CSU-Mann fordert wegen Moschee-Umbau der Hagia Sophia: „EU-Beitrittsverhandlungen mit Türkei beenden“

Muslime feiern die Umwidmung der Hagia Sophia (bisher Museum und Weltkulturerbe) in eine Moschee

Muslime feiern die Umwidmung der Hagia Sophia (bisher Museum und Weltkulturerbe) in eine Moschee

Foto: Burak Kara / Getty Images
Von: Marc Oliver Rühle

Erdogans Anhänger jubeln, internationale Politiker kritisieren die Türkei scharf!

Rund 90 Jahre nach der Umwandlung des Istanbuler Wahrzeichens Hagia Sophia in ein Museum durch Republikgründer Mustafa Kemal Atatürk wird das Gebäude wieder eine Moschee.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) ordnete am Freitag die Öffnung zum islamischen Gebet an. Mit dem Beschluss, den Erdogan auf Twitter teilte, übergab er die Leitung der „Hagia Sophia Moschee“ zudem an die Religionsbehörde Diyanet.

Die Hagia Sophia war einst das größte Gotteshaus der Christenheit und gehört als Teil der Istanbuler Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe.

▶︎ Die Umwidmung stößt in vielen Ländern auf heftige Kritik, allen voran Griechenland und Russland, aber auch seitens der USA.

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EU-Beitrittsverhandlungen „nur noch Farce“

Der europapolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Florian Hahn (46), fordert jetzt eine politische Antwort gegenüber der Türkei.

Die Umwandlung sei „eine Provokation der gemeinsamen europäischen Kultur“ und zeige die „seit Jahren gewachsene Entfremdung der Türkei“ von der EU, erklärte der CSU-Politiker am Freitag.

Und weiter: „Wir sollten daher die Konsequenzen ziehen und den Mut aufbringen, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beenden.“

„Sie sind nur noch Farce“, fügte er via Twitter hinzu.

Frenetisch: „Allahu Akbar!“  riefen Erdogan-Anhänger am Freitag vor der Hagia Sophia

Frenetisch: „Allahu Akbar!“ riefen Erdogan-Anhänger am Freitag vor der Hagia Sophia

Foto: Emrah Gurel / AP Photo / dpa

Vor der Hagia Sophia sammelte sich am Freitag spontan eine Gruppe Befürworter der Entscheidung. Sie riefen „Allahu Akbar!“ („Gott ist groß!“). Die Polizei sperrte den Platz vor der Hagia Sophia ab. Beamte der Einsatzpolizei brachten sich in Stellung, es blieb aber zunächst ruhig.

Erdogan fordert Respekt

Nach dem Willen Erdogans soll die Hagia Sophia bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden können. „Wir planen, die Vorbereitungen schleunigst zu beenden und am Freitag, den 24. Juli 2020, die Hagia Sophia gemeinsam mit dem Freitagsgebet für Gebete zu eröffnen“, sagte der Präsident am Freitagabend. In Richtung der Kritiker sagte Erdogan, er fordere, dass die Entscheidung respektiert werde. „Wie die Hagia Sophia genutzt wird, hat etwas mit den Souveränitätsrechten der Türkei zu tun.“ Der Eintritt werde gratis sein und allen offen stehen, „für Muslime und Nichtmuslime“.

USA „enttäuscht“, Griechenland spricht von „Provokation“

Die US-Regierung zeigte sich „enttäuscht“ von der Umwidmung der Hagia Sophia und erklärte, sie erwarte, dass die Weltkulturerbestätte für alle Besucher zugänglich bleibe.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borell nannte die türkische Entscheidung „bedauerlich“, denn die Türkei habe sich als Gründungsmitglied des Bündnisses der Zivilisationen zur Förderung des interreligiösen Dialogs und der Toleranz verpflichtet. Griechenland und die russisch-orthodoxe Kirche kritisierten die Umwidmung schärfer. Die griechische Kulturministerin Lina Mendoni sprach von einer „Provokation für die zivilisierte Welt“. Erdogan führe „sein Land sechs Jahrhunderte zurück.“ Wladimir Legoida vom Moskauer Patriarchat sagte der Agentur Interfax: „Die Sorge von Millionen von Christen wurde nicht gehört.“ Erdogan habe einen „historischen Fehler begangen“, erklärte zudem der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas am Samstag. Auf diese Beleidigung der christlichen Welt müsse es eine entsprechende Antwort geben.

