Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Patentschutz für Corona-ImpfstoffeUS-Regierung stellt sich überraschend gegen Big Pharma

Ihre Arbeit soll möglichst rasch vielen Menschen auf der Welt zugute kommen: Forscherin des US-Pharmakonzerns Johnson & Johnson in einem Labor in Belgien.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

In der Diskussion um eine mögliche Lockerung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe haben sich die USA überraschend an die Seite zahlreicher Entwicklungsländer gestellt. Die Regierung von Präsident Joe Biden unterstütze eine Aussetzung des Patentschutzes, sagte die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai am Mittwoch. Ziel sei, das Ende der Pandemie zu beschleunigen.

«Die Regierung glaubt fest an den Schutz geistigen Eigentums, aber im Dienste einer Beendigung der Pandemie unterstützt sie das Aussetzen dieses Schutzes für Covid-19-Impfstoffe», erklärte Tai. Es werde aber einige Zeit dauern, um den nötigen globalen «Konsens» dafür nach den Regeln der Welthandelsorganisation zu erzielen.

Für WHO-Chef «historisch»

Es handle sich um eine globale Gesundheitskrise, «und die aussergewöhnlichen Umstände der Covid-19-Pandemie erfordern aussergewöhnliche Massnahmen», sagte Tai. Ziel der Regierung von US-Präsident Joe Biden sei es, so viele sichere und wirksame Vakzine zu so vielen Menschen so schnell wie möglich zu bringen.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus begrüsste die Entscheidung als «historisch». WHO-Chef Tedros schrieb beim Onlinedienst Twitter, es handle sich um einen Schritt in Richtung Impfstoff-Gerechtigkeit, «der das Wohlergehen aller Menschen überall in einer schwierigen Zeit in den Vordergrund» stelle. «Lassen Sie uns jetzt alle gemeinsam schnell und solidarisch handeln», fügte er hinzu. Der WHO-Chef hatte angesichts der Impfstoff-Knappheit in vielen Ländern seit Monaten für einen solchen Patentverzicht plädiert.

Auch die Schweiz ist involviert. Nichtregierungsorganisationen wie Knowledge Ecology International und Public Eye kritisierten den grossen Pharmastandort jüngst heftig. Die Schweiz sei mit ihrer Blockadehaltung beim Patentschutz mit dafür verantwortlich, dass in ärmeren Ländern keine eigene Fertigung von Impfstoffen aufgebaut werden kann.

Jubel bei Amnesty

Neuseeland begrüsste die Entscheidung und der australische Premierminister Scott Morrison nannte den Vorstoss «grossartige Nachrichten». Nun könne Australien mRNA-Impfstoffe vor Ort herstellen.

Bei Menschenrechtsorganisationen stiess die Ankündigung der USA auf Jubel. Amnesty International schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter, US-Präsident Joe Biden habe damit klar gemacht, «dass die USA das Leben von Menschen über die Gewinne von Pharmaunternehmen stellen». Es handle sich um einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung, um einen «erschwinglichen und fairen Zugang zu Impfstoffen weltweit» zu ermöglichen.

Negativ reagierten dagegen Anleger: Die Aktienkurse von Impfstoffherstellern wie Biontech, Moderna und Novavax erlitten teils deutliche Kursverluste. So rutschte der Kurs der Moderna-Aktie um zwischenzeitlich mehr als sechs Prozent in den Keller.

Für einige Jahre aufheben, bis die Pandemie vorbei ist

Bei der WTO in Genf laufen aktuell Gespräche über eine Lockerung der Handelsregeln, um mehr Länder in die Lage zu versetzen, mehr Vakzine zu produzieren. WTO-Generaldirektorin Ngozi Okonjo-Iweala habe in einer geschlossenen Sitzung vor Botschaftern von Entwicklungs- und Industrieländern gesprochen, sagte WTO-Sprecher Keith Rockwell. Der Generalrat der Organisation in Genf befasste sich mit dem umstrittenen Thema eines vorübergehenden Aussetzens des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe, den Südafrika und Indien zuerst im Oktober vorgeschlagen hatten.

Ziel ist, den Patentschutz für einige Jahre auszusetzen, bis die Pandemie überwunden ist. Dadurch könnten Produktion und Entwicklung von Impfstoffen ausgeweitet werden. Unterstützung für den Vorstoss kam in der Vergangenheit unter anderem vom Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus. Nach der US-Entscheidung sprach er von einem «monumentalen Moment im Kampf gegen Covid-19».

Pharma-Staaten wehren sich dagegen

Einig seien sich die Teilnehmer der Sitzung gewesen, dass ein breiterer Zugang zu Corona-Behandlungen nötig sei, sagte Rockwell. Die Diskussion sei deutlich konstruktiver und pragmatischer sowie weniger emotionsgeladen verlaufen als in der Vergangenheit, sagte er mit Verweis auf die angespannte Corona-Lage in Indien. Aus Gesprächskreisen verlautete aber, dass beide Lager weiterhin weit auseinander lägen.

Mehr als 100 Länder haben sich für den Vorstoss ausgesprochen. Widerstand gegen die Initiative kam in den vergangenen Monaten aus zahlreichen Staaten mit einflussreicher pharmazeutischer und Biotech-Industrie. Sie machen geltend, dass die Produktion von Coronavirus-Impfstoffen komplex sei und durch eine Lockerung des Patentschutzes nicht beschleunigt werden könne. Zudem könne ein solcher Schritt künftigen Innovationen schaden.

Die Handelsgruppe Pharmaceutical Research and Manufacturers of America kritisierte die US-Entscheidung. Sie werde die globale Reaktion auf die Pandemie untergraben und die Sicherheit gefährden, sagte der Präsident von PhRMA, Stephen Ubl. Sie schwäche die Versorgungsketten weiter und fördere die Verbreitung gefälschter Vakzine, sagte er. Michelle McMurry-Heath, Chef der Handelsgruppe Biotechnology Innovation Organization, erklärte, die Entscheidung werde den Anreiz untergraben, Vakzine und Behandlungen für zukünftige Pandemien zu entwickeln.

Von der Leyen: EU offen für eine Debatte

Europäische Länder mit pharmazeutischer Industrie haben auf den Schritt der Biden-Regierung auf entsprechende Forderungen zurückhaltend reagiert. Immerhin hat sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen offen für eine Debatte über dieses Thema gezeigt. «Die Europäische Union ist bereit, jeden Vorschlag zu diskutieren, der diese Krise wirksam und pragmatisch angeht», sagte von der Leyen am Donnerstag. Man müsse sehen, wie der US-Vorschlag diesem Ziel dienen könne. «Kurzfristig rufen wir jedoch alle Länder mit Impfstoffproduktion auf, Exporte zu erlauben und alles zu vermeiden, was Lieferketten stören könnte.»

Von der Leyen betonte in ihrer online übertragenen Rede für eine Konferenz in Italien: «Um es klar zu sagen, Europa ist die einzige demokratische Region der Welt, die Exporte im grossen Massstab erlaubt.» Bisher seien mehr als 200 Millionen Dosen Corona-Impfstoff in den Rest der Welt geliefert worden. Das sei fast so viel, wie hier in der EU verabreicht worden sei. Die EU sei die Apotheke der Welt.

Ein WTO-Gremium zu Fragen des Patentschutzes werde den Vorstoss bei einem provisorischen Treffen noch in diesem Monat aufgreifen, sagte Rockwell. Ein offizielles Treffen folge am 8. und 9. Juni.

cpm/dpa/afp