Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Rahmenabkommen mit der EUWer wird am Ende für das Scheitern verantwortlich sein?

Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen waren sich einig, dass man sich uneinig ist. Nun verlangen beide Seiten voneinander Flexibilität beim Rahmenabkommen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Wer ist schuld, wenn das Rahmenabkommen scheitert? Zwischen der EU und der Schweiz hat das Schwarzpeterspiel längst begonnen. In Brüssel haben am Dienstag die Europaminister der EU-Kommission demonstrativ den Rücken gestärkt. «Es ist nun an unseren Schweizer Freunden, zu erklären, ob sie dieses Abkommen wollen», sagte der französische Europastaatssekretär Clément Beaune beim Auftakt des Treffens. Die Beziehungen der EU zur Schweiz seien zwar gerade für Deutschland wichtig, fügte der deutsche Amtskollege Michael Roth hinzu: «Aber wer vom gemeinsamen Markt profitieren möchte, muss sich an die Regeln halten.»

Ähnlich klang es nach dem Treffen: «Alle Mitgliedstaaten unterstützen die Bemühungen der Kommission, eine Lösung zu finden», sagte die portugiesische Staatssekretärin Ana Paula Zacarias, deren Land derzeit die EU-Agenda führt. Die Mitgliedstaaten wollten die wichtige Beziehung zur Schweiz bewahren, aber gleichzeitig auch die Integrität des Binnenmarktes schützen. So wird es in den nächsten Tagen weitergehen. Am Mittwoch tagt der Bundesrat und wird danach seinerseits die EU für die Blockade verantwortlich machen und Brüssel zu weiteren Konzessionen drängen. Es geht um die Deutungshoheit nach sieben Jahren Endlosverhandlungen. Wer war flexibel, wer dogmatisch? Zwischen Brüssel und Bern fehlt es nicht an Schuldzuweisungen. «Wir sind bereit für einen Tango, doch für diesen Tanz braucht es bekanntlich zwei», formulierte im Vorfeld ein EU-Diplomat. Die Schweiz habe bisher nicht viel Engagement gezeigt. Das Angebot der EU mit Lösungsvorschlägen zu Lohnschutz, Unionsbürgerrichtlinie und Staatsbeihilfen sei auf dem Tisch, und die Mitgliedsstaaten erhofften sich, dass die Schweiz sich jetzt «sehr, sehr ernsthaft» engagiere.

Aus Schweizer Perspektive ist es die EU, die sich jetzt flexibel zeigen muss. Brüssel habe etwa beim Lohnschutz nur Scheinvorschläge gemacht, heisst es hinter den Kulissen. Der Entwurf des Rahmenabkommens sei zu unausgewogen, um vor dem Schweizervolk eine Chance zu haben, sagte Bundespräsident Guy Parmelin nach dem Treffen mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Die Schweiz habe die dynamische Rechtsübernahme akzeptiert und erwarte jetzt im Gegenzug Zugeständnisse der EU bei den drei Streitpunkten.

Beide haben sich bewegt

Beide Seiten nehmen für sich in Anspruch, sich schon sehr weit bewegt zu haben. Es geht jetzt auch darum, wer am Ende in der öffentlichen Wahrnehmung für das Scheitern verantwortlich ist. Ein Überblick, wer wo Zugeständnisse gemacht hat, ist nicht einfach. Die Verhandlungen fanden über sieben Jahre in unzähligen Runden, mit wechselnden Unterhändlern und hinter verschlossenen Türen statt. Nimmt man Bundespräsident Parmelin beim Wort, bestand eine wichtige Konzession der Schweiz darin, zugestimmt zu haben, künftig dynamisch EU-Recht zu übernehmen. Allerdings war dies von Anfang an die Prämisse, als beide Seiten 2014 die Verhandlungen aufnahmen.

Das Rahmenabkommen sollte dynamische Rechtsübernahme und eine homogene Anwendung des EU-Rechts dort garantieren, wo die Schweiz Teil des Binnenmarkts ist. Die EU wollte auch klare Regeln für Überwachung und Streitbeilegung. Einer, der am Start dabei war, ist David O’Sullivan, damals Chefunterhändler der EU. Der Ire ist seit dem Ende der Beamtenkarriere als Berater in Brüssel tätig. Die EU sei der Schweiz weit entgegengekommen, sagte O’Sullivan kürzlich dieser Zeitung: «Meine Nachfolger haben Konzessionen machen können, die mir damals nicht möglich gewesen wären.» Tatsächlich verzichtete die EU unter anderem darauf, die Kommission als Überwachungsbehörde auch für die Schweiz durchzusetzen, wie es eigentlich in ihrem Verhandlungsmandat vorgesehen war.

Der damalige Staatssekretär Yves Rossier und EU-Chefunterhändler David O’Sullivan 2013 bei einem gemeinsamen Auftritt in Freiburg beim Beginn der Verhandlungen über das Rahmenabkommen.

Kommission als Überwachungsbehörde

Auch bei der Kontrolle der Staatsbeihilfen und des Wettbewerbsrechts hätte die Kommission eine starke Rolle bekommen sollen. Jetzt überwacht die Schweiz sich quasi selbst, wobei die EU-Kommission wie bereits zuvor an den gemischten Ausschuss gelangen kann und dieser dann an das Schiedsgericht beziehungsweise an den Europäischen Gerichtshof (EuGH), wenn EU-Recht tangiert ist.

