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Nordrhein-Westfalen Notstandsgesetz

Das Parlament begehrt auf

Biologische Gefährdung: Die NRW-Flagge unter dem Symbol des sogenannten Biohazard Biologische Gefährdung: Die NRW-Flagge unter dem Symbol des sogenannten Biohazard
WIe wird die Debatte um das Notstandsgesetz ausgehen?
Quelle: picture alliance / imageBROKER
Armin Laschet kämpft für ein Gesetz, das es gestattet, Arbeitskräfte zwangsweise zu verpflichten und Eigentum zu beschlagnahmen. Dabei hat er allerdings das Kontrollrecht des Landtags übersehen.

Auf den „absoluten Katastrophenfall“ müsse sich das Land vorbereiten. „Auf den Tag X“, an dem nichts mehr funktioniere. So warnte Armin Laschet im Landtag. Mit den dramatischen Worten wollte er die Abgeordneten für sein „Epidemiegesetz“ gewinnen, das die Koalition vergangene Woche im Eilverfahren durch das Parlament zu bringen versuchte.

Dieser Gesetzentwurf hat es in sich: Im Kampf gegen die Corona-Pandemie erlaubt er dem Land zahlreiche Eingriffe in Grundrechte. Er gestattet, medizinisch wichtige Güter zu beschlagnahmen, Kliniken zum Aufbau von Behandlungskapazität zu verpflichten und Menschen zum medizinischen oder pflegerischen Dienst zu zwingen. Zudem ermöglicht er der Regierung, das Sitzenbleiben und die Abschlussprüfungen in Schulen auszusetzen. Eingriffe in Verfassungsrechte gestatten sich derzeit auch andere Länder, etwa Bayern. Vor Kurzem hat der Bund die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Länder ihre Zugriffsmöglichkeiten derart steigern können. NRW steht also nicht allein mit seiner Selbstermächtigung.

Doch in NRW kam es nun zum Konflikt. Alle drei Oppositionsfraktionen im Landtag empörten sich, im Schatten der Corona-Krise missachte Laschet das Parlament und dessen ureigenste Rechte. Im „Hopplahopp-Verfahren“ (AfD-Fraktionschef Markus Wagner) habe er Grundrechtseingriffe durchboxen wollen. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Monika Düker sah „grundlegende Parlamentsrechte wie das der Kontrolle der Regierung“ gefährdet. Damit reihen sich SPD, Grüne und AfD in einen Chor der Mahner ein, der von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) bis zu Hans-Jürgen Papier, dem Ex-Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, reicht. Sie alle warnen vor der Gefahr eines leichtfertigen Aushebelns von Grundrechten und rechtsstaatlichen Verfahren in der Corona-Krise. Baum sieht im Epidemiegesetz gar die „schärfsten kollektiven Grundrechtseingriffe der Landesgeschichte“, sie bedürften dringend einer Überprüfung.

Laschet und CDU-Fraktionschef Bodo Löttgen erklärten diese Vorwürfe für absurd. Beide bekräftigten, sie täten alles, um gemeinsam mit der Opposition ein solides Gesetz zu verabschieden, das NRW für den Verlauf der Epidemie wappne. Als die CDU-Granden dies kürzlich im Parlament beteuerten, traf dies wohl auch zu.

Blitzverfahren geplatzt

Doch in den Tagen zuvor nahm die Opposition das Vorgehen der Regierung anders wahr. Das begann am Samstag, 28. März, zwischen 16.45 und 17.42 Uhr. Da erhielten die Oppositionsfraktionen von der Staatskanzlei per E-Mail ein 47 Seiten umfassendes Schreiben, das die Experten der Fraktionen erstaunte. Und schon einen Tag später signalisierten die Fachleute aller Oppositionsfraktionen ihren Spitzen, ihnen sei hier eine Ansammlung tief greifender Selbstermächtigungen vorgesetzt worden – und nichts zum Durchwinken.

Genau das aber schwebte der Koalition vor. Bereits vier Tage nach Zusendung des Entwurfs wollte die CDU-Fraktion das Gesetz in einem eintägigen Blitzverfahren durchdrücken. Diesen Eindruck vermittelt eine E-Mail, die das Büro von Matthias Kerkhoff, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion, am Samstagabend an die Fraktionen verschickte. In der Mail, die WELT vorliegt, schlägt Kerkhoffs Büroleiter „namens der CDU-Fraktion“ vor, den Gesetzentwurf „auf die Tagesordnung der Plenarsitzung am 1. April 2020 zu nehmen“.

Damit wollte die CDU ein Vorgehen wiederholen, das ihr in der Vorwoche noch Applaus eingebracht hatte. Da hatte Schwarz-Gelb einen 25-Milliarden-Euro-Rettungsschirm für NRW an einem Tag durch alle parlamentarisch vorgeschriebenen Lesungen gejagt und verabschiedet. Alle fünf Fraktionen stimmten zu und verzichteten auf eine gründliche Kontrolle – aus gutem Grund: Die täglich wachsende Gruppe der Arbeitslosen und Insolvenzbedrohten braucht sofort finanzielle Hilfen. Für dieses Verfahren hatte Laschet persönlich in einer Telefonkonferenz mit allen Fraktionsvorsitzenden geworben.

