Volle Intensivstationen – «Macht keinen Sinn, wenn Patienten gegen ihren Willen auf IPS kommen»

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Volle Intensivstationen«Macht keinen Sinn, wenn Patienten gegen ihren Willen auf IPS kommen»

Die fünfte Welle bringt die Intensivstationen ans Limit. Patientenverfügungen seien jetzt besonders wichtig, finden Experten und Politikerinnen.

Darum gehts

Auf manchen Intensivstationen (IPS) hat es keinen Platz mehr – das Personal kämpft mit einer Flut von ungeimpften Covid-Patientinnen und -Patienten. Möglich ist jedoch, dass manche von ihnen gar keine Intensivpflege gewollt hätten. Etwa die 75-jährige Massnahmen-Kritikerin Elisabeth Vetsch und ihr Mann liegen schwer an Corona erkrankt im Spital – auf Intensivpflege verzichten sie.

Auch Leserin M. R.* aus dem Kanton Bern ist ungeimpft und würde lebenserhaltende Massnahmen im Falle eines schweren Verlaufs ablehnen, würde sie eine Patientenverfügung ausfüllen. «Je älter man ist, desto geringer sind die Chancen, dass man Covid überlebt, ist man einmal auf die Intensivstation gekommen», sagt die 60-jährige Kita-Betreuerin.

«Will nicht unselbständig weiterleben»

Auch seien mit fortschreitendem Alter die Aussichten auf Heilung nicht gut, sagt M. R. «Ich will nicht unselbständig weiterleben und mich füttern und wickeln lassen müssen.» Auch S. H.* zieht einer Behandlung auf der IPS den Tod vor. «Ich würde in meiner Patientenverfügung im Falle einer Covid-Erkrankung alle lebenserhaltenden Massnahmen ablehnen», sagt die 61-jährige Hausfrau.

Neben ungeimpften Personen lehnen auch einige Geimpfte lebensverlängernde Massnahmen ab. «Meine Schwiegermutter ist doppelt geimpft sowie geboostert und hat sich in ihrer Patientenverfügung explizit gegen lebenserhaltende Massnahmen entschieden, sollte sie einen schweren Verlauf haben», sagt N. F.* aus Zürich.

«Ein wichtiges Mittel»

Patientenverfügungen erhalten neue Brisanz. Personen können darin für den Fall, dass sie nicht mehr urteilsfähig sind, ihren Willen über medizinische Massnahmen kundtun. Die Patientenverfügung sei ein wichtiges und empfehlenswertes Mittel, sagt Gesundheitsexperte Erwin Carigiet. «Diese Willenserklärung muss unbedingt populärer gemacht werden.»

Ein Wundermittel gebe es in dieser Pandemie nicht, sagt Carigiet. «Kann die Patientenverfügung die Leute aber dazu motivieren, sich genauer mit dem eigenen Tod zu befassen, könnte dies die Intensivstationen wie auch die Angehörigen entlasten.» Auf keinen Fall dürften dabei jedoch nur Ungeimpfte im Fokus stehen. «Ungeimpfte Patienten im Spital anders zu behandeln als Geimpfte, würde ein Spital ‹zerreissen›.»

«Gegen den Willen auf IPS»

Auch die Politik sieht Handlungsbedarf. «In der jetzigen Pandemie wären Patientenverfügungen erst recht hilfreich», sagt SVP-Nationalrätin Verena Herzog. Es sei für das Spitalpersonal entlastend, wenn es wisse, wie weit Covid-Infizierte, aber auch andere Patientinnen und Patienten in der Behandlung gehen wollten. «Es macht ja keinen Sinn, wenn Patienten auf die IPS gekommen sind, die das gar nicht gewollt hätten.» Dies gelte nicht nur für den Fall einer Covid-Erkrankung. So solle es angesichts der angespannten Lage auch nicht soweit kommen, dass zum Beispiel ein Herzpatient entgegen seines Wunsches auf der IPS behandelt werde.

«Die Möglichkeit der Patientenverfügung muss jetzt breit kommuniziert werden», so Herzog. Ob das Bundesamt für Gesundheit der richtige Absender wäre, sei zu diskutieren. «Vielleicht müssten die Hausärztinnen und Hausärzte eine Kampagne starten.»

Auch Flavia Wasserfallen, SP-Nationalrätin und Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, sagt: «Diese Gesundheitskrise zeigt uns einmal mehr, wie wichtig es ist, mit einer Patientenverfügung die eigene Selbstbestimmung zu stärken und den Wunsch festzuhalten, welche Behandlung gewünscht oder abgelehnt wird.» Wer sich nicht impfen lassen wolle, sollte sich auch Gedanken darüber machen, was im Falle eines schweren Verlaufs passiere und könnte dies in einer Patientenverfügung festhalten.

Patientenverfügungen hätten zugenommen

Das Zürcher Unispital stellt bereits einen Effekt fest. Seit der Pandemie hätten allgemein mehr Patientinnen und Patienten eine Patientenverfügung, sagt Manuela Britschgi, Mediensprecherin beim Universitätsspital Zürich. «Das begrüssen wir sehr. Es hilft unseren Fachspezialistinnen und -spezialisten, aber auch den Familienangehörigen dabei, im Ernstfall im Sinne der jeweiligen Person zu handeln.»

Die Bevölkerung zum Ausfüllen einer Patientenverfügung zu bewegen, trifft aber auch auf Skepsis. «Jetzt würde ich mich gegen lebensverlängernde Massnahmen entscheiden, weil ich sowieso gesund bin», so R. S.*, der nicht geimpft ist. So dachten wohl viele Menschen, vermutet der 27-jährige Elektriker aus dem Kanton Aargau. «Ich glaube aber nicht, dass man wirklich darauf verzichten will, wenn es soweit ist – gerade wenn man jung ist.» Darum mache er jetzt noch keine Patientenverfügung.

*Name der Redaktion bekannt.

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