Corona-Bonds:Und jetzt alle für alle

Coronavirus disease (COVID-19) outbreak in Milan

Leere auf dem Domplatz von Mailand. Italiens Wirtschaft ist von der Corona-Krise besonders stark betroffen.

(Foto: Flavio lo Scalzo/Reuters)

Bei den Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus folgt die Regierung wissenschaftlichen Empfehlungen. Bei Corona-Bonds hört sie jedoch nicht auf den Rat der Ökonomen. Dabei sind diese Anleihen im deutschen Interesse.

Essay von Cerstin Gammelin

Es gibt eine neue Währung in Europa. Es sind die Zahlen der Corona-Pandemie. Jeden Tag wird gewichtet: Infizierte, Tote. Am Freitag zählt man um elf Uhr 551 263 Infizierte, 39 252 Tote. Die Zahlen verteilen sich unterschiedlich auf einzelne Länder, trotzdem ist klar: Das Virus macht an Grenzen nicht halt. Die Staats- und Regierungschefs stehen massiv unter Druck, kommende Woche auf ihrem Video-Gipfel die Corona-Zahlen in Euro und Cent zu konvertieren. Insbesondere die Staaten der Währungsunion müssen sich einigen. Bleibt es bei dem Prinzip: Die Stärkeren helfen den Schwächeren mit Krediten? Oder begreift man den gemeinsamen Schicksalsschlag als Anlass, gemeinsam zu reagieren - und sich gemeinsam am Markt Kapital zu beschaffen? Die Länderchefs müssen entscheiden: Daumen hoch oder runter für Corona-Bonds.

Die Lage ist verfahren. Eine Mehrheit der Euro-Staaten will, dass alle 19 Länder die Folgen der Corona-Krise gemeinsam bewältigen. Dass sie sich dazu gemeinschaftlich Kapital beschaffen; zeitlich und in der Höhe begrenzt. Der Vorteil ist, dass die hoch verschuldeten Länder entlastet werden. Sie profitieren von den Zinsgewinnen, die sie nur durch auf Zeit vergemeinschaftete Anleihen erhalten würden.

Um die Idee zu verstehen, ist der Blick zurück wichtig. In der dramatischen Schuldenkrise von 2010 an waren einige Euro-Staaten davon bedroht, sich nicht mehr oder nur zu horrenden Kosten Kapital am Markt beschaffen zu können. Auch deshalb, weil sich wirtschaftspolitische Fehler wie der Verzicht auf Reformen rächten. Um die Euro-Zone nicht zu gefährden, gründete sie einen Rettungsfonds, das ist der ESM. Dort können Euro-Staaten unter bestimmten Bedingungen Kredite bekommen. Seine Ausleihkapazität liegt derzeit bei 410 Milliarden Euro. Die Erfahrung von damals zeigt auch: Der ESM ist für große, strauchelnde Volkswirtschaften zu klein. Die Europäische Zentralbank (EZB) musste letztendlich 2012 das Auseinanderfallen des Euro verhindern mit der Garantie, unbegrenzt Anleihen aufzukaufen.

Anders als damals sind in der Corona-Krise alle Länder unverschuldet gemeinsam betroffen; niemand ist verantwortlich. Nur, wenn es darum geht, die Kosten zu stemmen, tun sich die Länder schwer, die noch unter den Folgen von damals leiden. Weil die Zahl der Arbeitslosen nicht genug sank, weil rechte Regierungen zu übernehmen drohten, weil die Unternehmen einfach nicht in Schwung kamen. Allen zu helfen, dafür reicht der ESM nicht aus. Und berücksichtigt man, dass Länder, die damals aus dem ESM Kredite bekommen haben, bis heute nicht aus der Krise sind, zeigt sich: Der ESM ist nicht die Lösung für Corona. Er hilft kurzfristig in akuter Not. Und wenn es gilt, wirtschaftspolitische Reformen durchzusetzen. Genau darum geht es bei Corona nicht.