Und weiter: „Griechenland verurteilt dieses Verhalten Erdogans und wird alles, was es kann, tun, damit es Konsequenzen für die Türkei gibt“, so der Athener Regierungssprecher.

Die griechische Presse reagierte am Samstag mit Schlagzeilen wie „Die Hagia Sophia ist Opfer des Größenwahns Erdogans geworden“ oder „Unsinn ohne Ende“. Griechische Kommentatoren meinten, Erdogans Türkei entferne sich mit großer Geschwindigkeit vom Laizismus, der Trennung von Staat und Religion, und sei auf dem Weg der vollen Islamisierung.

Muslime beim gestrigen Freitagsgebet vor der Hagia Sophia

Muslime beim gestrigen Freitagsgebet vor der Hagia Sophia

Foto: OZAN KOSE / AFP

Unesco kritisiert Alleingang

Die Unesco hat die Umwandlung der Hagia Sophia „zutiefst bedauert“. Generalsekretärin Audrey Azoulay habe gegenüber dem türkischen Botschafter am Freitagabend ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht, teilte die Unesco mit. Die Entscheidung für die Umwandlung sei ohne vorigen Dialog getroffen worden. Und weiter: „Die Heilige Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der Begegnung von Europa und Asien im Laufe der Jahrhunderte. Sein Status als Museum spiegelt die Universalität seines Erbes wider und macht es zu einem starken Symbol des Dialogs“, erklärte Azoulay.

Die Hagia Sophia (griechisch: Heilige Weisheit) wurde im 6. Jahrhundert nach Christus erbaut und war Hauptkirche des Byzantinischen Reiches, in der die Kaiser gekrönt wurden. Nach der Eroberung des damaligen Konstantinopels durch die Osmanen im Jahr 1453 wandelte Sultan Mehmet II. die Hagia Sophia in eine Moschee um und ließ als äußeres Kennzeichen vier Minarette anfügen. Auf Betreiben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk ordnete der Ministerrat im Jahr 1934 die Umwandlung der Hagia Sophia in ein Museum an.

Im Inneren der Hagia Sophia sind die Wände mit byzantinischen Mosaiken und Marmor verziert. Um dem Bilderverbot im Islam gerecht zu werden, müssten die Mosaiken während des islamischen Gebets aber abgedeckt werden

Im Inneren der Hagia Sophia sind die Wände mit byzantinischen Mosaiken und Marmor verziert. Um dem Bilderverbot im Islam gerecht zu werden, müssten die Mosaiken während des islamischen Gebets aber abgedeckt werden

Foto: OZAN KOSE / AFP

Großes Ablenkungsmanöver?

Kritiker werfen Erdogan vor, mit der Diskussion um das Bauwerk von wirtschaftlichen Problemen ablenken zu wollen oder das Thema in der Vergangenheit vor Wahlen auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, um seine religiöse Anhängerschaft hinter sich zu vereinen.

Bereits Ende Mai hatte Erdogan zum Jahrestag der Eroberung Konstantinopels ein islamisches Gebet in der Hagia Sophia abgehalten.

Der Analyst Kadri Gürsel nannte die Hagia Sophia das „Stressbarometer“ der Regierung. Diese habe keine Themen mehr, mit denen sie werben könne und keine Lösungen für die Probleme des Landes. Innenpolitisch habe sich niemand gegen die Umwandlung in eine Moschee gestellt, aber Erdogan würde davon profitieren, wenn sich Griechenland und die orthodoxe Welt dagegen stellten. Die Regierung schlage aus Polarisierung „politischen Profit.“

Der politisch engagierte Box-Weltmeister Ünsal Arik (39) kritisiert Erdogan gegenüber BILD scharf: „In meinen Augen ist die Hagia Sophia ein Weltkulturerbe. Erdogan beweist erneut, dass er keinerlei Respekt vor anderen Glauben und Kulturen hat.“

Und weiter: „Da Erdogan bei der nächsten Wahl Stimmenverluste drohen, versucht er wieder abzulenken und radikal gläubige Menschen und Nationalisten an seiner Seite zu gewinnen. Wenn es um Glaubensfragen geht, ist selbst die Opposition in der Türkei zurückhaltend – aus Angst, Wähler zu vergraulen.“

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