Schiene und Strasse am Limit – Bund warnt vor Verkehrskollaps

Publiziert

Schiene und Strasse am LimitBund warnt vor Verkehrskollaps

Bis zu vier Stunden Stau pro Tag: Engpässe auf Strassen nehmen zu. Eng wirds auch im ÖV. Homeoffice, neue Arbeitszeiten oder Mobility Pricing sollen Abhilfe schaffen.

Darum gehts

  • Ein neuer Bericht zeigt auf, wo es auf Strasse und Schiene bald zu Engpässen kommt.

  • Neben einem Ausbau der Infrastruktur braucht es weitere Massnahmen, um den Verkehrskollaps abzuwenden.

  • Die Erkenntnisse dürften auch die Debatte ums Mobility Pricing anheizen.

Pendlerinnen und Pendler erleben es tagtäglich: In Bus oder Zug wird es zunehmend eng, auf der Strasse stockt der Verkehr. Dies stellt auch der Bund in einem neuen Bericht «Mobilität und Raum 2050» fest.

Die Kapazität auf der Schiene sei zu Stosszeiten teilweise ausgeschöpft, schreiben die Experten und Expertinnen des Uvek. Laut Prognosen stösst das Schienennetz um 2030 generell ans Limit, weshalb bereits Ausbauschritte eingeleitet werden mussten.

51 Prozent mehr ÖV-Kilometer

Auf der Strasse gibt es in einigen Regionen der Schweiz ebenfalls schon heute Engpässe. Etwa im Raum Zürich. Oder zwischen Bern und Thun. In der Region Bern wird zwischen Luterbach gegen Osten bis Härkingen bis 2040 die höchste Engpassstufe prognostiziert. Dort käme es täglich zwischen zwei bis vier Stunden zu Stau oder stockendem Verkehr. Dasselbe zwischen Augst und Rheinfelden. Beim Schienenverkehr ist besonders der Grossraum Zürich sowie die Westschweiz betroffen.

Das Problem wird sich noch verschärfen. Zwar hat die Pandemie die Nachfrage etwas gebremst. Bis 2040 rechnet das Bundesamt für Raumentwicklung beim ÖV aber mit einer Zunahme der Personenkilometer von 51 Prozent, beim Individualverkehr auf der Strasse sind es 18 Prozent.

Im aktuellen Bericht warnen die Experten und Expertinnen deshalb vor «einer weiteren Zunahme der Verkehrs- und der Engpassproblematik». Auch, weil Ausbauprojekte in dicht besiedelten Gebieten auf immer grösseren Widerstand stiessen.

Distanzen werden länger

Für die steigende Nachfrage nach Mobilität sorgen verschiedene Faktoren: Einerseits werden im Jahr 2050 in der Schweiz 10,5 Millionen Menschen leben. Die Wirtschaft wächst. Und die Menschen pendeln längere Distanzen, da Arbeits- und Wohnorte zunehmend weiter auseinanderliegen.

Der Ausbau des Schienen- und Strassennetzes ist unausweichlich, um den Verkehrskollaps abzuwenden. Der Bund schlüsselt nach Regionen auf, wo Strassen ausgebaut werden müssen. Zusammen mit der SBB investiert er bis 2035 fast 13 Milliarden in die Schienen-Infrastruktur.

Damit ist es jedoch nicht getan. Bevor neue Züge gekauft oder Strassen verbreitert werden, muss die Effizienz verbessert werden. Hier schlägt der Bund vor, die Anzahl der Passagiere und Passagierinnen in den Autos durch sogenannte «High Occupency Vehicle Lanes» zu erhöhen. Das sind Spuren, die Lenker, die allein unterwegs sind, nicht nützen dürfen. Solche Lösungen sind in den USA und in Kanada verbreitet.

Schul- und Öffnungszeiten anpassen

Daneben fordert der Bund die Kantone und Gemeinden dazu auf, die Verkehrsnachfrage stärker zu lenken. Also: Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitverkehr besser abzustimmen. Dazu sollen die Öffnungszeiten sowie die Arbeits- und Schulanfangszeiten verschoben werden. Denkbar ist auch, dass vermehrtes Homeoffice oder mehr Online-Bestellungen die Spitzen brechen können.

Zwar betont das Uvek auf Anfrage, dass mit «Lenkung» ein Mobility Pricing nicht im Fokus stehe. Trotzdem dürften die drohenden Engpässe das Thema wieder auf die Agenda heben. Derzeit laufen Vorbereitungen für Pilotprojekte. Mobility Pricing bedeutet: Ein Pendler oder eine Pendlerin auf der Strecke Zürich-Bern müsste im Morgenverkehr mehr fürs ÖV-Ticket oder für die Autofahrt berappen. So würde der gesamte Verkehr besser über den Tag verteilt.

Verkehrsspitzen brechen

Michael Töngi, Grünen-Nationalrat und Präsident der Verkehrskommission des Nationalrats, hält dies für vielversprechend. «Wir müssen reagieren. Nicht nur wegen drohender Verkehrsengpässe, sondern auch wegen des Klimas.» Längerfristig müsse der CO2-intensive Strassenverkehr vermehrt auf den ÖV gelenkt werden, sagt Töngi. Denn einerseits könne man nicht den gesamte Autoverkehr elektrifizieren. Andererseits stiegen die Kosten für neue Strassen exponentiell. Er betont: «Aufofahren wird nicht per se teurer. Wer etwa ein sparsames Auto fährt, müsste nicht zwingend mehr bezahlen.»

Gegen Mobility Pricing stellt sich die SVP. Für sie sind die Probleme «hausgemacht». Die «ungebremste Zuwanderung» überlaste die Infrastruktur – und gleichzeitig sei der Ausbau der Strasse «aus ideologischen Gründen» vernachlässigt worden. Mobility Pricing, so die Volkspartei, wäre «für die meisten Leute nur eine zusätzliche Steuer». Die Lösung sieht die SVP darin, bei den Strassen auszubauen.

Auch Flughäfen am Anschlag

Die Passagierzahlen beim internationalen Flugverkehr haben sich zwischen 2004 und 2018 verdoppelt. Deshalb musste etwa der Flughafen Zürich bereits ausbauen. Doch die Infrastruktur stösst zunehmend an Grenzen. «Mittelfristig kann dem prognostizierten Nachfragewachstum nur noch mit dem Einsatz von grösserem Fluggerät und der Verdrängung der General Aviation (Privat- und Kleinfliegerei) begegnet werden», schreiben die Experten und Expertinnen des Bundes. Längerfristig zeichne sich aber die Kapazitätsgrenze von Bewegungen und Passagierzahlen ab.

My 20 Minuten

Als Mitglied wirst du Teil der 20-Minuten-Community und profitierst täglich von tollen Benefits und exklusiven Wettbewerben!

Deine Meinung

649 Kommentare