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Er schuf die französischen Kultfilme der achtziger Jahre – mit viel Erotik in Kodachrome. Ein Nachruf

Jean-Jacques Beineix, der Regisseur von Filmen wie «Diva» und «Betty Blue – 37°2 le matin», ist 75-jährig gestorben.

Urs Tremp 4 min
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Regisseur Jean-Jacques Beineix und Schauspielerin Béatrice Dalle im Jahr 1985 bei den Dreharbeiten zu «Betty Blue – 37°2 le matin».

Regisseur Jean-Jacques Beineix und Schauspielerin Béatrice Dalle im Jahr 1985 bei den Dreharbeiten zu «Betty Blue – 37°2 le matin».

DDP

Mehr Sinnlichkeit unter südfranzösischer Sonne geht kaum. Schon die Eröffnungsszene des Films hat es in sich: eine lange Sexszene, in der sich die Kamera langsam den Liebenden nähert. «Betty Blue – 37°2 le matin» erzählt die Geschichte von Zorg, einem Anstreicher und Jungschriftsteller, und seiner leidenschaftlichen Freundin Betty.

Der Film basiert auf dem Roman «37°2 le matin» des zu dieser Zeit zum Kultschriftsteller avancierten Philippe Djian. Die gerade 21-jährige, noch unbekannte Béatrice Dalle wird mit der Titelrolle zu einem Sexsymbol der achtziger Jahre. Sie wird das Image nie mehr los. Und beklagt sich noch 30 Jahre später darüber, dass Regisseur Jean-Jacques Beineix sie wie eine Pornodarstellerin behandelt habe.

Die Kritik reagiert verstört und ablehnend

Der 1986 erschienene Film, teilweise gedreht in fiebrig-farbig übersteigerten Kodachrome-Farben und untermalt mit der sinnlich aufgeladenen Musik von Gabriel Yared, macht Jean-Jacques Beineix zu einem weltbekannten Regisseur. «Betty Blue – 37°2 le matin» ist sein dritter abendfüllender Spielfilm. Die Kritik reagiert zwar verstört und zum Teil ablehnend auf die Geschichte der Amour fou von Zorg und Betty.

Doch «Betty Blue – 37°2 le matin» – die Angabe der Körpertemperatur spielt auf eine mögliche Schwangerschaft von Betty an – wird für einen Oscar als bester ausländischer Film nominiert. Aber das eigenwillige Kunstwerk über das Paar am Rand der Gesellschaft erweist sich gleichzeitig auch als Höhe- und Schlusspunkt von Beineix’ Karriere.

Jean-Jacques Beineix wird 1946 in Paris in eine gut situierte französische Mittelstandsfamilie geboren. Der Vater ist Versicherungskaufmann. Jean-Jacques besucht in Paris die Schulen und beginnt dann mit einem Medizinstudium. Doch dieses bricht er ab. Er will zum Film.

Tatsächlich assistiert er in den sechziger und siebziger Jahren mehreren französischen Regisseuren und dreht Werbefilme. In eigener Verantwortung entsteht in dieser Zeit einzig ein Kurzspielfilm: «Le chien de Monsieur Michel» (1977). Dieser wird nominiert für einen César, den wichtigsten französischen Filmpreis. Dieser Erfolg eröffnet Beineix die Möglichkeit, den ersten Langspielfilm zu realisieren.

«Diva» bringt den Durchbruch für Jean-Jacques Beineix

Der Film heisst «Diva» und kommt 1981 in die Kinos. Er ist Beineix’ Durchbruch. Die Geschichte erzählt von einem jungen Pöstler und Opernliebhaber, der heimlich ein Konzert der von ihm verehrten Sängerin Cynthia Hawkins aufgenommen hat und damit in einen rasanten Krimi gerät. Denn die Sängerin lässt keine Aufnahmen ihres Gesangs zu. Der Film – er basiert auf einem Kriminalroman des Schweizer Schriftstellers Daniel Odier (Pseudonym Delacorta) – ist nicht nur ein grosser Erfolg, er begründet auch das «Cinéma du look», eine Art von Filmen, die Filmkulissen und Handlungsorte höchst artifiziell inszeniert – mit intensiv und künstlich wirkenden Farb- und Lichteffekten.

Der zweite abendfüllende Film von Beineix («La lune dans le caniveau», 1983) floppt trotz prominenter Besetzung (Gérard Depardieu, Nastassja Kinski) und wird von der Kritik verrissen. Doch dann kommt drei Jahre später «Betty Blue – 37°2 le matin» in die Kinos. Nicht nur für die Hauptdarstellerin Béatrice Dalle, auch für den Regisseur ein schicksalhaftes Werk. Es markiert einen Wendepunkt in Beineix’ Leben.

Ist es sein Übermut, der ihn danach zu immer ambitionierteren Projekten antreibt? Ist es sein nicht eben einfacher Charakter? Ist es der veränderte Zeitgeist? Jedenfalls geht es mit der Karriere des Kultregisseurs nicht mehr richtig weiter. Beineix schimpft auf die französische Filmindustrie, auf die Kritiker und auf das Publikum in seinem Heimatland.

Wer ist schuld an Yves Montands Tod?

Als 1991 Yves Montand unmittelbar nach den Dreharbeiten von «IP 5 – L’île aux pachydermes» stirbt, macht die französische Öffentlichkeit Beineix für Montands Tod verantwortlich. Der Regisseur habe den Star des französischen Kinos und Liebling der Franzosen überfordert. Ironie des Schicksals: Im Film spielt Montand einen alten Mann, der gegen Ende der Handlung an einem Herzinfarkt stirbt – so wie es Montand dann tatsächlich im wirklichen Leben geschieht.

Noch zwei Spielfilme dreht Beineix. Sein letzter ist 2001 «Mortel transfert», eine makabre Farce über einen Psychoanalytiker, der den Körper eines Patienten entsorgen muss. Beineix steckt viel eigenes Geld in den Film – und verschuldet sich massiv. Fortan dreht er im Auftrag des Fernsehens Dokumentarfilme. Langsam gerät er in Vergessenheit, auch wenn er in den nuller Jahren seine Autobiografie, später auch einen Roman veröffentlicht. Seine erste Ehe scheitert. «Ich bin verbittert», sagt er gegen Ende seines Lebens. Immerhin leuchten «Diva» und «Betty Blue – 37°2 le matin» als Sterne des Achtziger-Jahre-Kinos über Beineix’ Leben hinaus.

Der Regisseur der beiden Kultfilme war zweimal verheiratet und hatte eine Tochter. Er litt an Leukämie und starb nach längerer Krankheit in Paris.