Der Anschlag von Hanau ist kaum 48 Stunden her und noch ist er ein großes Gesprächsthema. In wenigen Tagen, das lehrt die traurige Erfahrung, wird das schon wieder anders sein. Die Fahnen werden von halbmast wieder hochgezogen, die Protestbanner eingerollt und AfD-Politiker werden in die nächste Talkshow eingeladen, um dort ihre Storys über den "verwirrten Einzeltäter" zu erzählen, als wäre der Mord an zehn Menschen nur die Tat eines kranken Menschen und hätte mit der AfD überhaupt nicht zu tun.

Am Donnerstagabend, das Attentat von Hanau war noch keine 24 Stunden her, saßen einige junge Männer und Frauen in einer Eckbar am Heumarkt. Die Shisha-Bar Midnight ist in Wurfweite. Jenes Lokal, in dem ein Mörder gezielt Menschen erschoss, offenbar weil sie nach seinem wirren Verständnis nicht deutsch genug waren. Gerade diskutieren einige der Gäste am Tresen über das Attentat. Manche von ihnen haben draußen Kerzen angezündet. Dann stellt jemand ernsthaft diese Frage: "Wie lang soll das denn noch Thema sein?"

Die Anschläge werden häufiger, die Halbwertszeit des gesellschaftlichen Schocks dagegen kürzer. Der Mord an Walter Lübcke im Sommer, Halle im Herbst, jetzt Hanau. Erst vor wenigen Tagen flog die sogenannte Gruppe S auf, sie plante Anschläge auf Moscheen in zehn Bundesländern. Deutschland diskutierte darüber, wie Gebetshäuser angemessen geschützt werden können. Eine halbe Woche später aber interessieren sich schon wieder mehr Menschen für die Frage, welcher Westfale womöglich die Kanzlerin im Jahr 2021 ablösen wird. Das lässt sich an Twitter-Trends ablesen, an Klickzahlen, Kommentaren und Einschaltquoten.

Hanau - "Das kann jetzt überall passieren" Einen Tag nach dem Attentat von Hanau haben wir Stimmen in einer Shisha-Bar und von einer Demonstration gegen rechte Gewalt gesammelt. Ein Beitrag aus dem Videoarchiv

Der Hass kehrt immer schneller zurück

Gegenüber der Eckkneipe am Heumarkt liegt eine Spielhalle. Hier sitzen gegen Mitternacht eine Rumänin, ein Bulgare und zwei Türken zusammen. So wie am Vorabend, als sie die Schüsse hörten, rausrannten und sahen, wie eines der Opfer auf der Straße starb. "Müssen wir uns jetzt immer fürchten, wenn die Tür aufgeht?", fragt einer von ihnen. Ein anderer berichtet, wie er in den Neunzigerjahren im Fußballverein gespielt habe, als einziger Türke: Nachdem er ein Tor geschossen hatte, malte sein Mitspieler ihm "zum Dank" ein Hakenkreuz auf die Brust. Rassismus ist nicht am Mittwochabend in Hanau entstanden. Er war sichtbar in Solingen, Mölln und in Lichtenhagen, dann grassierte er einige Zeit versteckter, bis Bautzen, Freital, Halle und zig andere Städte zu Chiffren für Hass wurden. Und weil er immer schneller vergessen wird, kehrt er immer schneller zurück.

Es ist ein gutes, wichtiges und starkes Zeichen, dass sich am Donnerstag bundesweit so viele Menschen auf die Straße stellten und zeigten: So sind wir nicht! Aber es reicht nicht, wenn anschließend das Banner eingerollt und in die Ecke gestellt wird bis zum nächsten Mord. Einen Waldbrand kann man nicht löschen, indem man einmal draufspuckt. Rechtsextreme Gewalt entsteht auch, weil Menschen wie Hans-Georg Maaßen aufhetzen, weil eine Partei seit Jahren die Grenze des Unsagbaren verschiebt, weil sogar Sigmar Gabriel sich bemüßigt fühlt, am Donnerstagmorgen in seinem Kondolenzbeitrag brennende Mülltonnen mit dem Mord an Migranten in Relation zu setzen.

Was jetzt nötig ist, ist mehr als eine Mahnwache, mehr als eine Titelseite und mehr als ein Trauerflor am Trikot einer Fußballmannschaft. Es braucht Widerspruch. Wenn jemand über einen Judenwitz lacht. Wenn jemand in der Bahn wegen seiner Hautfarbe angesprochen wird. Wenn jemand mal lieber einen Bogen um die nächste Moschee läuft, weil man ja nie wissen könne. Wenn jemand auf der nächsten Party der AfD "in diesem einen Punkt ja schon ein bisschen recht" gibt. Es reicht nicht, zu schlucken, sich wegzudrehen oder beim nächsten Mal den Kumpel mit den komischen Ansichten nicht mehr zum Bier einzuladen. Das wird unbequem, ja. Aber das ist es doch längst. 

Sind Sie, liebe Leserinnen und Leser, von Rassismus betroffen? Nach Halle, der Aufdeckung der rechten Terrorzelle "Gruppe S." und nun Hanau: Was sind Ihre Gedanken zu rassistisch motivierten Anschlägen? Wenn Sie möchten, posten Sie Ihre Erfahrungen in den Kommentarbereich oder schreiben Sie sie in das Formular. Gerne können Sie uns auch an Community-Redaktion@zeit.de schreiben.