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Abtreibungsrecht in den USARecht auf Abtreibungen gekippt – Biden nennt Urteil «tragischen Fehler»

Der Oberste Gerichtshof der USA hat das Abtreibungsrecht gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court machte mit seiner Entscheidung am Freitag den Weg für schärfere Abtreibungsgesetze frei – bis hin zu kompletten Verboten in einzelnen Bundesstaaten.

«Die Verfassung gewährt kein Recht auf Abtreibung», heisst es in der Urteilsbegründung. Die Entscheidung ist keine Überraschung: Anfang Mai hatte das Magazin «Politico» einen Entwurf dazu veröffentlicht. Daraus ging bereits hervor, dass das Gericht so entscheiden will. Daraufhin gab es einen Aufschrei von Frauenrechtsorganisationen, Kliniken und Liberalen. Das Urteil ist nun so drastisch wie erwartet. In etwa der Hälfte der Bundesstaaten dürfte es nun zu weitgehenden Einschränkungen kommen.

Mehrere Staaten verbieten Abtreibungen direkt nach Urteil

Mehrere US-Bundesstaaten haben direkt nach dem Urteil Abtreibungen verboten. In Staaten wie Arkansas, Kentucky oder Louisiana sind Abtreibungen nun nicht mehr erlaubt – auch nicht bei Vergewaltigungen oder Fällen von Inzest. Ausnahmen gibt es in der Regel nur für medizinische Notfälle. «Missouri ist seit gerade eben der Erste im Land, der Abtreibungen wirksam ein Ende setzt», erklärte der Justizminister des Staates im Mittleren Westen, Eric Schmitt, am Freitag auf Twitter.

In South Dakota trat nach Angaben der konservativen Gouverneurin Kristi Noem ein bereits vorbereitetes Gesetz in Kraft. Der Gouverneur von Indiana, Eric Holcomb, berief für den 6. Juli das Parlament des Bundesstaats ein, um ein Abtreibungsverbot zu beschliessen.

Mehrere konservativ regierte Bundesstaaten hatten bereits in Erwartung der Supreme-Court-Entscheidung schärfere Abtreibungsgesetze beschlossen, die offen gegen das am Freitag gekippte Grundsatzurteil verstiessen.

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Die Bundesstaaten hatten dabei gezielt darauf spekuliert, dass Klagen gegen ihre Abtreibungsgesetze eingereicht werden, die dann letztlich vor dem Supreme Court landen. Das geschah nun mit einem Gesetz aus dem Südstaat Mississippi, das Abtreibungen nach der 15. Schwangerschaftswoche verboten hatte.

Eine Reihe liberaler US-Bundesstaaten kündigte an, das Recht auf Abtreibungen trotz der historischen Entscheidung schützen zu wollen. Die Gouverneurinnen und Gouverneure unter anderem aus Kalifornien, Oregon, Washington, Massachusetts, New Jersey und New York bekannten sich am Freitag zu ihrer liberalen Haltung bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen. «Wir werden immer ein sicherer Hafen für alle im ganzen Land sein, die eine Abtreibungsbehandlung benötigen. Sie haben mein Wort», schrieb New Yorks Regierungschefin Kathy Hochul.

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«Dies ist nicht das Amerika, das wir kennen», teilte der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom mit. «Kalifornien hat sich mit Washington und Oregon zusammengeschlossen, um eine Westküsten-Offensive zu bilden und die reproduktive Freiheit in unseren Bundesstaaten zu schützen». Ähnlich äusserte sich New Jerseys Regierungschef Phil Murphy. Massachusetts-Gouverneur Charlie Baker unterzeichnete ein entsprechendes Dekret zum Schutz der Rechte..

Biden: Urteil «ein tragischer Fehler»

US-Präsident Joe Biden hat die historische Entscheidung als «tragischen Fehler» bezeichnet. Die Entscheidung gehe auf eine «extreme Ideologie» zurück und habe den Frauen in den USA ein verfassungsmässiges Recht «weggenommen», sagte Biden am Freitag im Weissen Haus in Washington. «Die Gesundheit und das Leben der Frauen dieses Landes sind jetzt in Gefahr», warnte der Präsident.

Das Urteil «ist meiner Ansicht nach die Verwirklichung einer extremen Ideologie und ein tragischer Fehler des Obersten Gerichtshofs», sagte Biden in seiner Ansprache. Das Gericht habe damit etwas getan, «was es noch nie zuvor getan hat». Es habe den Menschen gezielt «ein verfassungsmässiges Recht weggenommen, das so grundlegend für so viele Amerikaner ist», sagte Biden. Weltweit seien die USA damit nun zu einem Sonderfall geworden.

Heftige Reaktion: Präsident Joe Biden verurteilt den Entscheid des Supreme Court scharf.

Biden rief dazu auf, weiter «friedlich» für das Recht auf Abtreibung zu kämpfen. Auch bei den Kongress-Zwischenwahlen im November gehe es nun darum, das Recht auf Abtreibung und alle anderen «persönlichen Freiheiten» zu verteidigen, sagte der Präsident.