Die Erfahrung zeigt auch: Staaten, die ESM-Kredite beantragen, werden von Ratingagenturen schlechter bewertet. Damit wird es noch schwerer, die gesamten Schulden zu tragen. Im Falle von Italien, das von Corona so hart getroffen ist wie kein anderes Land, wüchse die Gefahr, dass die nationalen Ressourcen nicht reichen. Außerdem: Woher soll das Geld kommen, wenn nach der Corona-Krise eine Euro-Krise zu bestehen ist? Die Corona-Anleihe ist aus diesen Gründen eine gezielte Entscheidung, Italien und Spanien und allen besonders von Corona betroffenen Ländern mit hohen Schulden zu helfen. Sie garantierte zudem, dass alle Euro-Staaten ihren Zugang zu den Kapitalmärkten behalten. Egal, wie schlimm es kommt.

Die politischen Implikationen sind immens. Der Streit um die Anleihe hat das Zeug, eine Grundfeste Europas heftigst zu beschädigen: die deutsch-französische Verbundenheit. Frankreich ist für den Corona-Fonds, Deutschland dagegen. Stellt sich Berlin weiter gegen die Anleihe, könnten die anderen sie ohne die stärkste Volkswirtschaft herausgeben. Der Euro wäre gespalten. Setzt sich das deutsche Veto durch, kann die heftige Krise in Italien den Euro sprengen.

Die Bundesregierung ist strikt gegen Corona-Bonds. Das kann sie so sehen. Was an diesem Veto aber irritiert: Die Regierung misst in der Corona-Krise offensichtlich mit zweierlei Maß. Mal hört sie auf wissenschaftliche Bewertungen. Und mal nicht.

Die Regierung taktiert vor allem herum

Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Anfang März in der Pressekonferenz erscheint, um zu berichten, dass das neuartige Coronavirus auch Deutschland erreicht hat, sitzt ein Virologe an ihrer Seite. Merkel hat beschlossen, sich bei den Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuche eng an den Ratschlägen und Hinweisen der Virologen zu orientieren. Das erscheint klug und angemessen.

Jetzt geht es darum zu entscheiden, wie die Währungsgemeinschaft durch die Corona-Krise kommt. Dieses Mal sitzt kein Wirtschaftswissenschaftler an der Seite der deutschen Kanzlerin. Andernfalls wäre der erste Schritt zur Corona-Anleihe getan. Denn eine Vielzahl renommierter deutscher Ökonomen empfiehlt, Corona-Bonds einzuführen, wie das Ifo-Institut nach einer Abstimmung mitteilte. Die Ökonomen stimmten dort mehrheitlich für Corona-Bonds - auch mit Stimmen von konservativen Ökonomen, die solche Projekte lange abgelehnt haben.

Doch statt den wissenschaftlichen Rat zu bedenken, taktiert die Regierung herum. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat ein durchsichtiges Ausweichmanöver gestartet. Er will bestehende Töpfe wie den EU-Haushalt, die europäische Investitionsbank EIB, den Rettungsfonds ESM erweitern. Wer Geld braucht, soll es dort bekommen können, gegen geringe Auflagen. 200 Milliarden Euro soll es dafür geben. Auch die EZB soll ihren Teil leisten und notfalls die Bazooka auspacken.

Der Streit ist groß und so grundsätzlich, dass er zuweilen ins Religiöse, ins Ideologische abgleitet. Die Bundesregierung will vermeiden, ihn offen auszutragen. Ihre Sorge ist, dass die Steuerzahler es nicht schätzen, wenn sie für die Schulden anderer Staaten mithaften. Die große Koalition redet nicht darüber, dass auch Frankreich für alle haftet. Dass jeder für alles haftet. Und, dass am Ende die EZB bereitsteht. Corona-Bonds wären praktisch ausfallsichere Anleihen.

Es geht auch um die Zukunft des Euro

Man stelle sich für einen Augenblick vor, es gäbe den Euro nicht. Corona würde jetzt nicht nur dazu führen, dass die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben praktisch ins Koma versetzt werden. In Deutschland wie in Italien oder Spanien. Sondern auch, dass Lira und Peseta dramatisch abwerten würden. Und die D-Mark durch die Decke schießen würde. Alle Firmen in Bayern könnten in der Folge zumachen. Und große Konzerne wankten. Der Euro verhindert das.

