Trendwende bei Fallzahlen – Experten fürchten harten Corona-Winter wegen Datenchaos beim Tracing

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Trendwende bei Fallzahlen Experten fürchten harten Corona-Winter wegen Datenchaos beim Tracing


Mit dem Herbst zeichnet sich eine Trendwende bei den Corona-Fallzahlen ab. «Effektives Contact Tracing ist wichtiger denn je», sagt ein Experte – doch die Behörden wissen oft nicht, wo sich Kranke angesteckt haben.

Darum gehts

  • In mehreren Kantonen steigen die Corona-Fallzahlen wieder.

  • Im Hinblick auf den Winter betont ein Epidemiologe darum die Wichtigkeit des Contact Tracings.

  • «Es braucht ein Contact Tracing, das die Aktivitäten von Infizierten detailliert bis zum Ansteckungsort zurückverfolgt», fordert GLP-Nationalrat Martin Bäumle.

  • «Das ist auch kein Allheilmittel», heisst es dazu beim Zürcher Contact Tracing.

Die Temperaturen sinken, das Leben verlagert sich wieder in die Innenräume. Schon im September sagte Taskforce-Vize Urs Karrer: «Wir erwarten eine klare Beschleunigung der Epidemie, sobald es kälter wird.» Nun zeichnet sich diese Trendwende ab: Laut Patrick Mathys vom BAG nehmen die Fallzahlen in einigen Kantonen wieder zu.

Im Hinblick darauf ist für Epidemiologen Andreas Cerny breitflächiges Testen und ein effizientes Contact Tracing wichtiger denn je, wie er sagt. Mit der in der Schweiz vorherrschenden Delta-Variante würden die Ansteckungsketten länger, so der Experte. Beim Tracing gehe es aber nicht nur darum, diese zu unterbrechen: «Man muss auch möglichst genau nachvollziehen können, wo sich die einzelnen Personen angesteckt haben.»

Politiker kritisiert Kantone

Genaue Aussagen über die Schweizer Ansteckungs-Hotspots sind nur schwer zu treffen. Wie das BAG auf Anfrage schreibt, erlaube die nationale Tracing-Datenbank keine schweizweiten Schlussfolgerungen. Daten aus verschiedenen grossen Kantonen zeigen zudem, dass auch ihnen der Ansteckungsort oft unbekannt ist. Im Kanton Aargau etwa war das fast bei der Hälfte der Neuinfektionen seit Anfang September der Fall. Ein grosser Teil der Ansteckungen erfolgt zudem in der Familie, wie aus den Daten weiter hervorgeht.

«Das ist eine Null-Information», sagt GLP-Nationalrat Martin Bäumle. «Wir müssen genau wissen, wie das Virus in die Familie kam.» Dazu brauche es mehr Daten, so der Politiker, der seit Beginn der Pandemie auch ein eigenes Corona-Modell entwickelt hat: «Ich bin überrascht, dass die Kantone nach anderthalb Jahren Pandemie das Tracing noch nicht besser im Griff haben.»

«Tracing-Kapazitäten müssen ausgebaut werden»

«Es braucht ein Backward-Tracing, das die Aktivitäten von Infizierten detailliert bis zum Ansteckungsort zurückverfolgt», sagt Bäumle. Das sei bei täglich über tausend Fällen zwar viel aufwändiger als bei hundert: «Diese Kosten müssen wir aber in Kauf nehmen, wenn wir erneute Schliessungen verhindern wollen.»

Nun müssten die Kantone ihre Tracing-Kapazitäten erweitern, so der Politiker: «Fast alle haben es diesen Sommer erneut verschlafen, die Fallzahlen auch durch ein effektives Contact Tracing tief zu halten.» Doch auch den Bund sieht Bäumle in der Pflicht: «Die Zusammenarbeit zwischen BAG und Kantonen hat ungenügend funktioniert.»

Tracing kein Allheilmittel

Beim Zürcher Contact Tracing wehrt man sich gegen die Kritik: «Wir sind gut aufgestellt und bereit für eine allfällige Herbstwelle», sagt dessen Leiter Beat Lauper. Man könne die Kapazitäten - falls nötig - innert kurzer Zeit verdoppeln.

Flächendeckendes Backward-Tracing sieht Lauper kritisch: «Die Methode hilft zwar, ist aber auch kein Allheilmittel.» Der Aufwand sei sehr gross: «Die Erfahrungen anderer Kantone zeigen zudem, dass man oft gar nicht mehr herausfindet, als man mit einer gewissen Erfahrung nicht sowieso schon weiss.»

Zudem lägen die Informationen oft zeitlich zu weit zurück, um zur Unterbrechung der Ansteckungsketten noch zu nützen. Dennoch wird auch in Zürich Backward-Tracing betrieben, so Lauper: «Das aber gezielt, etwa bei jungen und mobilen Menschen.»

Viele kennen Ansteckungsort nicht

Insgesamt sei der Ansteckungsort in rund 42 Prozent der Fälle bekannt, in weiteren 18 Prozent gebe es eine Vermutung, sagt Lauper: «Damit stehen wir im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht da.»

«Es ist schwer, den exakten Ansteckungsort einer Person zu ermitteln», sagt auch BAG-Sprecher Yann Hulmann. Viele wüssten schlicht nicht, wo sie sich infiziert haben könnten. Hulmann sieht nicht nur die Kantone in der Pflicht, bessere Daten zu liefern: «Die Kooperation der Bevölkerung ist dafür essenziell.»

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