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Salvini plante den Coup – und riskiert nun, alles zu verlieren

Es wird ungemütlicher für Italiens Inneniminister Matteo Salvini. (15. August 2019) Foto: Jussi Nukari/Reuters

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Es laufen die letzten taktischen Manöver, die allerletzten Kapriolen werden aufgeführt, manche Herrschaften legen auch noch ein paar falsche Fährten. Rom nähert sich dem Höhepunkt einer «surrealen Krise», wie sie der sonst nüchterne Corriere della Sera beschreibt – und alle rätseln. Sicher scheint nur ein einziger Programmpunkt zu sein: Dienstag, 20. August, Senat der Republik, 15 Uhr, Mitteilungen des Präsidenten des Ministerrats.

Premier Giuseppe Conte wird dann eine Rede halten. Man hört, er schreibe schon seit Tagen daran. Wahrscheinlich wird er darin die 14 Monate seiner Regierung Revue passieren lassen und erklären, wie es kam, dass dieses «Kabinett des Wandels» aus Lega und den Fünf Sternen, wie er es selbst einmal nannte, nun abrupt zu einem Ende kommt. Gewollt hat dieses Ende nicht Conte, sondern Matteo Salvini, sein Vize von der rechten Lega und Innenminister. Der hat einen Misstrauensantrag gegen Conte eingebracht.

Die Fünf Sterne könnten ein Bündnis mit den Sozialdemokraten eingehen

Doch Salvini würde wohl viel dafür geben, wenn er alles ungeschehen machen könnte: den Bruch mit seinen Koalitionspartnern der Cinque Stelle; die Forcierung einer Krise mitten in den Sommerferien, was die urlaubenden Parlamentarier fürchterlich aufregte; diese Hast, wo es doch für ihn gerade ideal lief. Der Coup mit der Krise, um baldige Neuwahlen zu erzwingen, misslang wohl gründlich. Er weckte einen Block im Parlament, der sich Salvini jetzt entgegensetzt und ihn für dreieinhalb Jahre in die Opposition verbannen könnte.

Salvini riskiert also, alles zu verlieren, auch das Gesicht. Die Zeitung «Il Fatto Quotidiano», den Fünf Sternen nahe, zeigte ihn am Wochenende auf ihrer ersten Seite in einer Fotomontage mit Hut in der Hand, dazu den Titel: «Der Bettler».

Diese Fotomontage von Salvini veröffentlichte die Zeitung am Samstag. Foto: Twitter/fattoquotidiano

In den vergangenen Tagen soll Salvini versucht haben, den Vizepremier Luigi Di Maio von den Cinque Stelle mit einem fast unfassbaren Angebot dafür zu gewinnen, trotz aller Vorwürfe und Brüche nun doch weiterhin mit ihm zu regieren: Er offerierte ihm den Posten des Premiers. Das ist auch deshalb besonders bizarr, weil er den jungen, politisch ungeschickten Neapolitaner während der gemeinsamen Regierungszeit zum immerzu nickenden Adlatus degradiert hatte. Di Maio lehnte nun ab. Salvini sei wohl sehr verzweifelt, sagte er. «Vor einigen Tage suchte er noch Hilfe bei Silvio Berlusconi.» Auch Conte soll von Salvini eine neue Job-Offerte erhalten haben: EU-Kommissar. Doch auch der schlug aus. Die Beziehung sei «unheilbar zerrüttet», liess Conte ausrichten.

Es ist deshalb wahrscheinlich, dass er nach seiner Rede im Senat gleich zum Staatspräsidenten geht und seinen Rücktritt einreicht, ohne die Misstrauensabstimmung abzuwarten. Das hätte zur Folge, dass Staatschef Sergio Mattarella Conte mit der Führung eines Übergangskabinetts betraut, das die laufenden Geschäfte erledigt. Unterdessen könnten die Sozialdemokraten vom Partito Democratico und die Cinque Stelle ihre Gespräche für eine mögliche neue Koalition aufnehmen. Sie hatten es vor einem Jahr schon einmal miteinander versucht, damals ohne Erfolg.

Mattarella hat auf diskrete Art allen klargemacht, dass er diesen beiden Parteien genügend Zeit einräumen würde, wenn sie denn daran interessiert wären, eine dauerhafte Allianz einzugehen – eine bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2023. Das ist ihm auch deshalb wichtig, weil 2022 sein Nachfolger gewählt wird. Vorwürfe könnte man dem Staatspräsidenten dafür nicht machen, so sehr Salvini auch über eine angebliche Palastrevolution klagen würde. Vor eineinhalb Jahren gestand der geduldige Staatschef auch der Lega und den «Grillini» viel Zeit zu, als die an ihrem Regierungsvertrag feilten.

Solange der Partito Democratico und die Cinque Stelle miteinander verhandeln, könnten Conte und sein Team die dringendsten Angelegenheiten erledigen. Spätestens am 26. August zum Beispiel müssen die Italiener schon einen Kandidaten für die neue EU-Kommission vorschlagen; sie hätten gerne ein gewichtiges Wirtschaftsressort. Bis Ende Oktober sollte dann ein grober Haushaltsplan für 2020 stehen. Einfach wird das nicht: Brüssel erwartet Einsparungen von 30 Milliarden Euro. Verfehlt Rom die Zielvorgabe, droht den Italienern eine schmerzhafte Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent.

Tritt Conte nach seiner Rede als Premier zurück, hätte das auch zur Folge, dass die Abstimmung über eine Verkleinerung des Parlaments um 345 Sitze, von 945 auf 600, verschoben würde. Das Votum über die Verfassungsreform, die den Cinque Stelle besonders am Herzen liegt, ist auf den 22. August angesetzt. Salvini hatte die Cinque Stelle auch mit diesem Termin zur Rückbesinnung bewegen wollen, so sehr fürchtet er deren Flirt mit den Sozialdemokraten. Er sagte, die Linke wolle die Reform nicht, sie klebe an den Posten fest, nur mit ihm sei sie möglich. Doch auch diese Kapriole war durchsichtig, und sie kam wohl auch zu spät. Seine Minister zog Salvini bisher nicht zurück, obschon er es mehrmals angekündigt hatte.

Im italienischen Politbetrieb sind Prognosen gefährlich, gerade in solchen Phasen taktischer Tollerei. Vielleicht gibt es in den allerletzten Stunden vor Contes Auftritt im Senat noch ein Überraschungsmanöver der Lega, eines, das die ganze Partie wieder öffnet. Doch wahrscheinlich ist das nicht. In Italien kann man sich jedenfalls nicht erinnern, wann sich ein Politiker, ein rasender Aufsteiger dann noch, zuletzt so verrannt hat wie Matteo Salvini in diesem wirren Sommer.