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Italiens PräsidentenwahlWarum Draghi nicht schon längst gewählt ist

Er will – aber wird er es auch? Premier Mario Draghi ist der stille Favorit der Wahl. Wird er Präsident, stellt sich die Frage nach der Regierung.

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Italiens Politik lässt sich viel Zeit für die Wahl des neuen Präsidenten der Republik – viel zu viel, wenn man nach der vorherrschenden Meinung in den Kommentaren der Zeitungen und auf der Piazza schliessen möchte. Auch der vierte Wahlgang gab «schwarzen Rauch», wie man in Italien sagt, als wäre diese Wahl ein Konklave. Die Riten und Spielchen erinnern auch an Byzanz.

Bei diesem vierten Durchgang wäre ein Durchbruch eigentlich möglich gewesen: Das Quorum für die Wahl, das in den drei ersten Runden bei Zweidritteln lag, also bei 673 der insgesamt 1009 Stimmen im Gremium der «Grossen Wähler», fiel auf 505, die absolute Mehrheit. Doch auch dafür fanden die Senatoren, Abgeordneten und Delegierten aus den Regionen bei ihrer gemeinsamen Sitzung im römischen Palazzo Montecitorio keinen geeigneten Namen.

Die Rechte enthält sich, die Linke legt leer ein

Die Rechte enthielt sich der Stimme, weil sie die innere Zerrissenheit nicht offenbaren wollte; die Linken und die Cinque Stelle legten leer ein, wie es die meisten von ihnen schon in den ersten Tagen getan hatten. Aber längst nicht alle: Manche stimmten auch für Fantasienamen, jemand zum Beispiel für Dino Zoff, den früheren Torwart der Fussballnationalmannschaft.

Solche Scherze gab es immer schon. Diesmal aber mag niemand lachen. Drohender Krieg in der Ukraine, fortdauernde Pandemie, Inflation, hohe Staatsschulden. Und die italienische Politik, schreibt die Mailänder Zeitung «Corriere della Sera», führe sich so auf, als könne sich das Land dieses surreale Gehabe leisten. Es sei ja schliesslich allen schon lange bekannt gewesen, dass Ende Januar der Nachfolger von Staatschef Sergio Mattarella bestimmt werden müsse, dessen siebenjährige Amtszeit nun abläuft.

Relevantes ist selten dabei, die Einschaltquoten sind entsprechend tief. Doch die Blase bewirtschaftet sich selbst.

Die Kritik am politischen Betrieb ist laut und verdient. Allerdings muss man sagen, dass die Medien auch ihren Teil zum Theater beitragen. Die italienischen Fernsehsender berichten fast rund um die Uhr – live. Und schalten dabei ständig in den Pulk ihrer wartenden und frierenden Reporter, die bei allen halbwegs prominenten Politikerinnen und Politikern, die den Palast oder die Bar Giolitti daneben verlassen, O-Töne einholen und sich dabei gegenseitig über den Haufen rennen. Relevantes ist selten dabei, die Einschaltquoten sind entsprechend tief. Doch die Blase bewirtschaftet sich selbst.

Er will nicht mehr – aber muss er? Sergio Mattarella hat im vierten Wahlgang 166 Stimmen gewonnen, als Zeichen der Wertschätzung. Aber es war klar, dass der Durchgang leer ausgehen würde.

Es gibt zwei objektive Gründe dafür, warum diese Wahl kompliziert ist. Erstens ist das Parlament so stark zersplittert wie selten zuvor. Kein Lager ist gross genug, um dem anderen eine Kandidatin oder einen Kandidaten aufzuzwingen. Zweitens hängt die Wahl des Staatspräsidenten diesmal eng zusammen mit dem Schicksal des Ministerpräsidenten. Mario Draghi ist ein stiller Bewerber für die Präsidentschaft. Würde er gewählt, bräuchte das Land einen neuen Premier. Wird er nicht gewählt, steht er geschwächt da. Es gab sogar Gerüchte, Draghi könnte sich ganz zurückziehen, wenn er nicht zum Staatsoberhaupt gewählt würde. Er liess sie schnell dementieren.

Sollte Draghi Präsident werden, so fürchten einige Parteichefs, könnte sich de facto das ganze politische System verändern.

Draghi mag beliebt sein im Volk und im Ausland: In der Welt der italienischen Parteien aber hat er nur eine schwache Lobby – und zwar in allen und bis ganz hinauf in deren Hierarchien. Da gibt es Parteichefs, die es nur leidlich ertragen, dass der eingewechselte Staatsdiener ohne Parteibuch mit seiner Prominenz und seinem internationalen Prestige alle in den Schatten stellt.

Glaubt man einem viel diskutierten Artikel der kleinen Zeitung «Il Foglio», halten ihm manche vor, er führe sich mit ihnen wie ein Oberchef auf, eine Spur herablassend. Sollte er Präsident werden, fürchten diese Anführer, würde sich das politische System des Landes de facto verändern: Aus dem italienischen Parlamentarismus würde eine Art Semipräsidentialismus – an Draghi dekliniert. Dafür gibt es zwar keine Anhaltspunkte. Aber die Interpretation ist nun mal in der Welt. Gegen eine Wahl Draghis sind auch jene Parlamentarier, die sich fürchten, sie könnte einen Sturz der Regierung und vorgezogene Neuwahlen zur Folge haben. Das will fast niemand.

In der Verzweiflung könnte auch Mattarella wiedergewählt werden

Dennoch bleibt Draghi Favorit für das Präsidentenamt. Aber wie gross ist die Gewähr – und wann ist es so weit? Theoretisch kann das Wählen ewig weitergehen.

Die Rechte pocht nun auf einen Kompromisskandidaten «mit hohem institutionellem Ansehen», weil sie in ihren Reihen keine wählbare Figur zählt. Die Formulierung ist gezielt vage gehalten, damit breit verhandelt werden kann. Chancen haben neben Draghi der frühere Parlamentsvorsitzende Pier Ferdinando Casini, Ex-Premier Giuliano Amato – und vielleicht noch der frühere Verfassungsrichter Sabino Cassese, der allerdings 86 Jahre alt ist, die Chefin der Geheimdienste Elisabetta Belloni und Justizministerin Marta Cartabia. Scheitern alle Verhandlungen, wäre es auch möglich, dass das Wahlgremium Sergio Mattarella wieder wählt, obschon der das auf keinen Fall will. Aus Verzweiflung, auch ein bisschen über sich selbst.