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Hamstert, Leute - aber richtig!

25. Oktober 2020

Die Infektionszahlen steigen und das Klopapier wird wieder knapp - das scheint eine Logik der Pandemie zu sein. Ermahnungen von Politikern helfen da nicht weiter, denn so funktioniert der Markt, meint Fabian Schmidt.

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Europäischer Feldhamster beim fressen
Bild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Geht der Ansturm auf die Supermärkte wieder los? Sind die Regale mit haltbaren Waren in den Supermärkten bald leer geräumt? Schon im März, bei der ersten Corona-Welle, sah sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gezwungen, das Kaufverhalten der Bürger zu kritisieren: Hamsterkäufe seien nicht "notwendig" und "unsolidarisch".

Fast den gleichen Wortlaut nutzte nun Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner gegenüber der FAZ: "Für Hamsterkäufe gibt es keinen Grund," sagte sie und fügte hinzu: "Wer hortet, handelt nicht nur unlogisch, sondern auch unsolidarisch." Natürlich durfte auch eine Belehrung über das Übel der von Klöckner immer wieder beklagten Lebensmittelverschwendung nicht fehlen: "Und am Ende landet vieles in der Tonne."

Ja was denn nun?

Leider hat das Argument einen logischen Fehler: Falls es stimmt, dass Hamsterkäufe nicht notwendig sind, können sie nicht gleichzeitig unsolidarisch sein. Denn wenn der Markt tatsächlich genug Ware hat, sollte es doch eigentlich auch keine Rolle spielen, wenn jemand diese Ware kauft oder irrational hortet. 

DW-Redakteur Fabian Schmidt
Keine falsche Zurückhaltung beim Einkauf, empfiehlt DW-Wissenschaftsredakteur Fabian Schmidt

Und andersrum: Wenn wir solidarisch sein sollen, uns also selbst beschränken und teilen müssen, wäre das ein klares Indiz, dass in der Tat Knappheit herrscht - wenn auch nur eine vorübergehende. In einer solchen Situation Solidarität zu üben, ist ja auch nicht falsch. Aber das heißt nicht, dass wir keine Vorräte anlegen sollten. 

Auch das immer wieder vorgebrachte Gejammer über unsere unverantwortliche Lebensmittelverschwendung nervt. Jahr für Jahr sollen es nach Berechnungen des WWF in Deutschland 18 Millionen Tonnen sein. Das wären auf die Bevölkerung heruntergerechnet 225 Kilogramm pro Person. 60 Prozent davon entfallen auf die Haushalte, so eine Studie der Universität Stuttgart. Das wären immer noch 370 Gramm pro Tag pro Person. 

Da fragt man sich: Kann das wirklich sein? Sollten wir unseren Mitmenschen nicht zumindest soviel Verstand zutrauen können, dass niemand freiwillig sein mühsam verdientes Geld für Waren ausgibt, um sie hinterher einfach ungenutzt wegzuwerfen?

Vielleicht sollten wir Privatleute uns ein Beispiel an den Supermärkten nehmen, insbesondere den Discountern. Im Verhältnis zu den gigantischen Warenströmen wird dort nämlich kaum noch etwas weggeworfen. Ihr Anteil an der gesamten Lebensmittelverschwendung beträgt nach der gleichen Studie nur fünf Prozent aller Lebensmittelabfälle, oder knapp 30 Gramm pro Person und Tag.

Silos, Segen für die Menschheit

Die Produktions-, Liefer- und Verkaufsabläufe sind mittlerweile so weit optimiert, dass kaum noch etwas übrig bleibt. Zudem bemühen sich praktisch alle großen Handelsketten, durch eine Vielzahl konkreter Maßnahmen im Bereich Umweltschutz und Nachhaltigkeit ihr Image aufzupolieren, was durchaus Wirkung zeigt. 

Zumindest in meinem eigenen Privathaushalt landen Lebensmittel nicht in der Tonne. Die Ausnahme bildet vielleicht ein winziger Restkanten Brot, der trotz aller optimierten Küchenlogistik dann doch mal verschimmelt. Das passiert höchstens einmal im halben Jahr.

Die andere Sichtweise: Containern verboten - Die perverse Logik der Wegwerfgesellschaft

Mann trägt Toilettenpapier und Küchenrollen
Wer im März massenweise Klopapier gehortet hat, müsste eigentlich noch gut versorgt seinBild: Rene Traut/dpa/picture-alliance

In Landwirtschaft und Industrie wird zwar etwas mehr weggeworfen als im Handel (17 Prozent aller hiesigen Lebensmittelabfälle), aber erstens sind die absoluten Zahlen mit etwa 100 Gramm pro Person und Tag nicht wirklich sehr hoch, und zweitens liegt es in der Natur der Marktgesetze, dass dies nie ganz zu vermeiden sein wird - im Kontrast übrigens zu der Verschwendung in den ärmsten Ländern dieser Welt.

Dort verrotten nach Schätzung der Welternährungsorganisation etwa 40 Prozent der Ernten oder werden von Mäusen gefressen, bevor sie überhaupt in die Nähe eines Marktes kommen.

Der Grund: Es gibt keine angemessenen Lager- und Konservierungsmöglichkeiten. Die heute im weltfremden Management-Jargon völlig zu Unrecht verrufenen Silos sind in Wirklichkeit ein Segen für die Menschheit.

Die einzige Ausnahme sind vielleicht die Gastronomie und andere Großverbraucher, wo wirklich manches in der Tonne landet (17 Prozent aller Lebensmittelabfälle). Aber wer will heute schon in einem Hotel übernachten, wo es, wie in den 1960er-Jahren vorproportionierte Frühstücksteller mit Leberwurst- und Marmelade-Konserven auf Pumpernickel und Knäckebrot gibt.

Launen des Marktes

Die wiederkehrende Verknappung in Supermärkten zu Corona-Zeiten lehrt uns vor allem eins: Mangel entsteht nicht erst in dem Moment, wo nicht genügend Ware auf dem Markt ist, sondern bereits, wenn eine Verknappung absehbar ist. Wer für mehrere Monate Nudeln, Konserven, haltbare Säfte, H-Milch, Reis, Papierprodukte und ähnliches bevorratet, sichert sich dadurch ganz praktisch gegen die launischen Marktfluktuationen ab.

Es ist also keineswegs unsolidarisch, sondern im Gegenteil, verantwortungsvoll - wenn die Lebensmittel dann auch irgendwann verbraucht werden. Hamstern ist also gut, nur muss man es richtig tun. Und wer gerade jetzt - in Zeiten einer erwartbaren kurzfristigen Verknappung - seine Klopapiervorräte wieder auffüllen muss, hat vielleicht genau das falsch gemacht.

 

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Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen