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Polemik um Visum: Warum Djokovic in Serbien mit Jesus verglichen wird

Der Tennisspieler erhält in Australien kein Visum, doch in seiner Heimat wird das zur Verschwörung gegen das ganze Volk hochstilisiert. Mit seinem Hang zur Esoterik befeuert er diese Vergötterung noch.

Adelheid Wölfl 4 min
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Nationalistische Symbolik: Proteste vor dem Quarantänehotel in Australien, in dem Novak Djokovic derzeit untergebracht ist. (Melbourne, 7. Januar 2022)

Nationalistische Symbolik: Proteste vor dem Quarantänehotel in Australien, in dem Novak Djokovic derzeit untergebracht ist. (Melbourne, 7. Januar 2022)

Keystone

Die Verschwörung ist in vollem Gange. Hört man Srdjan Djokovic zu, so möchte man meinen, ein finsteres Komplott sei nicht nur gegen seinen Sohn Novak, sondern gegen alle Serben geschmiedet worden. Der Grund: Der Tennisspieler wurde von den australischen Grenzbehörden abgewiesen.

«Sie trampeln auf Novak und damit auf Serbien herum, denn Novak ist Serbien, und Serbien ist Novak. Sie wollten ihn in die Knie zwingen, nicht nur ihn, sondern auch Serbien», sagte Srdjan Djokovic an einer Pressekonferenz in Belgrad. «Serben und alle anderen freien Nationen der Welt, es ist an der Zeit, nicht mehr unterdrückt zu werden!», rief der Vater.

Er ist überzeugt, dass man erst am Anfang der Qual stehe. Schliesslich wolle man Nole bis Montag gefangen halten. Doch ein Heer von Unterstützern stünde hinter ihm. «In würdevoller Weise, wie in unserer gesamten Geschichte, kämpfen wir für uns selbst.» Als klaren Feind machte Papa Djokovic den australischen Premier Scott Morrison aus. Die Verschwörungstheorie, wonach Djokovic «aus politischen Gründen» von australischen Behörden «unterdrückt» und gedemütigt werde, wird auch von den wichtigsten Politikern Serbiens geteilt.

Novak Djokovic selbst äusserte sich in den sozialen Netzwerken weit moderater, und man kann den Tennisspieler weder für die Kapriolen des Vaters noch der Politiker verantwortlich machen. Dennoch: Die Gesellschaft, aus der er kommt, hat auch ihn geprägt.

Sehr tiefe Impfquote

In keiner anderen Region in Europa wird so wenig geimpft wie auf dem Balkan. In Serbien sind nur 47 Prozent der Bürger zweimal immunisiert, in den Nachbarländern Bulgarien (28 Prozent) und Bosnien-Herzegowina (22 Prozent) sind es noch weniger. Verschwörungstheorien und grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Staat sind viel weiter verbreitet als in West- und Mitteleuropa. Die orthodoxe Kirche trug in der Pandemie zur Wissenschaftsfeindlichkeit bei. Dass sich Novak Djokovic nicht impfen lässt, ist also nicht verwunderlich.

Merkwürdig ist vielmehr, dass sein Team dachte, die australischen Behörden würden ihn einreisen lassen, obwohl er die Visumsbedingungen nicht erfüllte. Und wirklich auffällig ist die Rezeption der Causa in Serbien: Es gibt keine nüchterne oder distanzierte Betrachtung, stattdessen wird Djokovic zum Märtyrer und Heilsbringer erkoren.

Sportinteressierten, die nicht mit den nationalistischen Mythen Serbiens vertraut sind, mag all das merkwürdig vorkommen. Auf dem Balkan ahnt man aber, was hier gespielt wird. Das Djokovic-Visum-Drama wird als abgewandelter Kosovo-Mythos neu inszeniert. Dazu gehören der sich selbst opfernde Held, der als Märtyrer in die Ewigkeit eingeht, der Verräter, der auf fiese Art den Helden in die ungerechte Situation bringt, und das serbische Volk, das durch das Opfer des Helden gerettet und unsterblich wird.

