Corona-Genesenen im Land.
In einigen Bundesländern brauchen diese Gruppen für die kleinen Freiheiten in der Pandemie kein negatives Testergebnis mehr. Ende dieser oder Anfang nächster Woche sollen voraussichtlich bundesweite Lockerungen für sie in Kraft treten. Jetzt geht alles schnell – zumindest für diejenigen, die das Impfglück schon ereilt hat. Und da ist er schon, der Neid. Damit sind wir bei hoffentlich einer der letzten, aber nicht zu unterschätzenden Herausforderungen dieser Pandemie angelangt: Jetzt geht es darum, diesen Neid zu bezwingen. Denn er steht uns allen im Weg.
Ganz abgesehen von dem großen Argument, dass eine andauernde Einschränkung der Grundrechte bei Geimpften und Genesenen unverhältnismäßig sei, lohnt im Kampf gegen düstere Gefühle der Blick auf ganz praktische Aspekte solcher Lockerungen. Denn sie haben auch Vorteile für jene, die noch auf den erlösenden Impftermin warten. Die Schnelltest-Zentren etwa würden entlastet, wenn vollständig Geimpfte nicht Termine blockieren, um den Testauflagen für Einkäufe zu entsprechen.
Nach der geplanten Regelung könnten zudem auch Ungeimpfte bald mehr Menschen treffen, nämlich dann, wenn vollständig Geimpfte bei den Beschränkungen nicht mitgezählt werden. Und wer weiß, vielleicht wird es bald für Geimpfte und Genesene möglich sein, in Bars und Restaurants zu sitzen – sodass es die Lokale perspektivisch noch gibt, in denen wir das Ende der Pandemie feiern wollen.
Eine wichtige Voraussetzung, damit solche Schritte funktionieren: Jeder muss weiterhin die für die jeweilige Gruppe geltenden Hygieneregeln einhalten.
Manch einer wird diese Gedanken jetzt „schönreden“ schimpfen. Doch was ist die Alternative? Dass wir nach all den Anstrengungen des letzten Jahres und trotz lang erwarteter Fortschritte bei der Pandemiebekämpfung in Neiddebatten verharren?