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Die Schweiz ist auf der Suche nach neuen Verbündeten

Cassis reist nach Berlin: Baden-Württemberg eilt der Schweiz im EU-Dossier zu Hilfe.

Andrea Kučera 3 min
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«Es war nie der Wille des Bundesrates, nichts mehr mit der EU zu tun zu haben.» Bundespräsident Ignazio Cassis wirbt auf dem Säntis um Verständnis für die Position der Schweiz im Europadossier. (14. Januar 2022)

«Es war nie der Wille des Bundesrates, nichts mehr mit der EU zu tun zu haben.» Bundespräsident Ignazio Cassis wirbt auf dem Säntis um Verständnis für die Position der Schweiz im Europadossier. (14. Januar 2022)

Gian Ehrenzeller / Keystone

Es herrscht Eiszeit zwischen der Schweiz und der EU. Acht Monate nachdem Bern die Verhandlungen über ein Rahmenabkommen abgebrochen hat, ist noch immer kein Plan B in Sicht: Der Bundesrat brütet weiter über seiner «Schweizer Agenda», die EU beharrt weiter auf ihrer Forderung nach institutionellen Regeln.

In dieser misslichen Lage setzt nun Bundespräsident Ignazio Cassis auf gute Beziehungen zum grossen Nachbarn Deutschland: Als eines der ersten Staatsoberhäupter trifft er am nächsten Donnerstag den neuen deutschen Kanzler Olaf Scholz, wie nun bekannt wird. Auch ein Arbeitstreffen mit der neuen Aussenministerin Annalena Baerbock sei geplant, bestätigt das Aussendepartement (EDA) auf Anfrage der «NZZ am Sonntag».

Cassis, der dieses Jahr als Bundespräsident und Aussenminister amtet, will die Treffen nutzen, um auf eine Deblockierung der bilateralen Beziehungen mit der EU hinzuwirken: «Ich reise mit den gleichen Erwartungen nach Berlin, wie ich diese Woche zum österreichischen Bundespräsidenten nach Wien gereist bin», sagte Cassis am Freitag am Rande der 50-Jahr-Feier der internationalen Bodensee-Konferenz auf dem Säntis.

Er werde versuchen, bei seinen Gesprächspartnern in Berlin Verständnis zu wecken für die Position der Schweiz, und noch einmal erklären, weshalb es zum Verhandlungsabbruch gekommen sei, sagte Cassis: «Es war nie der Wille des Bundesrates, nichts mehr mit der EU zu tun zu haben. Es geht ihm darum, den richtigen Weg zu finden, um unsere bilateralen Beziehungen zu konsolidieren und weiterzuentwickeln.»

Grüne Achse

Die Erosion der bilateralen Beziehungen – sie ruft auch das deutsche Bundesland Baden-Württemberg auf den Plan: «Unsere Regierung wird sich auf EU-Ebene starkmachen für eine möglichst gute Zusammenarbeit mit der Schweiz und für einen für beide Seiten akzeptablen vertraglichen Abschluss», sagt der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann auf Anfrage. Auch er nahm am Gipfeltreffen auf dem Säntis teil. «Beide Seiten müssen sich nun bewegen – auch Brüssel», sagt er. «Die jetzige Blockade bringt schliesslich auch der EU nichts.»

Winfried Hermann.

Winfried Hermann.

Gian Ehrenzeller / Keystone

Von der Schweiz erwartet Hermann, dass sie sich bei der sogenannten Acht-Tage-Regel flexibel zeigt: «Ich würde es sehr begrüssen, wenn Bern sich bewegen und die Anmeldefrist für Firmen verkürzen würde», sagt er. Es gehe darum, das grosse Ganze im Auge zu behalten. «Da muss man im Detail Kompromisse eingehen.»

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Stuttgart in dieser heiklen Phase des Konflikts zwischen Bern und Brüssel eine Vermittlerrolle einnehmen will: «Als einer der wichtigsten Handelspartner der Schweiz leidet auch Baden-Württemberg unter der derzeitigen Pattsituation», sagt Hermann. Dass etwa die EU die Zertifizierungen für bestimmte Produkte aus der Schweiz nicht mehr anerkenne, schade baden-württembergischen Firmen, die mit der Schweiz handelten. «Die Probleme bei Export und Import akzentuieren sich jetzt.» Schwieriger geworden sei auch die Kooperation zwischen den Hochschulen: «Da fliessen künftig keine EU-Mittel mehr für internationale Forschungsprojekte.»

Deshalb will Hermann nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin vorstellig werden. Aussenministerin Baerbock ist wie er Mitglied der Grünen Partei. Hermann stellt in Aussicht, diese grüne Achse zu nutzen, um im Aussenministerium für eine Verständigung mit der Schweiz zu werben: «Ich werde dieses Anliegen bei meinem ersten Treffen mit Frau Baerbock Anfang Februar vortragen und sie bitten, dass sie sich für eine Wiederaufnahme der Gespräche zwischen der Schweiz und der EU einsetzt.»

Cassis auf Werbetour

Cassis kann die Unterstützung aus dem Norden gut gebrauchen. Denn Bern hat mit dem einseitigen Verhandlungsabbruch in Europa viel Kredit verspielt, das Bild der rosinenpickenden Alpenrepublik ist weit verbreitet. Ursprünglich hätte der Aussenminister nächste Woche in Davos mit EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic das weitere Vorgehen besprechen sollen.

Weil das WEF abgesagt wurde, fällt auch dieses Treffen weg. Es soll neu im Februar stattfinden. Das gibt dem Gesamtbundesrat mehr Zeit, die Verhandlungsposition der Schweiz zu definieren. Dabei ist allen klar: Gut nachbarschaftliche Beziehungen alleine werden die Blockade nicht lösen.