«Verschwörungstheoretiker sind Leute wie Sie und ich»

Publiziert

Verschwörungsexperte«Verschwörungstheoretiker sind Leute wie Sie und ich»

Christian Frei ist Tibits-Mitgründer – und Verschwörungstheoretiker. Infosekta-Präsident Dieter Sträuli schätzt seine Aussagen ein und beantwortet die wichtigsten Fragen zu Verschwörungstheorien.

Darum gehts

  • Für den Mitgründer und Mitbesitzer der Restaurant-Kette Tibits, Christian Frei, ist die Corona-Pandemie eine Erfindung.

  • Frei forderte laut der Online-Zeitschrift «Republik» Militärs dazu auf, den ganzen Bundesrat festzunehmen und einzusperren.

  • Für Dieter Sträuli, Psychologe und Verschwörungsexperte, glaube Frei offenbar wahnhaft an eine grosse Verschwörung, die eine strikte Informationskontrolle beinhaltet.

Das Militär soll den Bundesrat wegen Landesverrat verhaften und vors Kriegsgericht stellen, die Corona-Pandemie ist eine Erfindung, die Schweiz beim Wahlbetrug in den USA beteiligt: So lauten zumindest die Behauptungen, die Tibits-Mitgründer Christian Frei in einer Verschwörungstheoretiker-Gruppe auf Telegram geteilt und anschliessend bei einem Treffen im Keller des Tibits-Restaurants in Oerlikon ZH geäussert hat.

Dass auf Telegram gegen die Regierung gewettert oder dazu aufgefordert wird, selbst aktiv zu werden, ist nicht neu: So riefen vor rund einer Woche radikalisierte Corona-Skeptiker zum Sturm aufs Bundeshaus auf. Als Vorbild diente der Capitol-Sturm der Trump-Anhänger am 6. Januar. Dieter Sträuli, ehemaliger Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Psychologischen Institut der Universität Zürich und Präsident der Fachstelle für Sektenfragen Infosekta, ist von den Äusserungen Freis überrascht.

Herr Sträuli, wieso wendet sich eine Person wie Christian Frei derartigen Verschwörungstheorien zu?

Frei ist – gemäss seinen Aussagen – nicht nur ein Corona-Skeptiker, sondern ein Corona-Leugner. Er glaubt offenbar an eine grosse Verschwörung, die eine strikte Informationskontrolle beinhaltet. Dass er das Militär zur Verhaftung des Bundesrates auffordert und so zum Umsturz der Regierung aufruft, erinnert an den Sturm auf das Capitol. Das ist in der Tat verstörend. Sein Verhalten könnte als wahnhaft bezeichnet werden. In Zeiten von Corona und QAnon kann das jedoch passieren: Bisher unauffällige Leute flippen aus und verlieren den Realitätsbezug.

Wieso geschieht das?

Die Reduktion komplizierter Sachverhalte auf simple Ursachen und Schuldzuweisungen bringt manchen Menschen Erleichterung. Obwohl es immer schon Verschwörungstheorien gab, haben Ereignisse wie die Pandemie viele Menschen derart verunsichert, dass sie zu einfachen – und falschen – Antworten auf ihre Fragen greifen. Zwar wurden schon in der Renaissance und im Barock Flugblätter mit sensationellen Meldungen verteilt. Das Internet und Social Media machen es aber tatsächlich einfacher, entsprechende Verschwörungstheorien zu verbreiten.

In Zeiten von Corona und QAnon kann das passieren: Bisher unauffällige Leute flippen aus und verlieren den Realitätsbezug.

Dieter Sträuli

Sind alle Menschen gleich empfänglich für Verschwörungstheorien?

Es gibt Menschen, die stärker zum Glauben an Verschwörungstheorien und andere moderne Mythen neigen als andere. Sie erliegen der Faszination, die von Berichten über mächtige Verschwörer mit fantastischen Mitteln der Manipulation ausgeht, leichter.

Ein wichtiger Faktor dabei ist der Glaube an mächtige böse Elternfiguren, die das Geniessen sozusagen gepachtet haben und schuld daran sind, dass ich nicht zum Zug komme. Dieser Glaube ist deshalb schwer zu bekämpfen, weil er mir insgeheim die Möglichkeit verheisst, dass ich irgendwann selbst an die Position der dieses Geniessen kontrollierenden Verschwörer aufrücken könnte. Weder das totale Geniessen noch diese
mächtigen Gestalten existieren wirklich, aber als unbewusste Faktoren haben sie grossen
Einfluss auf das Verhalten solcher Menschen.

Inwiefern spielt die Corona-Pandemie bei der Verbreitung von Verschwörungstheorien eine Rolle?

Es ist eher so, dass Verschwörungstheorien jeweils «auf den fahrenden Zug aufspringen», ob es sich nun um die Pandemie oder das Aufstellen von 5G-Sendemasten oder um den Wahlkampf des US-Präsidenten handelt. Verschwörungstheorien werden auch ganz gezielt als Propaganda oder Ausrede eingesetzt.

Wie etwa vom ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump?

Genau. Der amerikanische Wahlkampf war ein Lehrstück für den gezielten Einsatz einer Verschwörungstheorie – jener vom «gestohlenen Wahlsieg» Donald Trumps. Dass der Präsident diese Theorie ständig wiederholte, führte dazu, dass seine Anhänger sie schliesslich für bare Münze nahmen.

So auch Christian Frei – und die QAnons.

QAnon ist seit 2017 eine unklar organisierte Quelle für Verschwörungstheorien. Vertreter von QAnon verbreiten unter anderem das absurde Gerücht, dass «die Demokraten» Kinder entführten, ihnen Blut entnähmen und daraus die «Langlebigkeitsdroge» Adrenochrom herstellten. Verschwörungstheorien sind oft gruselig und enthalten Sciencefiction- Elemente. Sie haben auch einen entsprechenden Unterhaltungswert.

Was aber klar ist: QAnon ist auch in der Schweiz angekommen. Corona-Skeptiker und -Leugner verstehen sich wahrscheinlich gut mit dem spekulativen Sprachstil der QAnon-Leute, der für absurde Schuldzuweisungen an bestimmte Organisationen verwendet wird.

Laut dem Bundesamt für Polizei nehmen Drohungen gegen Politiker und Beamte zu. Geht von radikalisierten Verschwörungstheoretikern eine reelle Gefahr aus?

Das Wort «radikalisiert» bezeichnet sehr gut die Schwelle, hinter der es gefährlich wird. Es ist Sache der Bundespolizei, den Informationsaustausch zwischen Mitgliedern solcher Gruppen zu überwachen und zu handeln, wenn bestimmte Signale eine gefährliche Radikalisierung und den Übergang zu Tatvorbereitung und Tat anzeigen.

Der amerikanische Wahlkampf war ein Lehrstück für den gezielten Einsatz einer Verschwörungstheorie

Dieter Sträuli

Gibt es den «typischen» Verschwörungstheoretiker?

Ich kann mir vorstellen, dass solche Menschen oft einen Groll hegen und frustriert sind: Sie leben mit einem Vorwurf an Behörden oder an imaginäre Verschwörer, während sie sich selbst von den politischen Entscheidungsprozessen oder den schönen Seiten des Lebens abgeschnitten fühlen. Sie sind erfüllt von Gefühlen der Ohnmacht und Wut, sehen aber keinen Weg, um in der Politik oder Gesellschaft Fuss zu fassen.

Es wäre gut, wenn sie einen solchen Weg finden könnten, der aus der Welt, wie sie sie sehen – einem Ort der dunklen Mächte – einen anderen Ort machen, auf den sie Einfluss nehmen können. Abgesehen davon sind Verschwörungstheoretiker einfach Leute wie Sie und ich. Ich selbst bin zum Beispiel durchaus anfällig für solche Geschichten, gleichzeitig zähle ich mich auch zu den Skeptikern.

Wie soll man im privaten Umfeld mit Verschwörungstheoretikern umgehen?

Das ist schwierig. Vielleicht müssen wir mit ihnen das Gesprächsfeld abstecken, Grenzen ziehen und festlegen, welche Themen wir besser vermeiden. Es ist natürlich gut, den Kontakt aufrecht zu erhalten, aber dabei die eigenen Ansichten nicht zu verraten.

In jeder Verschwörungstheorie liegt ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht können wir im Gespräch dieses Körnchen, das für beide akzeptabel ist, herausarbeiten. Und natürlich dürfen wir gemeinsam die unterhaltenden Verschwörungstheorien geniessen, aber dabei den Faktencheck nicht vergessen.

Hast du oder jemand, den du kennst, Mühe mit der Coronazeit?

Hier findest du Hilfe:

BAG-Infoline Coronavirus, Tel. 058 463 00 00

BAG-Infoline Covid-19-Impfung, Tel. 058 377 88 92

Dureschnufe.ch, Plattform für psychische Gesundheit rund um Corona

Branchenhilfe.ch, Ratgeber für betroffene Wirtschaftszweige

Pro Juventute, Tel. 147

Deine Meinung

653 Kommentare