Sonderregelung
Die Nerven liegen blank: FIS und Swiss-Ski streiten – und Lauberhornsieger Kriechmayr ist unfreiwillig involviert

Es waren vier wunderbare Tage am Lauberhorn mit einem Sieg und vier Podestplätzen für die Schweiz. Doch zu reden gibt anderes. Ein Buebetrickli des Internationalen Skiverbands und die Konsequenzen daraus. Und nun kursieren sogar Gerüchte um Kriechmayrs Corona-Tests.

Martin Probst 4 Kommentare
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Vincent Kriechmayr gewinnt die Abfahrt am Lauberhorn – doch das rückt in den Hintergrund.

Vincent Kriechmayr gewinnt die Abfahrt am Lauberhorn – doch das rückt in den Hintergrund.

Bild: Jean-Christophe Bott / EPA

Marco Odermatt, der in dieser Lauberhornwoche so verzückte, hätte es ja eigentlich verdient, dass man nur über ihn spricht. Oder Carlo Janka, der am Samstag sein letztes Rennen fuhr. Oder Beat Feuz, der zum siebten Mal in einer Abfahrt in Wengen das Podest erreichte.

Doch für den emotionalen Aufreger sorgte ein Österreicher. Odermatt sagt: «Das Worst-Case-Szenario ist eingetroffen.»

Der Schweizer Männercheftrainer Tom Stauffer hatte erst gar keine Lust, über den Sieg von Vincent Kriechmayr zu ­sprechen. Wortlos stapfte er davon. Swiss-Ski-Alpin-Direktor Walter Reusser redete sich derweil fast in Rage:

«Die FIS hat komplett versagt. Wenn man ­alles so biegt, damit es für ge­wisse Personen passt, ist das einfach nicht in Ordnung. Es gibt Reglemente. Reglemente, an die sich alle halten ausser ein paar wenige.»

Rückblick: Vincent Kriechmayr hatte sich Anfang Januar mit dem Coronavirus infiziert und sich gemäss österreichischen Regeln in Isolation begeben. Dadurch verpasste er beide Trainings in Wengen und konnte erst am Mittwochabend anreisen.

Das Buebetrickli der vierköpfigen FIS-Jury

Im Super-G am Donnerstag durfte der 30-Jährige starten. In den Abfahrten gemäss Reglement des Internationalen Skiverbands FIS allerdings nicht. Weil dafür mindestens ein Training verlangt wird.

Eine vierköpfige Jury der FIS um den Renndirektor Markus Waldner griff in der Folge zum Buebetrickli. Kriechmayr durfte am Donnerstagmorgen vor dem Super-G das Starttor der Abfahrt passieren, um sofort wieder anzuhalten.

FIS-Renndirektor Markus Waldner.

FIS-Renndirektor Markus Waldner.

Bild: Jean-Christophe Bott / Keystone

Dies wertete die FIS als Training. Somit durfte Kriechmayr in beiden Abfahrten starten und verhinderte mit seinem Triumph am Samstag den vierten Lauberhornsieg von Beat Feuz. Und zudem, dass Odermatt nach dem Sieg im Super-G und Rang drei in der verkürzten Abfahrt vom Freitag auch noch über die Originaldistanz auf das Podest fuhr.

Feuz wurde Zweiter. Odermatt Vierter. Er war nur zwei Hundertstelsekunden langsamer als Dominik Paris auf Rang drei. «Wäre Vincent nur Zehnter geworden, gäbe es jetzt weniger Diskussionen», sagt Odermatt.

Swiss-Ski verzichtet auf einen weiteren Protest

So aber trat die Situation ein, die Odermatt als das schlimmst mögliche Szenario bezeichnete. Kriechmayr, der eigentlich nicht hätte starten dürfen, siegte – und verhinderte gleichzeitig den Heimsieg.

Odermatt wollte aber – wie alle anderen Beteiligten auch – be­tonen, dass es nicht um Kriechmayr geht. Sondern um den Entscheid der FIS. «Er hat nicht betrogen oder Materialregeln nicht beachtet. Er durfte fahren und von daher ist der Sieg auch verdient.»