Obama: «Freiheit von Millionen attackiert»

Vor dem Gerichtsgebäude in Washington kommt es zu Protesten. Dort hatten sich zuvor schon Gegner und Befürworter versammelt. Auch in anderen Städten des Landes werden Proteste erwartet. Die Reaktionen fallen zum Teil heftig aus. Der ehemalige Präsident Barack Obama hat zum Widerstand aufgerufen. «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre Präzedenzfälle rückgängig gemacht, er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen – und die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanerinnen und Amerikanern angegriffen», schrieb Obama bei Twitter.

Grenzenlose Enttäuschung bei Abtreibungsbefürworterinnen nach dem Entscheid des Obersten Gerichtshofs.

Obama teilte zudem einen Bild mit einem Text: «Schliesst Euch den Aktivistinnen und Aktivisten an, die seit Jahren Alarm schlagen beim Zugang zu Abtreibungen, und handelt. Steht mit ihnen bei einem örtlichen Protest», hiess es dort. Seine Frau Michelle Obama schrieb: «Ich bin untröstlich für die Menschen in diesem Land, die gerade das Grundrecht verloren haben, fundierte Entscheidungen über ihren eigenen Körper zu treffen.» Der Richterspruch müsse ein Weckruf vor allem für junge Menschen sein.

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Pelosi: «Schlag ins Gesicht für Frauen»

Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, hat das Urteil mit scharfen Worten verurteilt. «Es ist ein Schlag ins Gesicht für Frauen», sagte die Demokratin am Freitag. Die Beschränkung von Abtreibung sei erst der Anfang, warnte sie. «Das ist todernst.» Pelosi verwies auf die Kongresswahlen im November – dort stehe das Recht der Frauen, über ihren eigenen Körper zu entscheiden, auf dem Wahlzettel.

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Auch der mächtige Demokrat Chuck Schumer zeigte sich schockiert. «Heute ist einer der dunkelsten Tage, die unser Land je gesehen hat», schrieb der Mehrheitsführer der Demokraten im Senat auf Twitter. Amerikanischen Frauen sei ihr Grundrecht auf Abtreibung von Trump-nahen Richtern «gestohlen» worden.

Auch aus dem Ausland gibt es Reaktionen: Der britische Premierminister Boris Johnson hat die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in den USA als «grossen Rückschritt» bezeichnet. Er sei immer schon der Ansicht, dass die Entscheidung bei den Frauen liegen müsse, sagte Johnson am Freitag bei einem Besuch in Ruanda.

Kanadas liberaler Premier Justin Trudeau hat sich entsetzt über das Urteil geäussert. «Keine Regierung, kein Politiker oder Mann sollte einer Frau sagen, was sie mit ihrem Körper machen kann und was nicht», schrieb er auf Twitter und versicherte kanadischen Frauen, für ihr Recht auf Abtreibungen einzustehen. Die Nachrichten aus dem Nachbarland USA seien «erschreckend».

Auch die Beauftragte für Menschenrechte der Vereinten Nationen hat die Entscheidung des Obersten Tribunals scharf kritisiert. Dies sei «ein schrecklicher Schlag gegen die Menschenrechte der Frauen», erklärte UNO-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet am Freitag. «Der Zugang zu sicheren, legalen und wirksamen Abtreibungen ist fest im internationalen Menschenrecht verankert.»

Trump: «Gott hat das entschieden»

Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hat das Urteil als Entscheidung Gottes gefeiert. «Gott hat das entschieden», sagte der 76-Jährige am Freitag dem Sender Fox News. Der Schritt stehe im Einklang mit der Verfassung und hätte schon «vor langer Zeit» geschehen sollen.

Der ehemalige Präsident lobte zudem den Entscheid als «Gewinn für das Leben». Die Entscheidung sei nur möglich gewesen, weil er drei konservative Richter an das Oberste Gericht berufen habe. «Es war mir eine grosse Ehre, das zu tun», schrieb er in einer Mitteilung. Trotz der «radikalen Linken» bestehe noch Hoffnung, das Land zu retten.

Trump hatte während seiner Amtszeit die Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett ernannt. Damit verschob er die Mehrheit im Gericht deutlich nach rechts: auf sechs der neun Sitze. 

Moderat war die erste Reaktion aus dem Vatikan. In einer Erklärung der Päpstlichen Akademie für das Leben hiess es unter anderem: «Nach 50 Jahren ist es wichtig, wieder eine ideologiefreie Debatte zu beginnen über den Stellenwert, den der Schutz des Lebens in der zivilen Gesellschaft hat, um uns zu fragen, welche Art von Zusammenleben und Gesellschaft wir aufbauen wollen.» Papst Franziskus, von dem es zunächst keine persönliche Reaktion zu dem Urteil gab, hatte stets betont, dass er gegen jede Form von Abtreibung sei; er setzte sie mit Mord gleich.

