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Analyse zum BotschafterstreitDer Westen darf vor Erdogan nicht einknicken

Lebt von Provokation: Recep Tayyip Erdogan.

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Recep Tayyip Erdogan vergleicht sich gerne mit Sultan Abdülhamid II., der von 1876 bis 1909 das Osmanische Reich regierte. Wie Erdogan galt auch der Panislamist Abdülhamid zunächst als Hoffnungsträger, doch bald entpuppte er sich als brutaler Herrscher. Er schloss das Parlament, unterdrückte kritische Stimmen und ethnische Minderheiten, verbot die Wörter «Gerechtigkeit», «Freiheit» und «Nase». Der Sultan wollte jede Anspielung auf sein grosses Riechorgan verhindern.

Auch Erdogan ist bekannt dafür, dass er dünnhäutig auf jede Kritik reagiert. Davon können seine Landsleute ein Lied singen. Türkinnen und Türken werden seit Jahren wegen «Majestätsbeleidigung» vor Gericht gezerrt. Selbst westlichen Politikern wirft Erdogan «Nazi-Methoden» vor, wenn ihm etwas nicht passt.

Seit vier Jahren in Haft

Nun provozierte er mehrere Staaten, darunter USA, Frankreich und Deutschland, mit der Drohung, ihre Botschafter zu «unerwünschten Personen» zu erklären. Die Diplomaten hatten es gewagt, Erdogan daran zu erinnern, dass die Türkei verpflichtet sei, das Urteil des Europäischen Menschengerichtshofs zu befolgen und Osman Kavala freizulassen. Der Mäzen und Menschrechtsaktivist sitzt seit vier Jahren in Haft – ohne Urteil. Nicht nur seine Anwälte sind davon überzeugt, dass Kavala ein unschuldiger Mann ist und für den Umsturzvorwurf keinerlei Beweise vorliegen.

Dass die von Erdogan attackierten Staaten den Fehdehandschuh aus Ankara nicht aufnahmen, war ein kluger Entscheid. In einer neutral formulierten Erklärung der US-Botschaft hiess es, man wolle sich an Artikel 41 des Wiener Übereinkommens halten und sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Türkei einmischen.

Erdogan zeigte sich umgehend zufrieden. Alles andere hätte gravierende Folgen für das Land gehabt. Allein die Kraftmeierei Erdogans führte dazu, dass die türkische Währung zu Wochenbeginn auf ein Rekordtief sank. Erdogan steht wegen der schlechten Wirtschaftslage massiv unter Druck. Seine nationalistisch-religiöse Rhetorik erreicht nicht mehr die grossen Massen.

Ein Rauswurf der Türkei aus dem Europarat könnte bald unausweichlich werden, wenn Erdogan wie bisher die Menschenrechte verletzt.

Die Intervention der Botschafter war keineswegs unangebracht. Der türkische Autokrat tritt den Rechtsstaat mit Füssen, er hat Oppositionelle eingesperrt und die Medienfreiheit eingeschränkt. Dagegen zu protestieren, ist das Mindeste, was man von der westlichen Wertegemeinschaft erwarten sollte. Sie darf vor Erdogan nicht einknicken. Die USA und die EU müssen weiterhin darauf drängen, dass die Türkei zum Rechtsstaat zurückkehrt. Ein Rauswurf Ankaras aus dem Europarat könnte bald unausweichlich werden, wenn Erdogan wie bisher die Menschenrechte verletzt.

Der prominente Journalist Ahmet Sik hatte 2018 vor einem türkischen «Mafia-Sultanat» gewarnt. Heute klingen seine Worte nicht so drastisch wie damals. Erdogan ist zu einer Belastung für die Türkei geworden. Immer mehr Türkinnen und Türken wollen dem Autokraten den Laufpass geben.

Die Generation Z – diejenigen, die um das Jahr 2000 herum geboren wurden – wendet sich von Erdogan ab. Über 90 Prozent der jungen Türken nutzen soziale Medien, die Diskussionen dort kann die Regierung nicht beeinflussen. Viele lehnen die politisierte Religion ab, sind weniger konservativ. Und fast 60 Prozent der Frauen verhüllen ihr Haupt nie – vor zehn Jahren waren es nur 50 Prozent.

Es wäre fatal, wenn der Westen aus Angst vor Erdogans Tiraden diese Leute einfach im Stich lässt.