Dieser Dienstag ist einer jener Tage, an denen der Berliner Politbetrieb vollkommen um sein einziges Zentrum kreist: um die ewige Frage danach, wer die Macht hat, wer sie verliert und wer sie vielleicht bekommt. Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz stellen sich vor und Hauptstadtjournalisten plus angeschlossene Twitterblase deuten Schweißperlen und Tonlagen, fallen über Versprecher und Unbedachtheiten her, mit der Gewissheit, dass es sie selbst nicht treffen kann. 

Umso wichtiger ist es, die genauen Umstände jener kurzen Szene beim Auftritt von Friedrich Merz in der Berliner Bundespressekonferenz zu erklären, um die es hier gehen soll. 

Merz beginnt mit der Ankündigung, es falle ihm nach den Ereignissen von Hanau "ein bisschen schwer, jetzt einfach so zur politischen Tagesordnung" überzugehen. Eine angemessene Einleitung, ein Zeichen der Empathie. Kurz darauf erklärt Merz noch, man habe in Deutschland "das Problem des Rechtsextremismus jahrelang extrem unterschätzt" – um dann allerdings sofort auf Clankriminalität, Grenzkontrollen und rechtsfreie Räume abzudrehen. 

Die Niederlage 2018? Formschwäche!

Die folgenden 60 Minuten sind vor allem aufschlussreich dafür, welches Bild sich Merz von Merz macht und welches von anderen. Dass er beispielsweise seine Niederlage um den Parteivorsitz 2018 als zufällige "Formschwäche" deutet: "Hätte ich eine bessere Rede gehalten, hätte ich die Mehrheit gewonnen", sagt er. Und das heißt ja vor allem: Im Normalzustand ist Merz für Merz natürlich der Beste. Deshalb geht es ihm auch bei der Frage, ob ein Team die beste Lösung für das CDU-Führungsvakuum sein könnte, vor allem darum, wer sie führt (das ist überhaupt sein Lieblingswort). Deswegen habe er sich mit den anderen Bewerbern nicht einigen können.

Jetzt hat also Laschet Spahn, Röttgen hat "eine Frau", auch wenn er noch nicht weiß, welche. Und Merz hat Merz. Und er hat eine Sekretärin, also eine Generalsekretärin. Die will er der Partei nach seiner Wahl vorschlagen.

Sein Auftritt wird von Minute zu Minute breitbeiniger, bis dann jene Szene kommt. Letzte Frage, die ersten Journalisten stehen schon auf, um kurze Antwort wird gebeten. Ein Kollege vom Spiegel kommt auf Hanau zurück. Er fragt, anknüpfend an Merz' Ausführungen zu Beginn der Konferenz: "Schließe ich daraus richtig, dass Ihre Antwort auf das Problem des Rechtsradikalismus die stärkere Thematisierung von Clankriminalität, Grenzkontrollen und so weiter ist? Und wenn nicht: Was wäre sie dann?" 

Merz nimmt den Ausweg nicht

Merz könnte jetzt eine "Ja, aber" oder eine "sowohl als auch"-Antwort geben. Er könnte in zwei, drei Sätzen skizzieren, was es braucht im Kampf gegen Rechtsextremismus, so viel Zeit wäre schon noch. Der Journalist hat ihm mit dem "Und wenn nicht"-Nachsatz sogar einen Ausweg gebaut, er muss ihn nur nehmen. Merz könnte von rechtsstaatlicher Härte gegen Rechtsradikale sprechen, von Bildung vielleicht, oder davon, dass nun zuerst die Opfer von rechtsradikaler Gewalt geschützt werden müssen, gerade nach Hanau. Aber Merz denkt jetzt offenbar nicht mehr an Hanau, er will den Ausweg nicht nehmen. Er sagt: "Die Antwort ist: Ja." 

Einige Journalisten stutzen: Hat er das wirklich so gesagt? Und meint er es auch so? 

Ja, das hat er. Und angesichts der Umstände, der präzisen Frage und der präzisen Antwort, deutet auch nichts darauf hin, dass es sich hier um eines jener Missverständnisse handelt, um einen jener Sprüche, der im Nachhinein aus dem Kontext gerissen und aufgebauscht wird. Nein, der Kontext ist klar, der Fall eindeutig. Friedrich Merz glaubt, dass man den Rechtsradikalismus am besten bekämpft, indem man ihm nachgibt. Dass man härter gegen die ausländischen Clans, gegen die Ausländer an der Grenze und in den Problemvierteln vorgehen muss, dass, kurz gesagt, mehr Härte gegen missliebige Ausländer das beste Mittel gegen Rechtsradikalismus ist. 

Eine menschliche und strategische Pleite

"Die Antwort ist: Ja." Nach diesem Satz wissen wir nicht nur, dass neben der Merz'schen Steuererklärung auch die Merz'sche Strategie gegen Rechtsextremismus auf einen Bierdeckel passt. Wir wissen auch, dass ein CDU-Vorsitzender Friedrich Merz allen die Hand ausstrecken würde, die sowieso der Meinung sind, dass das Problem mit den Rechtsextremen eigentlich die Ausländer sind und die Linken. 

Man möchte nicht wissen, was die Angehörigen der Opfer von Hanau fühlen, wenn sie von Merz' Antwort hören. Nein, man muss hoffen, dass sie davon gar nicht erst hören. Und noch mehr muss man hoffen, dass aus den Merz'schen Worten nicht bald die offizielle Linie der mächtigsten deutschen Partei wird. Es wäre eine menschliche und strategische Pleite.