Die katholischen US-Bischöfe hatten zuvor triumphierender auf das Urteil des Supreme Courts reagiert. «Dies ist ein historischer Tag im Leben unseres Landes, der unsere Gedanken, Gefühle und Gebete weckt. Seit fast 50 Jahren hat Amerika ein ungerechtes Gesetz vollstreckt, das es einigen ermöglichte, zu entscheiden, ob andere leben oder sterben können», hiess es in einem Statement der Konferenz der US-Bischöfe. «Diese Politik hat zum Tod von zig Millionen Frühgeborenen geführt, Generationen, denen das Recht verweigert wurde, überhaupt geboren zu werden.»

Ein grosser Erfolg für das rechte Lager

Das grundsätzliche Recht einer Frau auf einen Schwangerschaftsabbruch war bislang in den USA nicht durch ein eindeutig formuliertes Gesetz auf US-Bundesebene geregelt, sondern nur durch ein früheres Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieser hatte 1973 in einem Urteil, das als «Roe v. Wade» bekannt geworden ist, entschieden, dass die Verfassung allen Frauen in den USA, egal wo sie leben, das Recht auf eine Abtreibung gibt.

Freude bei den Befürworterinnen und Befürwortern der Illegalität von Abtreibungen vor dem Supreme Court in Washington. (24. Juni 2022)

Die Regierung durfte diese freie, persönliche Entscheidung nicht einschränken, zumindest nicht im ersten Trimester der Schwangerschaft. Im zweiten Trimester sind nur medizinisch begründbare Beschränkungen erlaubt. Pauschale Abtreibungsverbote, wie es sie in manchen Bundesstaaten gab, wurden durch «Roe v. Wade» rechtswidrig.

Das Urteil, «Roe vs. Wade» zu kippen, ist ein grosser Erfolg für das rechte amerikanische Lager. Christlich-konservative Organisationen kämpften lange dafür. Das politisch linke Lager hingegen verteidigt «Roe vs. Wade» erbittert.

Prominente sind «geschockt»

Zahlreiche Prominente haben erschüttert auf die historische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs gegen das liberale Abtreibungsrecht in den USA reagiert. «Ich bin absolut geschockt, dass wir an dieser Stelle stehen», schrieb Sängerin Taylor Swift bei Twitter. «Nach so vielen Jahrzehnten, in denen Menschen für das Recht von Frauen, über ihren Körper zu bestimmen, gekämpft haben, hat uns diese Entscheidung das wieder weggenommen.»

Hailey Bieber, Model und Ehefrau von Popstar Justin Bieber, kommentierte via Instagram: «Wow ... ich bin sprachlos. Was für ein furchtbarer Verlust und was für eine Enttäuschung. Das macht sehr, sehr viel Angst.» Schauspielerin Viola Davis schrieb via Twitter, sie sei «am Boden zerstört». «Jetzt müssen wir mehr denn je unsere Stimme und unsere Macht benutzen.»

«Es ist wahrhaft unvorstellbar und entmutigend, versuchen zu müssen, meiner elfjährigen Tochter zu erklären, warum wir in einer Welt leben, in der Frauenrechte vor unseren Augen zerfallen», schrieb Sängerin Mariah Carey.

Amerikanische Gesellschaft seit Jahren zerrissen

Kaum eine Entscheidung des Supreme Court war so lange Zeit derart umstritten wie «Roe v. Wade». Kaum ein anderes Urteil hat die Gräben in der Politik so vertieft. Und kaum ein anderes Thema wird von linken wie rechten Wahlstrategen so skrupellos ausgenutzt, um Wähler zu mobilisieren, politische Gegner zu dämonisieren und Spenden zu sammeln. Die Folge: Die Frage, ob eine Person «pro-life» ist (also gegen Abtreibungen) oder «pro-choice» (für das Recht einer Frau, sich für einen Schwangerschaftsabbruch zu entscheiden), markiert inzwischen eine der wichtigsten und am härtesten umkämpften Frontlinien im «Kulturkrieg», der die amerikanische Gesellschaft seit Jahren zerreisst.

Diese Strategie haben rechte Organisationen auch gezielt angewendet, um «Roe v. Wade» zu revidieren, indem sie einen Fall an den Supreme Court gebracht haben – in der Hoffnung, dass das Gericht anders entscheidet als 1973 und das landesweite Abtreibungsrecht wieder zurücknimmt. 

Diesem Ziel sind die Abtreibungsgegner jetzt näher gekommen. Das Gesetz aus Mississippi, das Abtreibungen nach der 15. Woche fast komplett verbietet, war im Kern nichts anderes als eine juristisch-politische Provokation: Es wurde mit Absicht so formuliert, dass es den in «Roe v. Wade» festgelegten Regeln widerspricht. Diese lassen Abtreibungen bis in den sechsten Monat hinein zu.

Bundesgerichte haben deswegen bisher verhindert, dass das 15-Wochen-Gesetz in Mississippi sowie weitere, noch schärfere Gesetze in Kraft getreten sind. Der Supreme Court hätte es bei den Entscheidungen dieser niedrigeren Instanzen belassen können. Doch die Richter entschieden sich, den Fall anzunehmen.

SDA/AFP/red