Ohne Lehrdiplom: Kita-Mitarbeitende wandern in Kindergärten ab – Verband geht auf die Barrikaden

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Ohne LehrdiplomKita-Mitarbeitende wandern in Kindergärten ab – Verband geht auf die Barrikaden

Kita-Mitarbeitende wechseln in Kindergärten, da sie dort bald ohne anerkanntes Lehrdiplom unterrichten können. Das stellt Kita-Betreibende vor grosse Probleme.

Darum gehts

Schweizweit beklagen Kindertagesstätten (Kitas) seit längerem einen akuten Personalmangel. Jetzt zeichnet sich ein neues Phänomen ab. «Ein Fünftel meiner Mitarbeitenden wandert aktuell in Kindergärten ab», sagt Bettina Jecklin, Betreiberin einer privaten Kita in der Stadt Zürich. «Sie werden direkt von den Kindergärten oder von Bekannten, die in der Branche arbeiten, kontaktiert und können dann ab Sommer ohne eine zusätzliche Ausbildung dort arbeiten.» Das sei ein grosses Problem. «Uns gehen Erfahrung und Know-How verloren und daran leidet die Qualität der Betreuung. Zudem ist es zunehmend schwierig, erfahrene Fachpersonen zu finden.»

Die Möglichkeit für einen solchen Stufenwechsel hat der Kanton Zürich kürzlich geschaffen. Wegen des akuten Lehrermangels können Personen ohne Diplom nach den Sommerferien auf der Volksschulstufe unterrichten. Diese Anstellungen sind vorerst auf ein Jahr befristet. Jecklin erklärt sich die Abwanderungen auch mit den höheren Löhnen der Kindergärtnerinnen und Kindergärtner. Der Einstiegslohn in Zürcher Kindergärten liegt gemäss den veröffentlichten Grundlöhnen 2022 des Zürcher Volksschulamts bei rund 87’000 Franken – in Stadtzürcher Kitas bei etwa 56’000 Franken. «Hinsichtlich Lohn- und Anstellungsbedingungen können wir unter den gegebenen ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen nicht mithalten», so Jecklin.

Auch Nicole Hablützel-Ruch, Inhaberin von vier Kitas in Winterthur und Umgebung, kennt die Problematik. «Aus meinem Team wechselt zurzeit eine Mitarbeiterin in den Kindergarten.» Der Hauptgrund sei auch hier der Lohn. Sie fühlt sich von den Behörden mit dem Fachkräftemangel alleine gelassen. «Ich habe ihnen das Problem immer wieder erklärt, aber es wird nichts unternommen», so ihr Vorwurf. «Es ist so weit gekommen, dass wir Kitas mit den Kindergärten um das Personal kämpfen müssen. Und mit den aktuellen Umständen haben wir in diesem Kampf nur wenig Chance.»

«Lehrkräfte und Kita-Mitarbeitende werden gegeneinander ausgespielt»

Dem Verband Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) ist die Problematik bekannt. «Die Schulen stehen offenbar unter immensem Druck. Da das Schulsystem im Vergleich zu der familienergänzenden Bildung und Betreuung über deutlich mehr finanzielle Ressourcen verfügt, werden nun Fachkräfte mit vermeintlich tollen Bedingungen abgeworben», sagt Sprecherin Prisca Mattanza. Das sei jedoch höchst problematisch. «Kita-Mitarbeitende sind in keiner Weise auf die Anforderungen im Kindergarten vorbereitet.» Das ergebe einen sogenannten Spillover-Effekt: «Zwei Branchen, die beide vom Fachkräftemangel betroffen sind, nämlich die Lehrpersonen und die Fachpersonen Betreuung, werden gegeneinander ausgespielt.»

Der Verband sei der Ansicht, dass die Abwerbung von Fachkräften von einer Branche in die andere «unbedingt» zu vermeiden sei, insbesondere aufgrund des Risikos von Qualitätseinbussen. Um qualifizierte Fachkräfte für die Branche zu gewinnen und diese auch zu behalten, braucht es laut Kibesuisse eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und Finanzierungsmodelle. «Die öffentliche Hand muss rasch und engagiert mehr Geld für die familienergänzende Bildung und Betreuung in die Hand nehmen. Ohne derartige Investitionen und eine unterstützende Politik ist absehbar, dass es zu einem Abbau von Betreuungsplätzen kommen wird. Es droht eine Betreuungskrise.»

Verbesserung der Anstellungsbedingungen wird erarbeitet

Auf Anfrage bei der kantonalen Bildungsdirektion heisst es, dass aufgrund des bestehenden Lehrkräftemangels gemäss Lehrpersonengesetz von den Gemeinden auch Personen ohne anerkanntes Lehrdiplom angestellt werden dürfen. Damit ist auch die Anstellung von Fachangestellten Betreuung (FaBe) möglich. «Im Rahmen der Stellenbesetzungen werden in allen Branchen auch persönliche Kontakte genutzt, um geeignete Personen zu rekrutieren. Das ist per se nichts Aussergewöhnliches.» Wie die einzelnen Gemeinden bei der Rekrutierung vorgehen, liege jedoch in deren Kompetenz.  

Laut dem Sozialdepartement der Stadt Zürich ist der Fachkräftemangel derzeit ein grosses Thema, der viele Branchen betrifft. «Die neuen beruflichen Möglichkeiten, die sich FaBes aktuell bieten, sind aber sicherlich eine zusätzliche Herausforderung.» In Bezug auf die Motivation einzelner Personen, die einen Stellenwechsel vollzogen haben, könne man keine Aussagen machen. Die Karrieremöglichkeiten die sich Kindergartenlehrpersonen bieten, seien jedoch sicherlich ein Anreiz.

Das Sozialdepartement sei zurzeit in Zusammenarbeit mit der Branche daran, Massnahmen zur Verbesserung der Qualität in Kitas und der Anstellungsbedingungen zu erarbeiten. «Beide Aspekte haben direkt oder indirekt eine Verbesserung der Arbeitssituation der FaBes in den Kitas zur Folge.»

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