Pflegepersonal – Drei-Tage-Woche soll Spitäler vor der nächsten Krise retten

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PflegepersonalDrei-Tage-Woche soll Spitäler vor der nächsten Krise retten

Ein Technologieberater fordert die Einführung eines 60-Prozent-Pensums für Pflegepersonal und Ärzte im Spital bei vollem Lohn. Bei Gewerkschaften und Politikern rennt er offene Türen ein.

Darum gehts

Auf dem Höhepunkt der Corona-Wellen drohten Spitäler überlastet zu sein – vielerorts mangelt es an Pflegepersonal. Das soll sich in einer nächsten Krise (siehe Box) nicht wiederholen. Arnaldo Urbanetti, Erwachsenenbilder und Technologieberater, will dem Problem mit einer Drei-Tage-Woche begegnen. Drei Tage arbeiten, vier Tage Ruhezeit und das bei vollem Lohn, forderte er kürzlich in einem Interview mit dem Branchenportal «Medinside».

Allerdings soll die Arbeitsstelle im Spital die Priorität der Arbeitnehmenden sein, falls sie noch einer Nebenbeschäftigung nachgehen. Das Pensum soll also in Krisenfällen auf bis zu 100 Prozent erhöht werden können. Ziel dieses Modells sei einerseits, das Spitalpersonal zu entlasten, andererseits gehe es ihm darum, die Attraktivität der Berufe im Gesundheitssektor zu erhöhen, sagt Urbanetti.

Laut Urbanetti können die Spitäler dank kleinerer Pensen massiv mehr Personal einstellen. Er sei sich der potentiellen Mehrkosten bewusst. Doch er argumentiert, dass die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten durch krankes oder ausgebranntes Personal und erhöhter Druck infolge von Personalmangel höher seien. Die Kosten sollen die öffentliche Hand und Patientinnen und Patienten tragen.

Attraktive Arbeitsbedingungen gefordert

Gewerkschaften stellen ebenfalls solche Forderungen. Es brauche eine Reduktion der Arbeitszeit des Gesundheitspersonals bei vollem Lohn, sagt Elvira Wiegers, Zentralsekretärin des Schweizerischen Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Denn aktuell sei Spitalpersonal im Teilzeitverhältnis mit massiven Einkommenseinbussen und Rentenlücken konfrontiert. «Es braucht fundamentale Verbesserungen und Massnahmen, um die ‹dramatischen Berufsausstiege› zu stoppen.»

Zudem sei eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie unerlässlich, so Wiegers. Zurzeit müsse Gesundheitspersonal täglich für andere einspringen und kurzfristige Dienstplanänderungen akzeptieren – wegen Personalknappheit. Besonders für Familien mit Kindern brauche es daher Lösungen. So müsse eine kostenlose externe Kinderbetreuung gewährleistet werden, wenn das Personal im Krisenfall auf 100 Prozent aufstocken müsse.

Ähnlich äussert sich Yvonne Ribi, Geschäftsführerin des Schweizer Berufsverbands der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK). Sie finde die Idee zwar interessant, aber noch nicht ausgereift genug.

Burnout-Risiko sinke

Linke Politikerinnen und Politiker unterstützen das Anliegen. Sie begrüsse den Vorschlag, sagt Grünen-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber. «Studien zeigen, dass Teilzeitangestellte oft produktiver arbeiten.» Zudem sinke dank eines tieferen Pensums das Burnout-Risiko beim Spitalpersonal. Auch brauche es deutlich bessere Löhne und Massnahmen gegen die Überlastung des Spitalpersonals. «Man muss das ausgebildete Pflegepersonal zurückgewinnen mit attraktiven Arbeitsbedingungen.»

Die Kosten dürften kein Hinderungsgrund sein, so Prelicz-Huber. «Wenn wir das Geld für Kampfjets haben, sollten wir in der Lage sein, auch genügend Millionen Franken in Spitalpersonal zu investieren.» Aktuell stiege viel Pflegepersonal aus wegen tiefer Löhne, unattraktiven Arbeitszeiten, keiner Planungssicherheit und geringer Wertschätzung.

«Medizin rund um die Uhr» sei schwer planbar

Der Spitalverband H+ sieht Vorteile in der Drei-Tage-Woche. «Grosszügige Angebote wie ein voller Lohn für ein 60-Prozent-Pensum, also eine sehr grosszügige Lohnerhöhung, können helfen, Pflegende in den Beruf zurückzuholen», sagt Direktorin Anne Bütikofer. Doch mehr Personal bedeute höhere Personalkosten. «Der finanzielle Handlungsspielraum der Spitäler und Kliniken ist jedoch sehr eingeschränkt und sie müssen ihre Erträge heute selbst erwirtschaften.»

Auch kritisiert Bütikofer, dass «Medizin rund um die Uhr» schwer planbar sei. «Mehr Personal mit geringeren Pensen bedeutet mehr Übergaben von Patientinnen und Patienten und somit einen Bruch in der Behandlungskontinuität.» Das könne Auswirkungen auf die Qualität haben.

Der Kritik schliesst sich auch SVP-Nationalrätin Yvette Estermann an. Sie hat Zweifel, ob es gelingen kann, Ersatz für das fehlende Personal in kurzer Zeit zu beschaffen, neu anzustellen und eine hohe Qualität zu gewährleisten. Zudem hinterfragt sie die Finanzierung der Massnahmen: «Wenn die Steuerzahler dafür aufkommen müssen, sehe ich den Vorschlag kritisch.»

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