Auch für die «fremden Richter» war eine viel stärkere Rolle vorgesehen. So hätten Bürger und Firmen an den EuGH gelangen können und nicht nur die Schweiz oder die EU.

Auch für die «fremden Richter» war eine viel stärkere Rolle vorgesehen. So hätten Bürger und Firmen an den EuGH gelangen können und nicht nur die Schweiz oder die EU. Im Gespräch war auch, dass Schweizer Gerichte selbst Fälle in Luxemburg zur Interpretationshilfe hätten unterbreiten können. Der sogenannte Vorabentscheid des EuGH wäre dann verbindlich gewesen. Ein Zugeständnis ist aus Sicht der EU auch das Schiedsgericht, das den Luxemburger Richtern vorgeschaltet ist und in der Regel abschliessend schlichtet, ausser es geht um die Auslegung von EU-Recht und es gibt dazu noch keine Rechtsprechung des EuGH.

Auch bei der Anzahl der Marktzugangsabkommen, die vom Rahmenabkommen erfasst werden, musste die EU zurückstecken. So hätte Brüssel zumindest das Abkommen über das öffentliche Beschaffungswesen und das Freihandelsabkommen sofort einbeziehen wollen. Nicht durchsetzen konnte die EU ihre Ausgangsposition, einen Mechanismus für regelmässige Schweizer Kohäsionsbeiträge zu verankern. Zu Zugeständnissen war die EU bis zum Schluss auch beim Lohnschutz bereit, beim sogenannten Protokoll 1 zu den flankierenden Massnahmen. Dort gesteht die EU der Schweiz unter anderem zu, von Dienstleistern eine vier- statt der bisherigen achttägigen Anmeldefrist verlangen zu können. Daran könnte auch der EuGH nicht rütteln. Ursprünglich wollte die EU entsprechend den Regeln in den Mitgliedsstaaten gar keine Voranmeldung erlauben.

Zugeständnisse beim Lohnschutz

In den letzten Verhandlungsrunden im Frühjahr war die EU dann sogar bereit, das Protokoll 1 noch einmal aufzumachen und auf die Schweiz zuzugehen. So sollte noch einmal explizit das Prinzip «gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort» verankert werden, also die Absage an Lohndumping. Zudem sollte die Schweiz die Möglichkeit behalten, auch künftig eigenständig neue Lohnschutzmassnahmen zu beschliessen, solange diese «gerechtfertigt, verhältnismässig und nicht diskriminierend» sind. Eine Beurteilung, die im Streitfall in letzter Instanz der EuGH hätte vornehmen müssen. Unterhändlerin Livia Leu wies das Angebot in der Schlussrunde als ungenügend zurück. Kein Wunder, da der Bundesrat den Lohnschutz «immunisieren» beziehungsweise ganz vom Rahmenabkommen und einer eventuellen Rechtsprechung des EuGH ausklammern wollte. Etwas, das wiederum für die EU nicht infrage kommt, da es für Brüssel hier um den Kern des Abkommens geht.

So waren die Verhandlungen von Anfang an von Missverständnissen begleitet. Die EU-Seite war lange der Auffassung, dass die Streitschlichtung für die Schweiz das Hauptproblem sei. Als die Schweiz gegen Ende mit den roten Linien bei Lohnschutz und Unionsbürgerrichtlinie kam, war man in Brüssel überrascht. Die Personenfreizügigkeit ist der Hauptgrund, weshalb die EU seit Jahren gegenüber der Schweiz auf das Rahmenabkommen pocht. Diese Dringlichkeit wurde aus Sicht der EU nach der Abstimmung über die Zuwanderungsinitiative noch grösser, da nun in Brüssel Zweifel an der Schweizer Vertragstreue hinzukamen. War dann Aussenminister Ignazio Cassis im November 2018 bei einem Geheimtreffen in Zürich mit EU-Kommissar Johannes Hahn doch bereit, die roten Linien zu ritzen und den Lohnschutz den EU-Regeln anzupassen? Wenn es das Zugeständnis gab, hielt es nicht lange, beziehungsweise scheiterte Cassis damit im Gesamtbundesrat.

Die Paketlösung

Überhaupt hat die Schweizer Seite im Lauf der Jahre ihre Verhandlungsposition oft selbst geschwächt. So sprach der damalige Aussenminister Didier Burkhalter ursprünglich von einer Paketlösung oder gar von den Bilateralen III. Im Paket dabei gewesen wären das seit Jahren praktisch ausverhandelte Stromabkommen, ein Gesundheits- und ein Dienstleistungsabkommen. Bei einer Paketlösung hätte die Schweiz mehr Verhandlungsmasse und Spielraum gehabt. Ein Rahmenabkommen wäre auch in einer Volksabstimmung besser vermittelbar gewesen. In Bern sind sich Politik und Strombranche aber schon länger nicht mehr sicher, ob man das Stromabkommen noch will, das die damalige Bundesrätin Doris Leuthard einst ausgehandelt hat. Auch jetzt, da es beim Rahmenabkommen zur Entscheidung kommt, rätselt man auf der EU-Seite, was die Schweiz eigentlich will. Vielleicht muss die Schweiz zuerst einmal mit sich selbst ins Reine kommen.