Den schönsten Schulterschluss zwischen der Ahmadiyya-Gemeinde und dem, was man gemeinhin als deutsches Symbol auslegen könnte, sieht man nicht sofort. Das Gebäude, in dem sich heute die Bait-ul-Wahid-Moschee dieser vergleichsweise jungen Islamströmung befindet, war früher ein Aldi-Markt. Das passt insofern wunderbar, als die Gemeinde sich als dezidiert deutsche Religionsgemeinschaft versteht. Und doch wurden auch ihre Mitglieder am vergangenen Mittwoch zur Zielscheibe von rechtsextremistischem Hass.

Wer in Deutschland einer anderen Religion als dem Christentum nachgeht, wer schwarze Haare hat und einen Bart, eine Kippa oder ein Kopftuch trägt, muss fürchten, angegriffen zu werden. Das hat der Anschlag von Hanau – man muss sagen: erneut – deutlich gemacht. Die Gemeinde der Bait-ul-Wahid-Moschee könnte deshalb zornig sein, ängstlich und enttäuscht. Sie hätte alles Recht der Welt. Sie könnte sich deshalb einigeln. Aber ihre Mitglieder haben sich entschieden, das Gegenteil zu tun.

Drum haben sie zwei Tage nach dem Attentat eingeladen in ihre Moschee, haben ihre Türen geöffnet für jeden, den es interessiert, um am Freitagsgebet teilzunehmen und gemeinsam für die Opfer des Anschlags und ihre Angehörigen zu beten. Gekommen sind neben etwa einem Dutzend Kamerateams rund 80 Gläubige. Darunter ältere Männer aus Pakistan, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie dort wegen ihres Glaubens in Angst leben mussten. Jetzt fürchten sie, das könne sich hier wiederholen. Junge Gläubige, die zeigen wollen, dass sie sich nicht einschüchtern lassen. Und auch ein Mann aus Hanau, in dessen Auto am Donnerstagmorgen eine Kugel steckte. Auf seiner Heckscheibe stand das Motto der Ahmadiyya: "Liebe für alle, Hass für keinen".

Wahaj bin Sahid arbeitet ehrenamtlich für die Ahmadiyya-Gemeinde © Ben Kilb für ZEIT ONLINE

Eigentlich kein besonders kontroverses Motto, sollte man meinen. Ein ziemlich gutes sogar, das in diesen Tagen wie eine Durchhalteparole klingt. Aber auch eines, das gar nicht so leicht umzusetzen ist, wenn man zur Zielscheibe rechter Mörder wird. An diesem Freitag aber zeigt die Gemeinde, wie es geht. Im Gemeinschaftsraum stehen Kuchen und Tee, vor der Tür warten Mitglieder, die Gäste mit Handschlag begrüßen, nach dem Befinden fragen und lächeln.

Das Gebet an diesem Tag leitet der Bundesvorsitzende der Ahmadiyya, Abdullah Uwe Wagishauser. Und er wird politisch. Der Terrorist von Hanau sei das Produkt einer Gesellschaft, in der Hass und Extremismus leider dazugehörten. Es gebe diese dunkle Seite, aber eben auch eine helle, sagt er auf Deutsch. Und deshalb sei es zwar nachvollziehbar, dass man sich nun wehren wolle, aber dabei gelte immer: "Unser Motto muss bleiben!" Es ist eine versöhnliche Ansprache, die dennoch Kritik an jenen übt, die zur Spaltung der Gesellschaft beitragen würden. Die AfD nennt er nicht namentlich, aber es ist klar, wer gemeint ist.

"Wir möchten mit unserer Moschee ein Ort der Stadtgesellschaft sein"

Einer, der dem Gebet beiwohnte, ist Wahaj bin Sahid. Der 37-Jährige arbeitet ehrenamtlich für die Ahmadiyya-Gemeinde in Frankfurt, im Rhein- Main-Gebiet gehören etwa 30.000 Muslime dieser Glaubensrichtung an. Nach Hanau ist Sahid aus Solidarität gekommen. In eine Mitleidsrolle will er aber nicht gedrängt werden. "Wir möchten uns nicht als Opfer verstehen, denn wir sind Teil dieses Landes und der Gesellschaft, in der dieser Hass entstanden ist. Und deshalb möchten wir sie auch gemeinsam neu mitgestalten", sagt er. Wirklich überrascht von dem, was in Hanau passiert ist, sei er nicht gewesen. "Das ist ja eine Entwicklung, die seit mehr als 20 Jahren anhält." Jeder hier habe Situationen erlebt, in denen er ausgegrenzt wurde. So wie er formulieren es viele. Ja, das mulmige Gefühl sei da, nein, davon leiten lassen wolle man sich nicht.

Nach dem Freitagsgebet sitzen einige Gemeindemitglieder gemeinsam am Tisch bei Gebäck und Kaffee. Sie haben eingeladen zum Gespräch und Austausch. Gekommen sind ein paar Journalisten. Nicht muslimische Gäste, die nicht beruflich hier sind, sieht man keine. Dafür sind auch einige der Frauen, die zuvor traditionell in einem eigenen Raum dem Gebet nachgingen, mit in der Runde. Sahid sitzt an einer Ecke des langen Tischs und bittet, dass die Solidaritätsbekundungen der vergangenen Tage keine Momentaufnahme bleiben: "Wir möchten mit unserer Moschee ein Ort der Stadtgesellschaft sein, einer der offen ist für alle. Die Lösung kann nicht sein, dass wir uns abschotten und unter Schutz stellen müssen, wie es bei Synagogen ja leider der Fall ist."

Der Parkplatz vor der Moschee © Ben Kilb für ZEIT ONLINE

Am Ende des Gesprächs verteilen sich alle zu ihren Autos – die Moschee liegt etwas abseits in einem kleinen Gewerbegebiet. Wenn man im Türrahmen steht und Richtung Parkplatz blickt, erkennt man kaum den Unterschied, ob es nun ein Aldi-Parkplatz ist oder der eines Gebetshauses. Über der Ausfahrt hängt auf einem Mast sogar eine Leuchtreklame, statt eines Firmenlogos ist da eben jenes Motto zu lesen: "Liebe für alle, Hass für keinen". Nur parkt darunter jetzt ein Einsatzwagen der Polizei.