Als alles vorbei scheint, alles gescheitert, sitzt der Maestro inmitten leerer Stühle. Dass es so gut gemeint war, sagt er, was sie versucht haben hier oben in der Trutzburg in den Alpen. Und dass gut gemeint einfach nicht reicht.
Das könnte man für einen Trick halten. Weil Eduard Sporck, der Maestro, der Dirigent, mit dem selbst die untereinander verfeindetsten Menschen gern Musik machen, der Therapeut, das Zentrum, der mobile, menschliche Grenzstreifen in einem Film ist, der seine Gutgemeintheit regelmäßig bis kurz vor dem Zusammenbruch im Klischee wie eine Monstranz vor sich herträgt, von ihr getragen wird.
Und weil einen Dror Zahavi, der Regisseur, und seine drei bis vier Drehbuch-Coautoren mit Sporcks Stoßseufzer auffordert innerlich lauthals zu antworten: Nein, manchmal reicht gut gemeint eben doch, erträgt alles, macht alles aushaltbar. Was in diesem Fall tatsächlich stimmt.
Zahavi, 1959 in Tel Aviv geboren, lebt seit 1982 in (erst Ost-)Deutschland. Die Geschichte, dessen Botschaft „Crescendo #makemusicnotwar“ geradezu schmerzhaft offensichtlich schon mit seinem sperrigen Titel in unsere Köpfe plakatiert, erzählt sozusagen die Kurzfassung der Geschichte von Daniel Barenboims 1999 gegründetem, israelisch-palästinensischem Westöstlichen Divan Orchester.
Es geht damit los, dass man einen jungen Israeli und eine junge Palästinenserin Bach spielen sieht und hört.
Ron hat seine Ruhe in einer feinbürgerlichen großen Wohnung in Tel Aviv, kann sich auf sich konzentrieren, auf seine Finger, seinen Bogenarm und auf Bach. Layla in der Westbank verzweifelt – parallel geschaltet – beim Üben des gleichen Stücks am Lärm der Demonstrationen auf der Straße vor ihrem Haus, an den Schüssen, den Allahu-akbar-Rufen, dem Tränengas, das von draußen über ihren Notenständer geweht wird.
Sie haben beide das gleiche Ziel. Dass es ein geradezu utopisches ist, wie utopisch es wirklich ist, erfahren sie bald. Dass es erreichbar ist, erfahren sie am Ende.
Gefährlicher Weg zum Vorspiel
Sporck, in Frankfurt lehrender dirigierender Weltstar im philharmonischen Ruhestand, soll in Tel Aviv ein Orchester zusammenstellen. Viel Zeit ist nicht. Es soll eine Friedenskonferenz musikalisch verzieren. Paritätisch besetzt mit jungen Israeli und jungen Palästinensern. Gut gemeint halt.
Die einen fahren mit dem Bus zum Vorspiel, die andern werden an den Checkpoints gedemütigt. Für die einen ist ein sinfonisches Orchester ein gewissermaßen natürlicher Zustand, die andern haben sich schon damit bei ihren Eltern verdächtig gemacht, dass sie überhaupt die Musik der andern spielen wollen.
Dass sie mit der Geige zu denen fahren, die ihre Panzer schicken. Kaum sehen sie sich, hören sich ihre Sprachen sprechen, gehen sie aufeinander los.
Vorspiele für Orchesterposten an sich sind schon Krieg, Veranstaltungen voll Neid und Missgunst. Ein Vorspiel mit dieser politischen Vorgeschichte erweist sich dann ganz schnell als geradezu körperlich gefährlich.
Dass es bis zum Konzert (es gibt Vivaldis Jahreszeiten und Dvoraks „Aus der neuen Welt“) nichts wird mit Routine, dass es nicht mit musikalischer Erziehung, mit dem Einstudieren von Partituren getan ist, ist Sporck klar, kaum haben die Vorspiele begonnen.
Was sich in einer Trutzburg im Schatten der Berge Südtirols anschließt, nachdem das Kammerorchester endlich besetzt ist, wird dementsprechend alles andere als ein philharmonisches Probeferiencamp, es wird eine dreiwöchige israelisch-palästinensische Therapiesitzung.
Das Wetter ist schön, die Berge sind prächtig. Drinnen wird eine Art Seelenarchäologie betrieben. Zahavi lässt Archetypen solange aufeinander los, bis ihre Verfasstheit nackt vor einem steht.
Jede tragende Figur ein Funktionsträger. Dass Sporck auch noch eine Familiengeschichte haben muss, die allzu offensichtlich nur als Katalysator fürs Geschehen dient (die Eltern waren Ärzte in Auschwitz und sind bei der Flucht in Südtirol um die Ecke vom Probesaal erschossen worden, er schämt sich Zeit seines Lebens), hätte nicht unbedingt sein müssen.
Die Dramaturgie rumpelt überhaupt ein bisschen herum. Stuhlkreise werden gebildet, Familiengeschichten erzählt. Man schreit sich an, alle Argumente aus dem Archiv des Nahostkonflikts werden ausgetauscht.
Kein Märchenfilm. Beinahe
Man kommt sich näher, sieht sich an, erkennt, wie sehr man Spielball falscher Wahrheiten geworden ist, erkennt einander. Ein bisschen verliebt man sich ineinander.
„Wenn man sich nicht gegenseitig als Person wahrnimmt“, sagt Sporck, „kann man auch nicht zusammen Musik machen.“ Das haben sie, haben wir am Ende – wenn der Märchenfilm, der kein Märchenfilm wird (naja ein bisschen wird er es am Ende schon), alle gelernt.
Und dass es egal ist, ob man (der ziemlich einzige richtige Fehler im ansonsten sehr überzeugend einstudierten Musizieren) ein Englischhorn hört, wenn man eine Oboe sieht ist. Dass Holzschnitte tatsächlich lebendig werden können, wenn man ihnen nur lange genug zuschaut und zuhört (und sie so intensiv ausgespielt werden wie hier).
Dass Musik das beste aller Kommunikationsmittel ist, lernt man vor allem, weil sie alle, die gemeinsam an ihrer Umsetzung beteiligt sind, irgendwann ganz von alleine dazu zwingt, sich und alle erlernten, ererbten Egoismen und Feindbilder zurückzunehmen, einfach mal die Klappe zu halten und loszuspielen.
„Crescendo“ ist kein richtig guter Film, aber ein richtig wichtiger Film. Ein Anfang. Gut gemeint. Und das reicht. Erst einmal.