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Ausland Kürzung von EU-Mitteln

Deutschland knickt vor Polen und Ungarn ein

FILE PHOTO: Hungarian Prime Minister Viktor Orban departs from an EU summit in Brussels FILE PHOTO: Hungarian Prime Minister Viktor Orban departs from an EU summit in Brussels
Deutschland legt einen Plan für die Kürzung von EU-Geldern bei Rechtsstaatsverstößen vor – und im Europaparlament heißt es, die Bundesregierung gehe auf Kuschelkurs zu Orbán
Quelle: REUTERS
Länder wie Polen, Ungarn und Bulgarien bauen den Rechtsstaat ab, Kritiker fordern seit Langem eine Kürzung von EU-Mitteln. Doch ein Vorschlag der deutschen EU-Ratspräsidentschaft schwächt den angepeilten Mechanismus nun ab. Im Europaparlament sorgt das für Kopfschütteln.

EU-Länder wie Ungarn, Polen und Bulgarien müssen vorerst nicht mit einer Kürzung ihrer EU-Mittel rechnen. Laut einem am Montag von der deutschen Ratspräsidentschaft vorgelegten Kompromissvorschlag soll der Mechanismus für die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundlagen deutlich zahmer ausfallen, als noch im Sommer von der Kommission vorgeschlagen wurde. Demnach sollen einzelnen Kürzungen von EU-Finanzhilfen jeweils aufwendige Einzelabstimmungen unter den Ministern der Mitgliedsländer vorausgehen. Zuvor hatten Reuters und die Deutsche Presse-Agentur über das Papier berichtet.

Brisant ist das Thema auch, weil ohne Einigung auf den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus eine Blockade des langfristigen EU-Haushalts und des europäischen Corona-Konjunkturprogramms in Höhe von insgesamt 1,8 Billionen Euro droht. Länder wie Polen und Ungarn hatten zuvor erklärt, dass sie Beschlüssen nur dann zustimmen wollen, wenn die Regelung so ausfalle, dass sie damit einverstanden seien. Ungarn und Polen gehen davon aus, dass eine härte Regelung vor allem gegen sie angewandt werde.

Ende der Woche beraten EU-Vertreter über die Verteilung der Corona-Konjunkturhilfen, die vor allem in von der Pandemie gebeutelten Ländern in Südeuropa dringend erwartet werden. Ohne Polens und Ungarns Zustimmung wird das Geld nicht fließen. Vor diesem Hintergrund neigt Brüssel offenbar dazu, dem Druck aus Osteuropa nachzugeben. Im Sommer hatte Brüssel noch vorgeschlagen, Strafen gegen ein Mitgliedsland schon dann zu ermöglichen, wenn allein ein grundsätzlicher Mangel an Rechtsstaatlichkeit die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Haushaltsführung zu beeinträchtigen droht. Organisationen wie Transparency International bemängeln schon lange, dass in vielen EU-Ländern, darunter Polen, Ungarn und Bulgarien, EU-Mittel in korrupten Strukturen versickern, ohne dass dies von Gerichten ausreichend verfolgt werde. Zudem stehen Polen und Ungarn bereits im Visier der EU-Kommission. Polen vor allem wegen einer umstrittenen Justizreform, Ungarn wegen des Umgangs etwa mit der Pressefreiheit.

„Zeichen von Feigheit und Prinzipienlosigkeit“

Ziel der Kommission war zunächst, dass ein Vorschlag für Mittelkürzungen als angenommen gilt, wenn der Ministerrat ihn nicht innerhalb eines Monats mit qualifizierter Mehrheit abweist oder verändert. Laut deutschem Vorschlag ist nun lediglich vorgesehen, dass über jede Sanktion vor dem Inkrafttreten abgestimmt werden muss und dafür eine qualifizierte Mehrheit notwendig ist. Diese Hürde gilt als sehr hoch. Eine qualifizierte Mehrheit bedeutet in der Regel, dass mindestens 15 EU-Staaten zustimmen müssen, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen. Dass solche Mehrheiten zustande kommen, gilt als mühsam bis unwahrscheinlich.

Im Europaparlament hat der Kompromissvorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft laute Kritik hervorgerufen. Abgeordnete bezeichneten den Vorschlag am Montag als Zeichen von „Feigheit und Prinzipienlosigkeit“ und als „Unverschämtheit“. Die Bundesregierung gehe auf Kuschelkurs zu Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und zum Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, kritisierte etwa der Abgeordnete Moritz Körner (FDP).

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Daniel Freund, Europaabgeordneter der Grünen, sagte WELT: „Mit diesem Vorschlag fährt die deutsche Ratspräsidentschaft den Rechtsstaatsmechanismus vollends gegen die Wand.“ Der Teufel liege im Detail: „Mit dem aktuellen Abstimmverfahren würden die Mitgliedstaaten künftig selbst entscheiden, gegen wen sanktioniert wird. Der Schutz des Europäischen Rechtsstaats wird somit Gegenstand der politischen Debatte im Rat.“ Es sei aber Aufgabe der Kommission, über die Einhaltung der Europäischen Verträge zu wachen.

So würden die Abgeordneten nun unter Druck gesetzt, entweder für europäische Solidarität durch das Corona-Aufbauprogramm zu stimmen oder für den Rechtsstaat einzutreten. „Aber man kann das eine nicht für das andere opfern“, sagte Freund. Der Vorschlag sei „im Grunde eine Unverschämtheit“.

Noch kann das Europäische Parlament ein Veto gegen die laufenden Pläne einlegen. Allerdings ist die Lage ohnehin verfahren. So laufen gegen Polen bereits sogenannte Artikel-7-Verfahren der EU, die theoretisch sogar mit einem Entzug von EU-Stimmrechten enden könnten. Sie sind aber wegen großer Abstimmungshürden blockiert. Folge ist, dass Warschau und Budapest bislang kaum etwas unternommen haben, um aus Sicht anderer EU-Staaten gefährliche Entwicklungen im Bereich der Justiz und der Meinungsfreiheit zu stoppen. Zudem sind in Ungarn auch Minderheitenrechte und die Situation von Migranten ein Thema.

pvs mit dpa/rtr

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