Das historische Bild: Dem Museumsdirektor fiel vor Schreck der Kaugummi aus dem Mund
Jede Woche wählt unsere Redaktion ein geschichtsträchtiges Foto aus. Diese Woche: Pasadena, Oktober 1963.
Warum ist nur die junge Frau nackt bei dieser Schachpartie? Die Frage, die heutzutage mit Sicherheit entrüstete Boykottaufrufe gegen das Museum hervorriefe, kam im Kalifornien der frühen sechziger Jahre niemandem in den Sinn, schon gar nicht in der Kunstwelt.
Der Mann am Brett war der 76-jährige Surrealist Marcel Duchamp, der zu seiner ersten Retrospektive in den USA gereist war. Die Frau hiess Eve Babitz, sie war 20, stammte aus einer Künstlerfamilie (Igor Strawinsky war ihr Götti) und galt als It-Girl der lokalen Kunstszene.
Als ihr der Fotograf Julian Wasser an der Vernissage im Pasadena Art Museum dieses Sujet vorschlug, begriff sie schnell, dass sie damit – die Grenzen zwischen Objekt und Subjekt geschickt verwischend – eine eigene Karriere lancieren konnte. Ausserdem wollte sie dem Museumsdirektor, mit dem sie eine Affäre hatte, eins auswischen. Und tatsächlich: Als dieser darauf Zeuge der Fotosession wurde, flog ihm vor Schreck der Kaugummi aus dem Mund.
«Allein das war es wert», sagte Babitz später als Künstlerin, Essayistin und Beobachterin der kalifornischen Bohème über das Bild. Sie geriet allmählich in Vergessenheit, bis 2014 «Eve’s Hollywood» und andere ihrer Bücher wieder aufgelegt wurden. Eine neue Generation Frauen entdeckte nun Babitz, wozu diese lakonisch sagte: «Früher mochten mich nur Männer, heute sind es nur die Frauen.»
Babitz, die im Dezember gestorben ist, erlebte auch noch mit, wie ihr Foto mit Duchamp über 40 Jahre danach feministisch nachgestellt wurde: Grossmeisterin Jennifer Shahade spielte darauf bekleidet – gegen einen nackten Mann.
Im historischen Bilderrätsel haben wir gefragt: Was ist dem Museumsdirektor beim Anblick dieser Szene passiert? Die richtige Antwort lautet: Ihm fiel der Kaugummi aus dem Mund. Die Gewinnerin oder der Gewinner wurde benachrichtigt.
