Grosse Nachfrage – Bereits 64’000 Antikörper-Zertifikate – Experten zweifeln an Zuverlässigkeit

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Grosse NachfrageBereits 64’000 Antikörper-Zertifikate – Experten zweifeln an Zuverlässigkeit

In einem Brief ans BAG warnt der Verband der Labormedizin davor, dass unseriöse Anbieter mit fraglichen Methoden Antikörper-Zertifikate vergeben. Liegt ein Verdacht vor, greife man ein, heisst es bei Swissmedic.

Darum gehts

Seit Mitte November berechtigt ein Antikörper-Test zu einem Covid-Zertifikat. Wer also die Krankheit durchgemacht hat und noch Antikörper vorweisen kann, darf während 90 Tagen am öffentlichen Leben teilnehmen. Die Nachfrage ist gross: Bisher haben 64’759 Personen sich ein solches Zertifikat ausstellen lassen, wie das BAG auf Anfrage mitteilt.

Bereits ist ein eigener Geschäftszweig für Antikörper-Tests entstanden: Verschiedene Unternehmen bieten Tests an, die zu Hause durchgeführt und eingeschickt werden können.

Das Antikörper-Zertifikat

Test für 50 bis 80 Franken

Daneben sind Apotheken und etablierte Testanbieter auf den Trend aufgesprungen und mischen im Markt mit. Der Preis für den Antikörper-Nachweis beläuft sich auf 50 bis 80 Franken. Das Problem: Bisher konnte die internationale Forschung keinen Grenzwert festlegen, ab dem eine Person mit Antikörper-Nachweis als vor einer Infektion geschützt gilt. Die Schweizerische Gesellschaft für Mikrobiologie hält fest: «Der Nachweis von (...) Antikörpern ist keine Garantie für den Schutz vor Infektion oder einem schweren Verlauf.»

Philipp Walter, Präsident der Union für Labormedizin, übt deshalb grundsätzliche Kritik: «Die fachliche Grundlage für die Vergabe von Covid-19-Zertifikaten basierend auf Antikörper-Tests ist dünn.» Zur generell fraglichen Aussagekraft von Antikörper-Tests kommt laut Walter ein weiteres Problem: Jedes Labor kann die Grenzwerte, ab dem sie solche Zertifikate ausstellt, selbst festlegen. Es liegt lediglich eine Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Mikrobiologie vor, auf die sich auch das BAG bezieht.

Experten fordern höhere Standards

Walter hat nun einen besorgten Brief ans BAG und an Swissmedic geschrieben. Denn er höre zunehmend von Anbietern, die für Antikörper-Tests lediglich etwas Blut aus dem Finger entnehmen und mit einem Teststreifen analysieren. «Diese Methoden verwässern die ohnehin fragliche Aussagekraft der Antikörper-Tests weiter», sagt Walter.

Im Brief an die Behörden, der 20 Minuten vorliegt, heisst es: «Wir fordern vom BAG und von den kantonalen Gesundheitsämtern, dass die fragwürdigen Entwicklungen im Interesse der Glaubwürdigkeit und Professionalität der Labormedizin unter Kontrolle gebracht werden.» Beispielsweise sollen Antikörper-Analysen nur noch anhand venöser Blutentnahme durchgeführt werden dürfen. «Anbieter und Labore, die sich nicht an die Regeln halten, müssen belangt werden», sagt Walter.

BAG verweist auf Empfehlungen

Das Bundesamt für Gesundheit verweist auf Anfrage auf die Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Mikrobiologie. Die Heilmittelbehörde Swissmedic schreibt, sollten Hinweise auf Verstösse bei Laboren mit Swissmedic-Bewilligung eingehen, «würden diese geprüft und die allenfalls notwendigen Massnahmen getroffen».

Die Kantone haben ebenfalls ein Auge auf die Testanbieter. «Ein Testzentrum benötigt eine Bewilligung. Testzentren ohne Bewilligung werden kontrolliert und wo nötig, geschlossen», schreibt die Gesundheitsdirektion des Kantons Aargau auf Anfrage. Ende Oktober stellten die Behörden bei einer Kontrolle Mängel fest. «Die Zuständigkeit für die medizinische Expertise war unklar», heisst es in einer Mitteilung. Ebenso wurde der Anbieter aufgefordert, weitere Unterlagen einzureichen. Doch dieser öffnete das Zentrum trotzdem, weshalb die Aargauer Behörden intervenierten und den Betrieb dichtmachten.

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Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

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Safezone.ch, anonyme Onlineberatung bei Suchtfragen

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Beratung für Kinder und Jugendliche, Tel. 147

Dargebotene Hand, Sorgen-Hotline, Tel. 143

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