Kürzerer Impfschutz? - BAG prüft dritte Impfung nun doch schon im Herbst

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Kürzerer Impfschutz?BAG prüft dritte Impfung nun doch schon im Herbst

Die Impfung bietet ein ganzes Jahr Schutz, verkündete Alain Berset im Juni. Jetzt sind Auffrischungsimpfungen im Herbst doch ein Thema. Eines, das kontrovers diskutiert wird.

Darum gehts

  • Bislang hiess es beim BAG immer, eine dritte Impfung werde frühestens Anfang 2022 nötig.

  • Nun relativiert das BAG erstmals: Eine Auffrischungsimpfung bereits im Herbst sei ein Szenario, mit dem man auch in der Schweiz arbeite, sagt Virginie Masserey vom BAG in einem Exklusivinterview mit 20 Minuten.

  • Auch andere Länder beginnen mit dritten Impfungen im Herbst – der Entscheid ist allerdings umstritten.

«Die Corona-Impfung wirkt mindestens zwölf Monate – deutlich länger als angenommen. Das ist eine gute Nachricht und ein Grund mehr, sich für die Impfung anzumelden.» Mit diesen Worten warb Gesundheitsminister Alain Berset am 15. Juni für die Corona-Impfung. Und stiess damit auf Misstrauen: Twitter-User Hernâni Marques verlangte gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz Einsicht in die Daten, welche diese Aussagen belegen.

Vor einer Woche publizierte er die Antwort: «Das Bundesamt für Gesundheit teilte mir mit, dass diese Aussage sich darauf bezieht, wie lange eine Person geschützt ist, die einmal infiziert war und sich dann einmal hat impfen lassen.» Zur Frage, wie lange die Impfung jemanden schütze, der noch nicht mit Covid-19 in Kontakt gekommen war, habe das BAG keine Daten liefern können. In der entsprechenden Empfehlung auf der Homepage des BAG ist von «Beobachtungsstudien» zu lesen.

Andere Länder bieten Drittimpfung schon an

Die Frage, wie lange die Impfung tatsächlich schützt, ist wichtig, um zu beurteilen, ob und falls ja, wann es eine Auffrischungsimpfung braucht. Israel impft Menschen über 65 bereits ein drittes Mal. Auch Deutschland kündigte am Montagabend an, ältere Personen ab September ein drittes Mal zu impfen. Vom BAG hiess es bislang immer, dass zum aktuellen Zeitpunkt erst 2022 eine dritte Impfung für die Risikogruppen in Betracht gezogen werde.

Diese Aussage relativiert Virginie Masserey, Leiterin Infektionskontrolle beim BAG, in einem exklusiven Interview mit 20 Minuten: «Dass die Schweiz im Herbst mit Drittimpfungen beginnt, ist ein Szenario, mit dem wir arbeiten. Wir haben das nicht verschlafen», sagt Masserey. Betont aber: Diese Entscheidung müsse aufgrund klarer Fakten gefällt werden. «Israel stützt sich auf Beobachtungen. Wir warten wissenschaftlich aufbereitete Fakten ab», sagt die BAG-Beamtin. Sie verweist auf die Eidgenössische Kommission für Impffragen, die sich mit dieser Thematik beschäftige.

Bei der Impfkommission gibts derzeit keine Auskünfte

Dort erhält man derzeit keine Informationen zum aktuellen Wissensstand: EKIF-Präsident Christoph Berger ist bis am 10. August in den Ferien, einen Stellvertreter oder eine Stellvertreterin gibt es nicht. Am 25. Juli bestätigte er per SMS, es brauche erst mehr Daten, die wissenschaftlich aufgearbeitet werden müssten. Auch bei der Zulassungsstelle Swissmedic sind bis am 23. Juli keine Daten zu Auffrischungsimpfungen eingereicht worden. Hier müssten erst die Hersteller aktiv werden.

Während andere Länder also vorwärts machen, wartet die Schweiz auf Daten. Der ehemalige Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit, Andreas Faller, warnt: «Wir müssen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die Daten aus Israel ernst nehmen. Es darf uns nicht noch einmal passieren, dass wir kostbare Zeit verlieren.»

Schnelle Drittimpfungen nicht unbedingt sinnvoll

Ob eine möglichst schnelle Impfung sinnvoll und zielführend ist, wird in Deutschland teils infrage gestellt – insbesondere, da die Daten dazu von den Herstellern der Impfstoffe kommen und gemäss dem «Spiegel» noch nicht verifiziert sind. Auch Daniel Speiser, Immunologie-Professor an der Universität Lausanne, sagt: «Wir sollten Auffrischungsimpfungen nicht vernachlässigen. Aufgrund der Daten aus anderen Ländern wird es wahrscheinlicher, dass wir Risikogruppen eine dritte Impfung anbieten sollten. Doch wir haben ausreichend Zeit, das genau zu prüfen.»

Speiser ist überzeugt, dass die Schweiz gut vorbereitet ist, um die Kapazitäten hochzufahren, sobald Zulassung und Empfehlung für die Drittimpfung da sind: «Der Impfstoff ist vorhanden und die Kantone sind darauf vorbereitet, schnell Drittimpfungen verimpfen zu können, sollte das nötig werden. Je besser ein Entscheid wissenschaftlich abgestützt ist, desto besser wird er von der Bevölkerung auch mitgetragen.»

«Vierte, fünfte und sechste Impfung wohl nicht nötig»

Ausserdem könnte eine vorschnelle Empfehlung zu Drittimpfungen laut Speiser auch einen negativen Effekt haben: «Wenn wir den Unentschlossenen jetzt sagen, dass es noch eine dritte Impfung braucht, sagen einige sich womöglich, dass die Impfung folglich nicht viel bringe und lassen sich gar nicht impfen.»

Beruhigen kann Speiser diejenigen, die nun befürchten, auf die dritte folge die vierte, fünfte und sechste Impfung: «Das ist sehr unwahrscheinlich. Mit den aktuellen Varianten, auch mit Delta, ist davon auszugehen, dass der Impfschutz nach einer allfälligen dritten Impfung wirklich robust ist.»

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