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Ähnlich rasant sollte es nun beim Epidemiegesetz gehen. Nur dass es dieses Mal weder Vorgespräche noch Konsens, noch offenkundigen Zeitdruck gab. Bei der Debatte am 1. April räumte selbst Laschet ein, die Landesregierung habe bis Ostern Zeit, sich für eine weitere Zuspitzung der Epidemie gesundheits- und schulpolitisch zu rüsten. Gleichwohl hatte die CDU-Fraktion in der vorausgegangenen E-Mail SPD, Grüne und AfD gedrängt, die Grundrechtseingriffe nur vier Tage später zu beschließen. An nur einem Tag sollten beide Pflichtlesungen und eine Blitzbesprechung der Fachausschüsse stattfinden. Die sollten in einer 90-minütigen Sitzungspause des Parlaments tagen. Meist dauern solche Debatten im Plenum und in den Ausschüssen Stunden und die Vorbereitung darauf Tage. Auch sah der CDU-Vorstoß keine Expertenanhörung vor, die bei allen wichtigeren Gesetzen gängig ist und ebenfalls Stunden dauert und tagelanger Vorbereitung bedarf.

Die Opposition klagte, sie wolle der Regierung im Kampf gegen Corona ja helfen, fühle sich aber unter moralischen Druck gesetzt, auf ihre Rechte zu verzichten. SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty kritisierte außerdem, Schwarz-Gelb habe „am Parlament vorbei regieren“ wollen. Kutschaty, der Ex-Justizminister, brachte auch gravierende juristische Einwände vor. „Unser Grundgesetz“, sagte er WELT, „schützt die Berufsfreiheit. Wer in dieses Grundrecht eingreifen will, braucht sehr gute Argumente. Doch Laschets Gesetzentwurf liefert keinen einzigen Satz zur Begründung dieses Eingriffs. Die Berufsfreiheit soll angeblich nicht einmal tangiert sein.“ In der Tat ist dem Entwurf zufolge kein Grundrecht durch die geplante Reform eingeschränkt.

Laschets Kehrtwende

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Die Opposition ärgerte sich auch über die anfängliche Rhetorik der CDU. So hatte CDU-Fraktionschef Löttgen noch am 31. März gegenüber dieser Zeitung bestritten, dass Vertreter der CDU-Fraktion der Opposition jemals vorgeschlagen hätten, das Gesetz an einem Tag durchzubringen – trotz der so anders klingenden E-Mail aus dem Büro seines Geschäftsführers.

Laschet und Löttgen entging der Unmut nicht. Zu deutlich war, dass dieser Streit nicht zu dem Motto passte, mit dem sie ihr Gesetz angekündigt hatten: „Nordrhein-Westfalen steht zusammen in der Corona-Krise.“ So nahm Laschet eine abrupte Kehrtwende vor, nachdem die Opposition signalisiert hatte, sie werde auf einem Verfahren mit Zeit zur Kontrolle und Expertenanhörung bestehen. Und so beteuerte der Regierungschef leidenschaftlich, mit ihm werde es „kein Gesetz ohne die Opposition geben“. Auch Löttgen betonte am Mittwoch, wie wichtig ein Konsens sei. Und zugleich mühten sich Redner der Koalition, die Debatte als letztlich zweitrangigen Streit über Formalien abzutun. Entscheidend sei, so bekräftigte Laschet, dass das Land sich für den Katastrophenfall rüste.

Ja, erwiderte Kutschaty, das sei entscheidend. Nur gehe es dabei ums Wie. Und bei diesem Wie gebe es zum Teil gravierende Differenzen zwischen Regierung, Opposition, Betroffenen und Experten. Die dürfe man nicht ignorieren.

Denn auch Betroffenenverbände gingen auf die Barrikaden gegen den Vorstoß, geeignetes Personal zur Arbeit als Arzt, Pfleger oder Altenbetreuer zu zwingen. Oliver Funken und Jens Wasserberg, Vorsitzende des Hausärzteverbandes Nordrhein, sagten, sie seien „entsetzt, wie wenig die Politik in der Pandemie den Einsatz eines gesamten Berufsstandes anerkennt“. Wer als Arzt arbeite, sei ohnehin verpflichtet, Menschen in Not zu helfen. Der brauche keinen Zwang. Auch SPD und Grüne argumentierten, ein Zwang, im Altenheim oder auf Corona-Stationen zu arbeiten, sei kontraproduktiv. Wer wolle von Menschen betreut werden, die gegen ihren Willen eingesetzt würden?

Am 6. April wollen Regierung und Opposition um einen Kompromiss ringen.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: WELT AM SONNTAG

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