Swiss-Ski, aber auch die Verbände aus Frankreich und Italien, wollten am Mittwoch, als die FIS die Starterlaubnis erteilte, Protest einlegen. Diese wurden von der FIS abgewiesen. Gegen einen Jury-Entscheid, hiess es, gäbe es keine Rekurs-Möglichkeit.

Auf einen weiteren Protest nach dem Rennen verzichtete Swiss-Ski. Reusser sagt: «Ich habe meine Athleten gefragt. Diese sagten, es sei in Ordnung so, wie es ist. Wenn Kriechmayr gut fährt und gewinnt, hat er den Sieg verdient. Er kann ja nichts für diese Situation.»

Walter Reusser, Alpin-Direktor bei Swiss-Ski.

Walter Reusser, Alpin-Direktor bei Swiss-Ski.

Bild: Keystone

Hat sich die FIS selbst ein Bein gestellt?

Die Kritiker befürchten, dass die FIS, die mit dem Entscheid einen Präzedenzfall schuf, sich künftig aber eben nicht daran halten werde.

Niels Hintermann, der Schweizer Abfahrer, sagt: «Es muss bei solchen Entscheiden jetzt nie mehr eine Rolle spielen, ob es die Nummer eins oder die Nummer 50 der Weltrangliste betrifft. Aber ich habe Angst, dass das nicht so ist. Die FIS hat sich selbst ein Bein gestellt. Das ist lächerlich.»

Hintermanns Befürchtung teilen viele. Kriechmayr ist der amtierende Weltmeister in der Abfahrt und im Super-G. Die FIS, in Person von Renndirektor Waldner, wies Vorwürfe, dass der Status des Athleten beim Entscheid eine Rolle spielte, am Mittwoch entschieden zurück.

Reusser aber sagt: «So kreativ, wie sich die FIS zeigt bezüglich Regelauslegung, kann ich nicht davon ausgehen, dass bei uns die gleiche Messgrösse zum Zug käme.»

Gerüchte um Kriechmayrs negativen Test

Am Samstagabend fand ein Gespräch zwischen Reusser und der FIS statt. Als diese Zeitung Waldner, der an der Aussprache dabei war, im Anschluss um eine Stellungnahme bat, reagierte er gereizt: «Ich sage nichts. Ich bin nicht die FIS und ich bin kein Mediziner.» Dann stampfte er davon.

Die Nerven liegen blank. Zumal zuerst das Gerücht kursierte, dass beim negativen Test, den Kriechmayr vor der Anreise vorlegte, Ungereimtheiten bestünden. Später stellte sich heraus, dass Kriechmayr seinen positiven Test nicht im FIS-System hinterlegte, um eine zehntägige Rennsperre zu umgehen. «Kein Athlet und keine Athletin hätte das getan», erklärte Markus Aichner, der Medienbetreuer des ÖSV-Männerteams, der NZZ.

Die FIS hinterlässst in diesen Tagen kein wirklich gutes Bild. Dazu passt, dass der neue Präsident Johan Eliasch den Athletenbereich, diese angebliche Bubble, in der strenge Regeln aufgrund von Corona gelten sollten, ohne Maske betrat. Als diese Zeitung wissen wollte wieso, antwortete ein FIS-Mitarbeiter: «Wir werden ihm selbstverständlich eine Maske bringen.»

Das Schlusswort soll aber der Sieger haben. Vincent Kriechmayr sagt: «Ich verstehe die ­Diskussionen um meine Person. Aber ich habe die Möglichkeit bekommen. Ich habe ja nicht entschieden, dass ich hier fahren darf.»

4 Kommentare
Walter Bachmann

Die FIS ein manipulierbarer Haufen. Wenn es nicht um einen Doppelweltmeister und Österreicher gegangen wäre hätte der Entscheid sicher anders gelautet 

Bernhard Folda

Wo das Geld, Profitgier und empathieloser Egoismus regieren, und das ist im Profisport der Fall, haben Regeln keinen Platz. Im Übrigen ist das Verhalten der FIS-Leute ganz im Sinne der SVP, die grundsätzlich den schnöden Mammon dem Wohl der Gemeinschaft voranstellt! Im Sport und der Politik geht's nur um Eigennutz! Alles andere ist Augenwischerei!