Ein beliebtes Argument in Diskussionen, wie sie unter Texten wie diesem geführt werden, heißt Unterhaltung. Dass also kritische Befassung mit Filmen schön und gut sei, dass man vielleicht dieses oder jenes hineinerklären könne in den ARD-Sonntagabendkrimi, aber – am Ende und ganz eigentlich geht es doch nur um Unterhaltung.

Klingt bescheiden, macht die Sache aber nicht einfacher. Denn Unterhaltung kann auf verschiedene Arten bewerkstelligt werden: durch Witz, durch interessante Geschichten, durch Schrecken und Grusel, durch Mitleid und Gefühl. Gute Unterhaltung ist, was die Zeit vertreibt, weil sie sie vergessen macht.

Diesen Begriff pflegt zumindest der Münchner Tatort: Unklare Lage (BR-Redaktion: Stephanie Heckner). Die Polizei wird zu einem Linienbus gerufen, in dem ein Kontrolleur erschossen wurde, der Täter ist flüchtig. SEK rückt an und in der Nachhut: der Ivo (Miroslav Nemec) und der Franz (Udo Wachtveitl). Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) wird bald in den Führungsstab der Operation delegiert, was ihn beim letzten Mal, als er den Anscheißer raushängen ließ, einmal mehr zum Joshua Kimmich des Münchner Schauplatzes prädestiniert – Stichwort: Führungsverantwortung.

Matthias Dell schreibt seit 2010 wöchentlich über "Tatort" und "Polizeiruf 110". Auf ZEIT ONLINE seit 2016 in der Kolumne "Der Obduktionsbericht". © Daniel Seiffert

Womöglich deutet sich da eine Hausberufung als Lösung für die große Lücke an, die der Ivo und der Franz "dereinst" (Thomas Mann) hinterlassen werden; der Tag wird kommen, an dem sie nicht mehr versuchen, viel zu schneller Täter durch Fußverfolgung habhaft zu werden. Dass Kallis preppy-properes Bayernburschentum ein Faktor ist, mit dem die personelle Verjüngung des Münchner Tatort kalkulieren könnte, wäre also ein Gedanke, den man sich für später aufheben kann.

Im Jetzt spielt Unklare Lage und der Film tut das ziemlich aufregend (Drehbuch: Holger Joos, Regie: Pia Strietmann). Das Verbrechen vollzieht sich, während der Tatort läuft. Der flüchtige Täter ist der junge Tom Scheuer (Manuel Seitz), der die Weltstadt mit Herz in Aufregung versetzt, wie es in der Realität der Anschlag vom Olympia-Einkaufszentrum (OEZ) im Sommer 2016 getan hat.

Gleich zweimal wird zitiert, was Scheuer gesagt hat: "Ein Einzelner unterhält die ganze Welt". Und damit wäre man bei einem breiten Spektrum von Unterhaltungsdefinitionen – als Witze-Erzähler tritt der Irgendwie-Nachahmer in dem Tatort ja nicht in Erscheinung. 

Das mit Irgendwie-Nachahmen macht die Mission in Unklare Lage durchaus heikel. Denn der Film streift Bilder, die ungute Erinnerungen einschleppen. Der leere Bus auf der gesperrten Straße, die in der Schule, zu der Scheuer womöglich will, unter den Bänken kauernden Mädchen und Jungen, Blicke auf Schaulustige, die auf Balkonen dem Fortgang der Dinge folgen – wie sehr der Film an den Reglern von Panik und Paranoia dreht, von der handelt, ist eine entscheidende Frage.

Denn es ist etwas anderes, ob man sich überlegt, ein durch die Stadt fahrendes Auto wie Quentin Tarantino, Pia Frankenberg oder John Carpenter zu filmen. Oder ob man Bilder von einer Stadt in Angst dreht und dadurch in Versuchung gerät, das Trauma, das in München seit dem OEZ-Anschlag herrscht, zu reproduzieren. Am Abend des Attentats herrschte lange Ungewissheit, ob ein oder mehrere Täter in der Stadt unterwegs seien (dieses Motiv übernimmt der Tatort für seinen fiktiven Fall) – eine Paranoia, die durch die von Einbildung und falschen Wahrnehmungen getriebene Live-Kommunikation auf Social Media noch verstärkt wurde (das kriegt der Krimi nicht so gut abgebildet). 

Unklare Lage wahrt zumeist die Balance. Dem Film gelingt eine ziemlich plausible, durch reiche Komparserie gestützte Darstellung von Verunsicherung und Ungewissheit (effektive Kamera: Florian Emmerich, Spitzenton: Harti Küffner), die im Grunde keine Dialoge braucht, weil sich das Handeln-Müssen zwangsläufig ergibt. Vermutungen, Indizien, neue Spuren – es ist ziemlich beeindruckend, wie genau und prägnant der Film Ermittlung abbildet.  

Frivol erscheint er allerdings in zwei Aspekten. Da wären einerseits die ganzen Gesichter und Mikrofone, die der produzierende Bayerische Rundfunk zur Verfügung stellt und aus denen der Stolz zurückechot, den populären ARD-Sonntagabendkrimi mit superauthentischer Nachrichtenseriosität aus dem eigenen Hause ausstatten zu können.

Was vor dem Hintergrund der Erfahrungen des einstigen BR-Reporters Richard Gutjahr verlogen bis zynisch wirkt: Gutjahr war, auch weil er vom OEZ-Anschlag berichtet hatte, in den Fokus rechter Hater geraten, die sich aus Verschwörungstheorien Realität basteln. Der Sender, namentlich Intendant Ulrich Wilhelm, hatte nach Gutjahrs Auskünften eine traurige Figur gemacht, was die Unterstützung des eigenen Mitarbeiters angeht.