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Heikles Experiment in DeutschlandFür 9 Euro im Monat Bus und S-Bahn fahren

Bald kommen Krethi und Plethi: Punks aus Köln machten Ende der 1990er-Jahre mit «Schönes Wochenende»-Tickets für 20 Mark Kurzurlaub auf der norddeutschen Nobelinsel Sylt. 

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Als die Spitzen der deutschen Regierungsparteien Ende März nach Möglichkeiten suchten, die Last der hohen Energiepreise zu mindern, kam es zu einem überraschenden Tauschhandel: Weil die FDP unbedingt die Steuern auf Benzin und Diesel senken wollte, schlugen die Grünen etwas Ähnliches für den öffentlichen Nahverkehr vor. Buchstäblich über Nacht wurde das 9-Euro-Ticket geboren.

Die Flatrate für den Pendelverkehr kam im Publikum ausgezeichnet an. Medien jubelten über die grösste Rabattaktion in der Geschichte des deutschen Nahverkehrs, die Boulevardzeitung «Bild» versprach den Deutschen den «grössten Spass des Sommers». Selbst Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der eigentlich eher die Autopendler im Blick hatte, strahlte.

Ab 1. Juni, so der Plan, kann jede und jeder für 9 Euro im Monat Bus, Tram und Bahn fahren, so viel er oder sie will, und zwar in ganz Deutschland. Ausgenommen sind nur Fernverkehrszüge der Deutschen Bahn – ICE, IC, EC oder Railjet – sowie die privaten Angebote von Flixbus und Flixtrain. Wer viel Zeit mitbringt und häufiges Umsteigen nicht scheut, kann mit Regionalzügen also auch durch ganz Deutschland fahren – einfach in Regionalzügen und -bussen.

Auf einmal Anwalt des öffentlichen Verkehrs? Der liberale deutsche Verkehrsminister Volker Wissing.

Das 9-Euro-Ticket dürfte ein gewaltiger Erfolg werden. Mit etwa 30 Millionen neuen und alten Fahrgästen rechnet der zuständige Verband in den drei Sommermonaten, mit Zuwächsen von mindestens 20 Prozent grosse Verkehrsbetreiber. Im Sinne der angestrebten ökologischen «Verkehrswende» hofft auch Minister Wissing, dass die neu geworbenen Passagiere danach zu Stammgästen werden und das private Auto öfter stehen lassen.

Seit sich Politik, Behörden und Verkehrsbetriebe darum bemühen, das 9-Euro-Ticket in die Tat umzusetzen, hat die bestechend einfache Idee allerdings einiges von ihrem Charme verloren. Zuletzt war eigentlich nur noch von Streit und Ärger die Rede. Am meisten gestritten wird bis heute darum, wer die ganze Sache eigentlich bezahlt.

Ohne mehr Züge und Busse gibts nur Chaos

Der Bund sagt zu, die Kosten für die Mindereinnahmen zu übernehmen, die auf rund 2,5 Milliarden Euro geschätzt werden. Zudem ist er bereit, weitere 1,2 Milliarden für zusätzliche Kosten zu zahlen. Die Verkehrsminister der Bundesländer finden freilich, dass mindestens zwei weitere Milliarden nötig wären: vor allem, um mehr Züge und Busse fahren zu lassen. Wissing, von FDP-Finanzminister Christian Lindner bedrängt, verweigert dies jedoch.

Setze man im Sommer nicht mehr Busse, Trams und Züge ein, drohe der öffentliche Verkehr unter dem Ansturm der 9-Euro-Gäste schlicht zu kollabieren, warnt man bei den Anbietern. Vor allem in den touristischen Regionen am Bodensee, an der Nord- und Ostsee oder im Alpenvorland sieht man den sommerlichen Wellen der Fast-Gratis-Fahrer schon jetzt mit Grausen entgegen. Bahnfreunde warnen vor überlasteten und unsicheren Bahnhöfen und bitten Gäste, wenigstens auf die Mitnahme eines Fahrrads zu verzichten. Wie die bisherigen Besitzer teurer Monats- oder Jahresabos entschädigt werden sollen, ist an vielen Orten auch noch ziemlich unklar.

Leuchtturm oder Strohfeuer?

Laut der deutschen Regierung können die Klimaziele im Verkehr nur erreicht werden, wenn bis 2030 doppelt so viele Menschen den öffentlichen Verkehr nutzen wie bisher. Ob das 9-Euro-Ticket ein Schritt hin zu diesem Ziel ist oder doch eher ein Irrweg, ist unter Fachleuten sehr umstritten.

Schon jetzt schiesst der Bund jedes Jahr rund 10 Milliarden Euro zu, damit die Nahverkehrsbetriebe leistungsfähig bleiben. Für den nötigen Ausbau ist das Geld hingegen knapp. Viele Anbieter warnen bereits, dass nach Auslaufen der 9-Euro-Tickets die Billettpreise fürs Erste kräftig steigen müssten, damit das Angebot so ausgebaut werden könne, wie es geplant und nötig sei.