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Sie machen die Städte unsicher: E-Scooter verunfallen viel öfter als angenommen

Die Suva schätzt knapp 2500 E-Scooter-Unfälle im letzten Jahr. Im Ausland werden die Gefährte zum Teil schon reguliert.

Mirko Plüss 3 min
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Unfälle mit E-Scootern passieren häufig am Abend und in der Nacht, oft ist Alkohol im Spiel.

Unfälle mit E-Scootern passieren häufig am Abend und in der Nacht, oft ist Alkohol im Spiel.

Pascal Mora / Keystone

Sie stehen in den grossen Schweizer Städten an fast jeder Ecke. Doch wie gefährlich E-Scooter für den Strassenverkehr und die Fahrer selbst sind, war bisher nicht klar. Zwar existiert eine Statistik mit Daten der Schweizer Polizeikorps, die jährlich etwas über 200 Unfälle mit Beteiligung eines E-Trottinetts umfasst. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) ging jedoch stets von einer höheren Zahl aus, da viele Vorfälle polizeilich gar nicht registriert werden.

Diesen Eindruck bestätigt nun erstmals eine Hochrechnung der Schweizer Unfallversicherer. Aus deren Spezialstatistik geht hervor, dass es bereits im Jahr 2019 zu einem markanten Anstieg von gut 100 auf rund 800 E-Trottinett-Unfälle gekommen ist. Eine interne Schätzung des Unfallversicherers Suva zeigt für die Jahre 2020 und 2021 erneut einen deutlichen Anstieg.

So schätzt die Suva für das Jahr 2020 eine Verdoppelung der Zahlen im Vergleich zu 2019. Für 2021 liegt die Schätzung bereits bei rund 2400 Unfällen. Demzufolge kommt es in der Schweiz mittlerweile jedes Jahr zu mehreren tausend Unfällen, bei denen E-Scooter involviert sind.

Die Suva weist weiter darauf hin, dass es bei diesen Unfallzahlen gar noch eine zusätzliche Dunkelziffer gibt. «Auf den Schadensmeldungen muss nicht explizit angegeben werden, ob der Unfall mit einem Trottinett oder einem E-Scooter passiert ist», sagt Suva-Sprecherin Natascha Obermayr. «Viele Verunfallte bleiben bei der Beschreibung oberflächlich und schreiben nur von einem Trottinett-Unfall, viele E-Trottinett-Unfälle werden so gar nicht bekannt.»

Die E-Scooter-Unfälle weisen ähnliche Merkmale auf. Laut den Suva-Zahlen verunfallen vor allem Personen zwischen 25 und 44 Jahren, Männer sind häufiger involviert. Laut der BfU ereignen sich zudem 43 Prozent aller Unfälle bei Dämmerung oder in der Nacht. Bemerkenswert sind auch die Unfallursachen: Wenn E-Trottinett-Fahrende einen Unfall selbst zu verschulden hatten, war Alkoholkonsum in 36 Prozent der Fälle der Grund. Und an der Kreuzung braucht es ganz besondere Aufmerksamkeit: Denn wenn andere Verkehrsteilnehmende den Unfall verursachten, wurde in 63 Prozent der Fälle der Vortritt des E-Scooters missachtet.

Die meisten E-Scooter-Fahrten in der Schweiz werden mit Modellen von Leihfirmen wie Lime, Bird oder Voi getätigt. Doch auch die privaten Käufe sind in den vergangenen Jahren angestiegen. Das Bundesamt für Strassen (Astra) warnt indes davor, dass sich auch illegale Modelle im Umlauf befänden. So dürfen E-Trottinette eine Geschwindigkeit von 20 Kilometern pro Stunde und eine Motorleistung von 500 Watt nicht überschreiten.

Einige in der Schweiz erhältliche Modelle sind aber dennoch schneller und leistungsfähiger und damit für den Strassenverkehr eigentlich nicht zugelassen. «Mit ihrer kleinen Bereifung, der starken Motorleistung, der hohen Geschwindigkeit sowie der daraus erfolgenden Instabilität und dem hohen Schwerpunkt besteht ein hohes Unfallpotenzial», warnt das Astra.

Automatisch ausgebremst

In den Nachbarländern, wo der E-Scooter-Boom teilweise schon früher eingesetzt hat, wird nun über eine stärkere Regulierung der Gefährte nachgedacht. Nach einer Häufung von Unfällen in Deutschland fordert jetzt der deutsche Städtetag, ein Zusammenschluss von Städten und Gemeinden, dass Kommunen künftig eine Obergrenze für die Zahl der E-Scooter einführen dürfen.

Zudem sollen bestimmte Gebiete, wo es zu gefährlichen Situationen kommen kann, ganz frei von E-Scootern sein. Dies will der Städtetag mit einer innovativen Idee durchsetzen: In Fussgängerzonen und Parks soll die Elektronik der E-Scooter automatisch abstellen. Das sei technisch längst möglich, heisst es in deutschen Medienberichten.

In Paris wird eine solche Methode schon ansatzweise umgesetzt. In der Tourismusmetropole bremsen die E-Trottinette auf 10 Kilometer pro Stunde ab, sobald sie sich in der Nähe von touristischen Attraktionen, Parks, Schulen und Plätzen befinden. Dies läuft automatisch via GPS-Ortung der Fahrzeuge. Angefacht wurde diese Diskussion von einer Vielzahl von Unfällen und dem Tod einer jungen Frau, die nach Feierabend am Seine-Ufer spazierte und dort von einem E-Scooter erfasst worden war.