Wie kann es in einem Land mit so vielen an die NS-Zeit mahnenden Stätten, dessen Gedenkkultur international gerühmt wird, in solcher Regelmäßigkeit geschehen, dass Institutionen, Ministerien und Firmen zu ihrer großen Überraschung eine unter den Teppich gekehrte braune Vergangenheit vorgehalten bekommen? Im Januar 2020 traf es groteskerweise gleich zwei prominente Herren mit dem Namen Alfred Bauer: den Verleger und den ersten, langjährigen Leiter der Berlinale.

Der Berlinale-Bauer machte schon 1945 in einer Denkschrift für die Alliierten den Deutschen ein unwiderstehliches Angebot, das er dann mit vielen anderen selbst in Anspruch nahm: Schuld am Nationalsozialismus waren die Nazis. Aber damit war natürlich nicht das Mitglied von NSDAP, SA und NS-Studentenbund Alfred Bauer selbst gemeint, der sich ein "völlig reines Gewissen" attestierte, sondern in seinem Bereich, dem Film, ein anderer: Joseph Goebbels. In der Monstrosität der Verbrechen des "Dritten Reichs" lag nämlich auch eine Chance, denn wer nicht gerade SS-Mann im KZ oder besonders prominent war, konnte hoffen, im Windschatten der großen Verbrechen unterzutauchen. Der Fokus auf das unbegreiflich Böse und die Hauptverbrecher, Sadisten und Fanatiker wurde später durch die deutsche Empathie mit den Opfern ergänzt. Große TV-Ereignisse wie Guido Knopps Dokumentationen oder Unsere Mütter, unsere Väter spiegeln diese Perspektiven. Aber die Geschichte der gewöhnlichen Parteigenossen, Mitläufer und Opportunisten wird ungern erzählt, weil die Mehrheit unserer Großmütter und unserer Großväter 1933 Parteien wählten, die die Demokratie vernichten wollten. Und nach 1945 mochten sie davon nichts mehr wissen.