Hinter dem Streit um die Corona-Bonds geht es auch ums Grundsätzliche, um die Zukunft des Euro. Ermutigt die Krise die Euro-Staaten, die Währungsgemeinschaft endlich zu vollenden - oder nicht. Folgten die Euro-Staaten der Tendenz in der Corona-Krise, neue Mauern zu bauen, stünde es schlecht um die Währung. Das Problem ist: Die Euro-Länder betreiben eine gemeinsame Geldpolitik, aber keine gemeinsame Fiskalpolitik. Die EZB legt einen mittleren Zinssatz für die Euro-Zone fest. Gemeinschaftliche Schuldverschreibungen gibt es dagegen nicht. Jedes Land betreibt seine nationale Haushalts- und Finanzpolitik. Kein Land kann einem anderen vorschreiben, ob es sparen, reformieren oder investieren soll. Man stimmt sich ab, die EU-Kommission gibt Empfehlungen. Dennoch richtet jede Regierung ihre Haushaltspolitik nach nationalen Bedürfnissen aus. Und so, damit sie möglichst wiedergewählt wird. Ein Vetorecht gibt es nicht.

Bisher funktioniert die Geldbeschaffung in der Euro-Zone so: Jedes Land gibt nationale Anleihen aus. Sie sind im Prinzip Schuldscheine, die der Staat Investoren verkauft. Hat der Staat eine hohe Kreditwürdigkeit, bringen seine Schuldverschreibungen nur geringe Rendite. Deutschland genießt wegen seiner Wirtschaftskraft und der soliden Finanzen an den Märkten die beste Kreditwürdigkeit. Die durchschnittliche Rendite für zehnjährige Staatspapiere liegt zwischen minus 0,4 und 0,5 Prozent. Da die Bundesrepublik wegen der schwarzen Null im Bundeshaushalt über fünf Jahre keine zusätzlichen Schuldscheine ausgegeben hat, sind sie jetzt besonders begehrt. Im März hat Deutschland bei einer Auktion neuer Bonds für jede 1000 Euro noch 7,70 Euro von den Investoren dazubekommen.

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Griechenland und Italien müssen den Investoren eine deutlich höhere Rendite bieten, damit sie ihre Staatspapiere kaufen. Das liegt daran, dass beide Staaten einen großen Schuldenberg vor sich herschieben. Er liegt für Italien bei ungefähr 130 Prozent, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt. Zugleich ist das Wachstum in Italien in den vorigen Jahren gering ausgefallen. Beides zusammen führt dazu, dass die durchschnittliche Rendite für zehnjährige italienische Anleihen im Februar bei fast plus einem Prozent lag. Für jede 1000 Euro muss Rom den Investoren rund 10 Euro zuzahlen. Es ist also für die Regierung in Rom wesentlich teurer, neue Schulden zu finanzieren als für die Regierung in Berlin.

Gravierender ist, dass der italienische Schuldenberg deutlich weiter anwachsen wird. Das würde Investoren möglicherweise zögern lassen, weiter italienische Staatspapiere zu kaufen. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit herabstuften.

Das grundsätzlichen Merkmal einer gemeinschaftlichen Anleihe ist zugleich das große Problem: Man haftet gemeinsam. Alle für jeden. Jeder für alle. Gleichzeitig aber kann kein Land kontrollieren, wie die Nachbarn das Geld ausgeben. Das war immer das Argument der Bundesregierung gegen Euro-Bonds. Und das ist auch nachvollziehbar, weil die Risiken nicht kontrolliert werden können.

Genau deshalb sollen aber Corona-Bonds anders konzipiert werden. Einmalig. Zeitlich begrenzt. Und im Umfang begrenzt. Den deutschen Bürgern hat das bisher am besten der italienische Premierminister Giuseppe Conte erklärt, als er zu bester Sendezeit im deutschen Fernsehen zu sehen war. Es ist aber eigentlich eine Aufgabe für den Bundesfinanzminister und die Kanzlerin.

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