Überlastete Kitas – «Kommt vor, dass ich Kita-Betreuerin am Handy statt bei Kindern erwische»

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Überlastete Kitas«Kommt vor, dass ich Kita-Betreuerin am Handy statt bei Kindern erwische»

Die Arbeitsbedingungen sind prekär, der Personalmangel gross. Kita-Betreiber schildern, wie der Arbeitsalltag ist. Auch Kinder kämen unter die Räder, sagt eine Pädagogin.

Darum gehts

Die Situation in Kitas ist schwierig. Schlechte Arbeitsbedingungen und Stress führen dazu, dass die Branche kein Personal findet. Nun müssen erste Kitas Plätze streichen und den Eltern und ihren Kindern kündigen. Das nagt an der Motivation der Mitarbeitenden. 

Nicht nur die schlechten Arbeitsbedingungen und die tiefen Löhne, sondern auch die geringe Anerkennung für ihre Arbeit und die vielen Überstunden träfen das Personal, sagt Nicole Hablützel-Ruch, Leiterin von vier Kitas im Kanton Zürich. «Wir gehören zu den systemrelevanten Berufen, erhalten diese Anerkennung jedoch nicht.» Das habe sich zum Beispiel während der Pandemie gezeigt.

Alle diese Faktoren schadeten der Motivation des Personals, sagt Hablützel-Ruch. «So kommt es dann halt vor, dass eine Mitarbeitende sich etwas herausnimmt und ich sie dann in der Küche am Handy auf Zalando erwische, während sie eigentlich bei den Kindern sein sollte.»

«Schrammen nur knapp an Burn-outs vorbei»

Auch Marah Bucher, Kita-Leiterin des «Chinderhus Öpfelbaum», bereitet der Personalmangel Sorgen. «Teilweise schrammen Mitarbeitende nur knapp an Burn-outs vorbei. Der Druck seitens der Eltern und der Behörden ist immens gross.» Lernende müssten bereits viel Verantwortung übernehmen und könnten nicht richtig ausgebildet werden, sagt Bucher.

Diese Problematik beschäftigt Kitas nicht erst seit kurzem. «Dieser katastrophale Druck läuft seit Jahrzehnten in den Kitas», sagt Annika Butters, Pädagogin am Marie Meierhofer-Institut für das Kind. Der Personalmangel setze die Betreuenden stark unter Druck. Das könne zu einem «autoritären Erziehungsmuster» führen. «So wurde mir auch schon berichtet, dass Kinder zum Essen gezwungen wurden, bis sie erbrechen mussten, oder aus Überforderung unter die kalte Dusche gesteckt wurden.»

Personal dürfe nicht in Pfanne gehauen werden

In der ganzen Angelegenheit gingen oft die Kinder vergessen. «Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass eine schlechte Betreuung die Kinder stresst und sie von einer guten Betreuung profitieren.» Deshalb müsse die Thematik nicht nur aus Sicht der Eltern und der Betreuenden, sondern auch aus jener der Kinder betrachtet werden.

Trotzdem: Das Personal dürfe nicht in die Pfanne gehauen werden, sagt Butters. «Diese Leute sind mit Herzblut dabei und leisten Ausserordentliches.» Schlussendlich seien auch sie nur Menschen und brächen irgendwann unter dem immensen Druck zusammen oder verliessen die Branche.

Qualität statt Quantität sei nötig

Einen möglichen Lösungsansatz hat Hablützel-Ruch bereits: «Alle Kitas müssten einfach mal eine Woche schliessen.» Dann sähe nämlich die gesamte Bevölkerung, wie wichtig die Kinderbetreuung für die Wirtschaft sei. «Denn wenn wir schliessen, müssen die Eltern zu Hause bleiben und können nicht arbeiten.»

Das Problem beschäftigt auch die Politik. Die SP will die Missstände in der Kita-Branche mit ihrer Kita-Initiative bekämpfen. Das Personal trage nicht nur eine grosse Verantwortung, sondern sei auch unverzichtbar für die Wirtschaft, sagt Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP. Deshalb sei es zwingend notwendig, den Beruf attraktiver zu machen und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Einen anderen Lösungsansatz schlägt SVP-Nationalrätin und Kita-Leiterin Nadja Umbricht-Pieren vor. Es müsse auf die Qualität der Betreuung und nicht auf die Quantität gesetzt werden. «Die Politik wollte zu schnell die steigende Nachfrage an Kita-Plätzen befriedigen und hat dabei das Personal und dessen Ausbildung in den Hintergrund gestellt.» Deshalb komme es oft vor, dass frisch ausgebildetes, junges Personal überfordert und nicht genügend gut ausgebildet sei. Darunter würde die Betreuungsqualität leiden, sagt Umbricht-Pieren. «Deshalb sollte das Angebot reduziert werden, um so die Qualität der Betreuung zu erhöhen.» 

Die Kita-Initiative der SP

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