Der Mythos bezieht sich auf Fürst Lazar Hrebeljanovic, der gemeinsam mit anderen Heerführern 1389 das osmanische Heer bekämpfte. Dies geschah in der Nähe der heutigen Hauptstadt von Kosovo, Pristina, auf dem sogenannten Amselfeld. Die Osmanen waren zu dem Zeitpunkt daran, den Balkan unter ihre Herrschaft zu bringen. Dem Mitstreiter von Fürst Lazar, Vuk Brankovic, wurde später angedichtet, er habe Lazar verraten, wofür es allerdings keine historischen Quellen gibt. Lazar selbst verstarb auf dem Amselfeld, in einer Schlacht, die übrigens gar nicht so entscheidend war – aber die Fakten spielen bei dem gesamten Mythos keine Rolle.

«Jesus wurde gekreuzigt und vielen Dingen unterworfen. Novak ist auf die gleiche Weise gekreuzigt worden», sagt sein Vater.

Analog zum Amselfeld wird die tragende Figur nun von der bösen australischen Einwanderungsbehörde verraten. Und weil Djokovic sich für einen höheren Zweck in den Kampf wirft, nämlich für den Widerstand gegen die unchristlichen, westlichen Impfvorschriften, wird er erst so richtig zum Helden.

Ob er nun gewinnt oder verliert, ist gar nicht so wichtig, entscheidend ist für Nationalisten, dass Djokovic gedemütigt wird, weil er ein Serbe ist. Zur Leidensgeschichte gehört, dass er in einem «stinkenden Hotel» verweilen muss. Es wird behauptet, dass er festgehalten werde, obwohl die australischen Behörden beteuern, er könne jederzeit abreisen. Die Umstände werden mit Folter verglichen.

Das Göttliche im Tennisspieler

Und weil Fürst Lazar mit Christus verglichen wurde, wundert es nicht, wenn Vater Djokovic dies auch mit seinem begabten Sohn tut. «Jesus wurde gekreuzigt und vielen Dingen unterworfen, aber er hat durchgehalten und lebt noch unter uns. Novak ist auf die gleiche Weise gekreuzigt worden», sagte er.

Djokovics Tennisplatz ist in diesem Narrativ ein mythischer Ort der Erlösung aller Serben, so wie das Amselfeld. Für Nationalisten sind irdische Realitäten irrelevant, sie glauben auch lieber an das Göttliche in einem Tennisspieler als an die Kunst des Aufschlags, die Bespannung des Schlägers oder den Matchball.

Die Irrationalität und Instrumentalisierung der Visum-Geschichte in Serbien hat durchaus Unterhaltungswert, sie offenbart aber auch einen Mangel an Verantwortungsethik. Djokovic selbst hätte in seiner Rolle als Nationalheld ein Vorbild sein können, wenn es darum geht, andere vor dem Virus zu schützen.

Aber der Mann ist eben kein Aufklärer, sondern hat einen starken Hang zur Esoterik. Er leiht sein Ohr etwa Semir Osmanagic, der fälschlicherweise behauptet, in Bosnien gebe es 12 000 Jahre alte Pyramiden, in deren Nähe man durch Schwingungen Heilung erfahren könne. Osmanagic fiel zuletzt mit Verschwörungstheorien zu Covid-19-Impfstoffen auf.

Offen ist, wer in dieser Causa was wann wusste. Djokovics Anwälte argumentieren, er habe am 16. Dezember eine Covid-19-Infektion gehabt. Doch er nahm am 17. Dezember in Belgrad ohne Maske an einer Zeremonie zu Ehren junger serbischer Sportler teil. Dieser Auftritt ist in den sozialen Netzwerken dokumentiert. War Djokovic gar nicht positiv? Oder verstiess er bewusst gegen Quarantäneregeln? Die Geschichte wird immer vertrackter.

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